Franz- Josef Strauß vor dem Ab- flug

Am 17. Mai wird der Großflughafen München II eröffnet. Das teuerste Bauprojekt in der Geschichte der Republik glänzt durch Bodennebel, mangelnde Verkehrsanbindung, finanzielle Schieflage und rosarote Zukunftsprognosen. Ein absehbares Debakel also und warnendes Beispiel für Berliner Flughafenpläne  ■ VON BERND SIEGLER

Nichts Geringeres als das „Tor zur Welt“ soll weit aufgestoßen werden. Wenn man den großflächigen Plakaten in ganz Bayern Glauben schenkt, steigt das historische Ereignis am 17. Mai um Punkt sechs Uhr. Dann wird mit dem Start eines Lufthansa-Jets vom nagelneuen Flughafen München II ein „neuer Stern am europäischen Himmel“ aufgehen. Schon der Name bürgt für Superlative aller Art. Nach einem passionierten Hobbyflieger und bayerischen Ministerpräsidenten soll das von Jubelarien begleitete Jahrhundertbauwerk im Erdinger Moos nordöstlich von München „Franz-Josef-Strauß-Airport“ heißen. Der Flughafen mit der größten Kapazität der Republik wird gepriesen als Segen für Wirtschaft und Umwelt. Auch die Kritiker bemühen ausschließlich den Superlativ. „Größter Flop des Jahrhunderts“ wird der Airport respektlos genannt oder schlicht „Denkmal für Gigantomanie, Lug und Trug“. Schon gibt es warnende Stimmen, bei einem Großflughafen Berlin nicht die Fehler von München zu wiederholen.

Jenseits des Theaterdonners um den Eröffnungstermin droht jedoch dem Airport noch manch Ungemach: Die Finanzdecke der Betreibergesellschaft ist sehr dünn, im Jahresdurchschnitt 132 Nebeltage im Erdinger Moos bescheren den umfliegenden Flughäfen hohe Zuwachsraten, und allzu optimistischen Prognosen über stetig steigende Zuwachsraten im Flugverkehr wurde ein Ende bereitet. Zu guter Letzt wird ausgerechnet Straußens Lebensziel, der Zusammenbruch des realen Sozialismus, langfristig zum Einbruch des Münchener Airports führen. Berlin wird München den Rang ablaufen. Insbesondere die Flugrouten nach Osteuropa, mit denen man in der bayerischen Landeshauptstadt geliebäugelt hat, werden künftig wohl über die neue deutsche Hauptstadt führen.

Seltsame Karriereschübe eigentlich Gescheiterter

Ginge es nicht um zehn Milliarden Mark und damit um das größte Bauprojekt in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, könnte man sich über den Werdegang des Airports köstlich amüsieren. 25 Jahre hat der 64jährige Josef Zollner das Possenspiel schon aus nächster Nähe miterlebt. Der selbständige Kaufmann aus Neufahrn ist seit 1969 aktiv gegen den nur wenige Kilometer entfernten Flughafen. Ein Vierteljahrhundert Widerstand — aussichtslos, weil die Bevölkerung kaum mitzog. Die größte Demonstration brachte gerade mal zehntausend Menschen in der bayerischen Landeshauptstadt auf die Beine. Die beiden Stimmkreisabgeordneten stammen immer noch von der Partei, die den Flughafenbau von Anfang an forciert hatte: von der CSU. Keine Sprühparole in der Umgebung des Flughafens zeugt von Protest gegen das Bauwerk.

Der Grund liegt für Zollner, den Sprecher der Neufahrner Bürgerinitiative gegen den Flughafen, auf der Hand: „Hier wurde grundsätzlich falsch gespielt, da passierte bis heute nichts, was seriös ist“, faßt er seine Erfahrungen mit dem Mammutprojekt zusammen. So sollte der neue Münchener Flughafen ursprünglich gar nicht ins Erdinger Moos. Schon 1954 wurde der Ausbau des 1939 eingeweihten Münchener Flughafen Riem von einem Ingenieurbüro untersucht, dann erschallte nach dem schweren „Paulskirchenunglück“ 1960 der Ruf „Riem muß weg“. Damals streifte ein Jet die Spitze der Paulskirche und stürzte ab. Zwanzig Standorte wurden in der Folge auf ihre Eignung für einen neuen Flughafen geprüft. Der heutige Standort Erdinger Moos erhielt wegen der noch ungeklärten meteorologischen Verhältnisse, er wies dreimal soviel Nebel wie Riem auf, keine Rangstufe. Statt dessen wurde der Hofoldinger Forst favorisiert. Noch im gleichen Jahr beauftragte der bayerische Ministerrat die Regierung von Oberbayern, für diesen Standort ein Raumordnungsverfahren einzuleiten.

Nach starken Protesten der Bevölkerung im Süden von München weitete die Regierung das Raumordnungsverfahren auf den Standort Erdinger Moos aus. Franz-Josef Strauß erklärte damals schon unmißverständlich, daß er diesen Ort bevorzuge, denn dort sei der Flughafen auch „politisch durchsetzbar“. Hatte sich Strauß mit der gleichen Argumentation bei der WAA im oberpfälzischen Wackersdorf getäuscht, lag er diesmal goldrichtig. Die Angst, im Süden von München, dem bevorzugten Wohnort der ehrenwerten Gesellschaft der Landeshauptstadt und der gesammelten CSU-Prominenz, die eigene Klientel zu vergraulen, ließ die bayerische Mehrheitspartei den Standort Erdinger Moos favorisieren. Die dort ansässigen örtlichen CSU-Mandatsträger wurden dabei mit Zuckerln in Form von Karriereschüben bei Laune gehalten. Der Freisinger Stimmkreisabgeordnete Otto Wiesheu avancierte trotz vielfältiger Affären zum Generalsekretär der Partei, später trotz Unfall mit Alkohol, Fahrerflucht und Todesopfer zum Geschäftsführer der Hanns-Seidel-Stiftung und sitzt jetzt als Staatssekretär im Kabinett. Hans Zehetmair, Stimmkreisabgeordneter von Erding, stieg auf zum Kultusminister, der dortige Landrat Held zum Justizminister und der Freisinger Landrat zum Senator.

Daß die einstigen CSU-Hochburgen mit weit über 70 Prozent nurmehr knappe Mehrheiten für die CSU erzielen, nahmen Staatsregierung und Partei in Kauf. Am 5. August 1969 verkündete der damalige bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel die Entscheidung für den Standort Erdinger Moos. „Diese Zustimmung ist der Staatsregierung schwergefallen“, gestand er und bat die betroffene Bevölkerung „um Verständnis für den im Interesse des ganzen Landes notwendig gewordenen Entschluß“.

Die Staatsregierung verkaufte die Entscheidung als Maßnahme des Umweltschutzes. Jetzt müsse nicht, wie im Hofoldinger Forst, wertvoller Wald gerodet werden. Das relativ dünn besiedelte Erdinger Moos stelle dagegen ein „ideal flaches Gebiet“ dar. Doch schon im Planfeststellungsbeschluß von 1979 wird der Wert der Landschaft ganz anders dargestellt. Das Erdinger Moos sei eine „großräumige und bäuerliche Kulturlandschaft“ mit „intakten Ökosystemen“. Von der großen Bedeutung als „ökologischer Ausgleichsraum im Norden des Ballungsraumes München“ ist die Rede, die Vielfalt der Tierarten insbesondere die „mannigfaltige Vogelwelt“ wird herausgestellt. Genau der richtige Platz für einen Flughafen mit bis zu tausend Flugbewegungen am Tag und bis zu vierzehn Millionen abgewickelter Passagiere pro Jahr.

Die Flughafen München GmbH (FMG), an der der Freistaat mit 51, der Bund mit 26 und die Stadt München mit 23 Prozent beteiligt sind, hielt dazu ursprünglich vier Start- und Landebahnen für notwendig. 249 Erörterungstermine waren nötig, um die Einwendungen von Privatpersonen und Kommunen zu behandeln, zahlreiche Gutachten wurden in Auftrag gegeben. Schließlich strich die Regierung von Oberbayern in ihrem Planfeststellungsbeschluß eine Landebahn. Drei Tage nach dem ersten positiven Urteil des Verwaltungsgerichts München am 31. Oktober 1980 begannen die Bauarbeiten im Erdinger Moos.

Filz und juristische Kehrtwendung

Fünf Monate später, am 16. April 1981, errangen die Flughafengegner einen wichtigen Sieg. Sie erwirkten beim 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH) einen Baustopp. Der Senat erteilte den bisherigen Planungen eine Absage. Er hielt den Flughafen für überdimensioniert, kritisierte die Personalunion von FMG und Genehmigungsbehörde. Mit dem damaligen Verkehrsminister Jaumann und seinem Ministerialdirigenten Ringelmann saßen gleich zwei Vertreter der Behörden im FMG-Aufsichtsrat, also bei der Antragstellerin. Dem Urteil folgte eine hektische Zeit der Umplanung. Vor allem Bayerns jetziger Ministerpräsident Max Streibl, damals Finanzminister und Aufsichtsratsvorsitzender der FMG, sprach sich vehement gegen eine von den Bürgerinitiativen geforderte Reduzierung des Achsabstandes der beiden übriggebliebenen Landebahnen von 2.300 Meter auf 1.600 Meter aus — und setzte sich durch. Schon im Oktober 1981 war die Meinungsbildung abgeschlossen. Die FMG verzichtete auf die dritte Startbahn, beharrte jedoch auf 2.300 Meter Achsenabstand. Der Geländebedarf wurde damit von 2.050 Hektar auf knapp 1.400 Hektar reduziert.

Am 8. März 1985 hob der gleiche Senat, der vier Jahre zuvor den Baustopp beschlossen hatte, ihn wieder auf. Schon im Mai 1985 wird fieberhaft weitergebaut, bis heute ohne Unterbrechung. Der Vorsitzende Richter Friedrich Lietzow hatte plötzlich gegen das Riesenprojekt keine Bedenken mehr. Einen Standort frei von Nachteilen gebe es nun einmal nicht, erklärte das Gericht lapidar. Die Richter stellte zwar fest daß der Flughafen sogar im Jahre 2000 nur bis zu 70 Prozent ausgelastet sein werde, verwies jedoch darauf, daß er schließlich für einen längeren Zeitraum geplant sei. Man gestand der Genehmigungsbehörde einen „optimistischen Wachstumsstandpunkt“ zu. Eine Behörde besitze nun mal die „Gestaltungsfreiheit“, sich nicht mit der „kleinsten denkbaren Lösung“ begnügen zu müssen, schrieb der VGH einen Blankoscheck für künftige Planungen aus.

Den Filzvorwurf wischte man völlig vom Tisch. „Allgemeine politische Einflüsse dieser Art sind jedoch bei einem Großvorhaben, das in die Grenzzone von Recht und Politik hinreicht, kaum auszuschließen“, befanden die Richter. Mit denkbar knapper Mehrheit, mit drei zu zwei Stimmen, bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin am 5. Dezember 1986 als letzte Instanz die Rechtmäßigkeit der Planungen für den neuen Flughafen und beendete eines der umfangreichsten Verfahren vor bundesdeutschen Verwaltungsgerichten. Seit 1980 hatten fast 6.000 Bürger gegen den Flughafen geklagt.

Wie Hohn klingt Josef Zollner in den Ohren, wenn die FMG in ihren Hochglanzbroschüren den Rechtsstaat hochleben läßt. „Bürgerwille und Baurealisierung gehen Hand in Hand“, schreiben die Werbetexter der FMG und bezeichnen den Flughafen aufgrund der 26.300 privaten Einwände und der 180 behördlichen Stellungnahmen als ein „hinsichtlich seiner Umweltverträglichkeit meistgeprüftes Projekt der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Für Christian Magerl, grüner Landtagsabgeordneter und Sprecher der vereinigten BIs gegen den Flughafen, ist dies schlicht Augenwischerei. Kein umfassendes ökologisches Gutachten, keine Umweltverträglichkeitsprüfung sei für den Flughafen in Auftrag gegeben worden. „Das war ein grober Fehler und ein schweres Manko in der Planung.“

Ökologisches Alibi — der Flughafen als Biotop?

Ein Zehntel des damals veranschlagten Flächenverbrauchs von 2.300 Hektar wurde der FMG als „ökologische Ausgleichsfläche“ auferlegt. Ein 230 Hektar großes Alibi, gut genug, um heute, wo der Countdown für die Eröffnung läuft, die Werbetrommel zu rühren. Von der „eigenen grünen Identität des Flughafens“ sowie einer „Synthese von Flughafen und Umwelt“ ist großspurig die Rede. Die FMG scheut sich nicht, den Flughafen gar als Wohltat für die Umwelt zu preisen. Die Ausgleichsflächen stabilisierten demnach ein „bereits seit Jahrzehnten durch intensive Nutzung gefährdetes Gebiet“. Mit der Pflanzung von einer Million Gehölzen und Sträuchern und 5.000 Großbäumen glaubt die FMG ihre Schuldigkeit getan zu haben. Der Satz, „Kontraste zwischen Flughafengelände und der Landschaft des Erdinger Moos sind natürlich nicht zu vermeiden“, ist eine vornehme Umschreibung für das, was Magerl „irreparable Eingriffe in das Ökosystem“ nennt.

Der einstige Vogelreichtum des Erdinger Moos gehört schon heute der Vergangenheit an. Magerl kritisiert das „Biotopmanagement“ der FMG, die die neue Landschaft nach ihren Bedürfnissen, sprich möglichst vogelfrei, modelliert, um die gefiederte Konkurrenz der großen Flieger zu vertreiben. Die FMG wählte eigens Bepflanzungen, in der sich Vögel nicht heimisch fühlen, zum Beispiel hohes Magergras oder Gehölze, die keine Beeren tragen. Sie habe, so Magerl, bislang acht kartierte Biotope zugeschüttet und wolle Wasserflächen durch zusätzliche Dämme „optisch verkleinern“, um die Vögel zu vertreiben.

Goldgräberstimmung rund um den Flughafen

Eine Umwelt- und Landschaftszerstörung in vergleichbarer Dimension wie durch den Flughafen selbst befürchtet Magerl durch die vom Flughafen ausgelöste „katastrophale Verkehrs- und Siedlungsbewegung“. Als Argument für den Flughafen führt die FMG seit Jahren das künftige Wachstum in der Region an. Edgar Engert von der FMG-Presseabteilung verweist auf 20.000 Arbeitsplätze am Strauß-Airport bis zum Jahr 2000 (Riem: 7.000). Zusätzlich würden 30.000 Arbeitsplätze im Umfeld entstehen, insgesamt sei ein Zuzug von 80.000 Menschen zu erwarten. Josef Zollner hält derartige Prognosen für „Gesundbeterei“. Der „normale“ Siedlungsdruck von München werde bei solchen Berechnungen nicht berücksichtigt. Außerdem sei es „purer Unsinn“, von 20.000 neuen Arbeitsplätzen zu reden. Viele Flughafenbeschäftigte würden ja aus Riem übernommen werden. Zollner gibt bei einer Zunahme der Siedlungsbewegung zu bedenken, daß der neue Flughafen dann wieder in einem dichtbevölkerten Gebiet liege und somit die einstige Begründung für den Neubau entfalle.

Ungeachtet dessen weisen derzeit die umliegenden Gemeinden ein Gewerbegebiet nach dem anderen aus. Die ganze Region wird zugebaut — mit immensen Strukturveränderungen.

Jede noch so kleine Gemeinde, wie zum Beispiel das Bauerndorf Schwaig unmittelbar neben der südlichen Startbahn, bekommt nun ihr Hotel samt „Suiten mit allem Komfort“. „Exklusive Eigentumswohnungen“ und „repräsentative Büroflächen“ sprießen wie Pilze aus dem Boden. Die Mieten und Grundstückspreise haben mittlerweile Münchener Niveau erreicht, Kaltmieten bis zu 30 D-Mark pro Quadratmeter sind keine Seltenheit, manche Gemeinde plant bereits die Einführung eines kommunalen Wohngelds. Trotzdem nimmt die Bevölkerungsfluktuation ungeahnte Dimensionen an. Neufahrn mit seinen 16.000 Einwohnern hat eine Fluktuation von hundert Bewohnern monatlich. Es handelt sich nicht nur Abwanderer, die sich nicht damit abfinden können, daß über das Naherholungsgebiet „Neufahrner Mühlseen“ künftig die Jets im Tiefflug donnern. „Hier herrscht Goldgräbermentalität“, warnt Neufahrns SPD-Bürgermeister Stefan Bernhard vor denen, die die schnelle D- Mark machen wollen.

Bürgermeister Bernhard hinterfragt die Bedeutung von MünchenII. Da habe sich mit der Wiedervereinigung einiges geändert. Ein empfindlicher Punkt für die Münchener Flughafenstrategen. Unbestreitbar wird Berlin in der internationalen Luftfahrt insbesondere bei einem Neubau eines Großflughafens eine entscheidende Rolle spielen, die noch nicht abzusehen ist. Ähnlich den Wachstumskurven im Stromverbrauch als Argument für den Bau von Atomkraftwerken, lagen den Planungen des Strauß-Airports enorme Wachstumsprognosen für den Flugverkehr zugrunde. Man stützte sich darauf, daß sich das Passagieraufkommen und der Frachttransport weltweit in den vergangenen 17 Jahren mehr als verdoppelt hatte. Wurden in Riem 1950 nur 69.000 Passagiere gezählt, waren es 1989 mit 10,5 Millionen 145 mal so viel. Entsprechend dimensioniert ist jetzt der Franz-Josef- Strauß-Airport. Für die Luftfracht wurde ein Munich Air Cargo Center mit einer Kapazität von 350.000 Tonnen pro Jahr, ausbaufähig bis zu einer Million Tonnen, errichtet. In Riem werden derzeit ganze 85.000Tonnen umgeschlagen. Für vierzehn Millionen Passagiere jährlich wurden modernste, hochtechnisierte Abfertigungsanlagen gebaut, die Kapazität des Start- und Landebahnsystems sind gar für dreißig Millionen Passagiere ausgelegt.

Fragwürdige Prognosen, verordneter Optimismus

Inzwischen warnen Gutachter aber vor der schlichten Fortschreibung der bisherigen Entwicklung. Eine großangelegte Studie der Tourismus-Fachzeitschrift 'FVW International‘ geht davon aus, daß bundesweit im Jahre 2010 die bundesdeutschen Flughäfen eine gigantische Überkapazität aufweisen würden. Die Zeiten der Zuwachsraten seien vorbei, meint Autor Hans-Georg Ungefug. Nicht nur weil sich inzwischen Lufthansa und Bundesbahn darauf verständigt haben, den innerdeutschen Luftverkehr bis zu 400 Kilometer aus ökologischen und ökonomischen Gründen auf die Schiene zu verlagern. Es wird erwartet, daß der Nah- und Mittelstreckenflugverkehr zum Schutz der Umwelt administrativ eingeschränkt wird.

Zusätzlich schrumpfen die Einnahmequellen der Flughäfen, wenn nach einer EG-Vereinbarung der Verkauf von Duty-Free-Waren auf Flügen innerhalb der Gemeinschaft wegfällt. So erzielt der Flughafen Düsseldorf rund ein Drittel seines Betriebsgewinns aus dem zollfreien Geschäft. Höhere Landegebühren als Folge würden dann höhere Flugpreise nach sich ziehen. Die steigen aber sowieso, wenn die bislang mehrwertsteuerfreien grenzüberschreitenden Flüge innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ab 1993 steuerpflichtig werden. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluß, daß wer auf die jetzt bestehenden beziehungsweise verbindlich geplanten deutschen Flughafenkapazitäten „noch eines draufsatteln will, hohe Investititionsrisiken der öffentlichen Hände“ eingehe.

Trotz dieser Entwicklung setzen bundesdeutsche Flughäfen allesamt auf Expansion. Bis zum Ende der neunziger Jahre will der Frankfurter Flughafen mehr als sieben Milliarden D-Mark investieren, um 50 Prozent mehr Passagiere abfertigen zu können. Hinzu kommt ein neuer Großflughafen in Berlin. Langfristig werde dieser, davon ist Christian Magerl überzeugt, zu einer „ernsthaften Konkurrenz für München II“. Doch auch bei den Planungen zu einem neuen Großflughafen Berlin wird ausschließlich von einer Verdreifachung des Flugverkehrs ausgegangen. Ungefug aber macht die Rechnung auf, daß die heute 160.000 Starts und Landungen von Tegel, Tempelhof und Schöneberg bis zum Jahr 2010 auf 30.000 bis maximal 70.000 zurückgehen werden. Während Bundesverkehrsminister Krause unbeirrbar auf eine schnellere Standortentscheidung zu einem neuen Großflughafen Berlin drängt, kann Christian Magerl nur hoffen, „daß die Fehler von München in Berlin nicht gemacht werden“.

Ein Fehler, die schlechte Verkehrsanbindung des Strauß-Airports, ist schon zur bundesweiten Lachnummer geworden. Sogar Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) ist er nicht entgangen. Er fordert, daß der neue Berliner Großflughafen nahe an der Stadt liegen solle, damit die Fehlplanung des Flughafens München II nicht wiederholt werde. Josef Zollner nennt MünchenII den „Flop des Jahrhunderts“, weil er auf dem Schienenweg nur über die S-Bahn von München aus zu erreichen ist. Einen Fernbahn- beziehungsweise IC-Anschluß hat man in der Planung schlichtweg vergessen. Mit dem Auto muß man über die total überlastete Autobahn A 9 München- Nürnberg, um von dort an die A92 Deggendorf-Landshut direkt zum Flughafen zu kommen. Für eine direkte Autobahnanbindung an München fehlt in Münchens Norden schlichtweg der Platz. Eine ursprünglich geplante sechsspurige Autobahn östlich der Isar ist schon Anfang der siebziger Jahre im Raumordnungsverfahren wegen fehlender Möglichkeiten zur Anbindung an die Stadt München durchgefallen.

Edgar Engert von der FMG-Pressestelle wirft den Flughafengegnern vor, sie wollten „nur Stimmung machen“. Das Ganze sei nicht so problematisch, man müsse „erst einmal abwarten“. Daß der Flughafen nicht besser ans Verkehrsnetz angebunden ist, dafür könne die FMG nichts. „Unser Einfluß endet am Flughafenzaun.“ Die Gemeinden und die Regierung von Oberbayern hätten sich entsprechende Gedanken machen müssen.

Stimmungsmache will Engert dem Obersten Bayerischen Rechnungshof dagegen nicht vorwerfen. Der hatte im Dezember neben der schlechten Verkehrsanbindung des Airports auch die ungeklärte Entsorgung der jährlich etwa 20.000Tonnen Flughafenmüll moniert sowie schwere Bedenken gegen die Finanzplanung der FMG geäußert. Demnach weise die Flughafenbetreibergesellschaft bei einem Stammkapital von nur 800 Millionen D-Mark einen Bilanzverlust von 700 Millionen D- Mark aus und sei damit bald überschuldet. Die Finanzbasis der FMG sei zudem nur dann tragfähig, wenn alle optimistischen Annahmen des Finanz- und Erfolgsplanes eintreffen würden. Es fehle „selbst bei Eintreffen aller positiven Annahmen eine Risikoreserve für Veränderungen der konjunkturellen Lage, des Kapitalmarktes oder der Luftverkehrsentwicklung“, bemängelt der Rechnungshof. Daß die Baukosten des Flughafens von ursprünglich veranschlagten zwei Milliarden auf offiziell 8,5 und mit allen Unkosten real auf etwa zwölf Milliarden D-Mark angestiegen sind, kommentiert er nicht.

Während Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter nach der Rechnungshofkritik vor „finanziellen Abenteuern“ warnte, reagierte Bayerns Finanzminister Georg von Waldenfels unwirsch. Das sei „viel Lärm um nichts“, die tatsächlichen Ergebnisse würden die Prognosen noch übertreffen, und auch München werde aus dem „profitablen Unternehmen Honig saugen“. Anfang März hat sich dann auch der Bayerische Senat Sorgen um die finanzielle Entwicklung der FMG gemacht und Kronawitter, einst vehementer Flughafenbefürworter, will angesichts der trostlosen Haushaltslage der Landeshauptstadt den 23-Prozent- Anteil der Stadt an der FMG auf zehn Prozent reduzieren. Auch die FDP fährt schwere Geschütze auf. Sie sieht beim Flughafen die freie Marktwirtschaft ausgehebelt und wirft der CSU „staatskapitalistische Tendenzen“ vor. Dorn im Auge ist, daß die FMG und damit mehrheitlich der Freistaat die gesamte Flughafengastronomie und drei Viertel aller Handelsgeschäfte betreibt. „Selbst Dessous und Gänseleberpastete können beim Staat erworben werden“, kritisiert die FDP und prangert an, daß auf dem Flughafen ausschließlich Bier des staatlichen Münchener Hofbräuhauses ausgeschenkt werden dürfe.

Inbetriebnahme ohne Lärmschutz

Während am Flughafen der Probebetrieb auf Hochtouren läuft und interessierte Bürger für sieben D-Mark Eintritt an den Wochenenden bis zum 20. April die neuen technischen Anlagen des Airports bestaunen dürfen, hält der grüne Landtagsabgeordnete Christian Magerl der FMG vor, daß der „Flughafen ohne ausreichenden Lärmschutz in den Betrieb“ gehe. Der Versuch von vierzig Privatklägern und der Anrainergemeinde Hallbergmoos, die Inbetriebnahme des Airports mit einer einstweiligen Verfügung wegen Nichterfüllung der Lärmschutzauflagen zu stoppen, schlug erst letzte Woche fehl. Der juristische Erfolg blieb der FMG treu, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte, daß Lärmschutzmaßnahmen der FMG zwar zur Auflage gemacht worden seien, diese aber keine Bedingung für die Aufnahme des Flugbetriebs seien. Tausende Anwohner müssen also erst einmal ohne Schallschutzvorrichtungen den Flughafenlärm ertragen.

Während der Flughafen einst damit begründet wurde, daß die Lärmbelastung um ein Vielfaches niedriger sei als bei München Riem, wirft Magerl der FMG und der Genehmigungsbehörde einen „Flugroutenschwindel“ vor. Fünfzehn Jahre lang sei die Bevölkerung getäuscht worden, bis endlich im März 1988 völlig neue Flugrouten für München II bekannt wurden, die die Zahl der betroffenen Bürger um 25 Prozent steigen ließen. Lärmzonen seien zuvor jahrelang nach „manipulierten Routen“ berechnet worden, mit diesen falschen Routen sei man in die gerichtliche Auseinandersetzung gegangen. Seiner Ansicht nach waren die neuen Flugrouten, die zum Beispiel Erding einbeziehen, schon 1973 bekannt gewesen. In der Tat sind schon in der von der „Software Science Limited“ 1973 fertiggestellten Studie (Computersimulation von Flugrouten) sogenannte Kurzabflugrouten festgeschrieben worden, die nach einem kurzen Geradeausflug enge Schleifen und einen Weiterflug über dichtbevölkerte Gebiete vorgesehen hatten. Dies hätte man aber erst 1988 bekanntgegeben, als alle gerichtlichen Verfahren bereits abgeschlossen waren. Erst am 5. März dieses Jahres wurden die endgültigen Routen im 'Bundesanzeiger‘ veröffentlicht.

Widerstand ohne Breitenwirkung

Magerl macht insbesondere den Flugrouten-Schwindel dafür verantwortlich, daß der Widerstand gegen den Münchener Großflughafen nicht die Dimension der Startbahn-West oder gar von Wackersdorf erreicht hat und statt dessen kaum über den Tellerrand der Region hinaus gewirkt habe. „Der Rückhalt in München war minimal“, stellt Magerl fest. Die Leute seien überwiegend froh gewesen, daß der Flughafen aus der Landeshauptstadt verschwinde. In Frankfurt hätte neben der militärischen Relevanz der Startbahn West jeder gewußt, was Fluglärm bedeute. In München habe man allenfalls die Pläne gekannt, Dezibel könne sich nun einmal niemand vorstellen. Zudem hätten die überregionalen Medien wie die 'Süddeutsche Zeitung‘ oder der Bayerische Rundfunk abgeblockt. So habe sich der Widerstand auf einige wenige größere Demonstrationen oder Einzelaktionen beschränkt. Magerl ist sich sicher, daß bei einem Bau einer dritten Startbahn in München der Widerstand um ein Vielfaches größer sein werde als bislang.

Magerl und Zollner sind fest davon überzeugt, daß es kein Fehler gewesen sei, den Protest fast ausschließlich auf der juristischen Ebene zu führen. Zollner sagt zwar offen, daß sein Vertrauen zum Rechtsstaat „restlos erschüttert“ sei und er einen „Frust auf die große Politik“ habe. Er habe aber noch niemals gesehen, daß man mit Demonstrationen oder militanten Auseinandersetzungen etwas erreicht hätte. Zollner hält es für den entscheidenden Fehler, „die breite Masse nicht erreicht“ zu haben. Resignation ist für ihn trotzdem ein Fremdwort — auch für SPD-Bürgermeister Bernhard und den grünen Magerl. „Die Bürger sind sehr sorgenvoll, es herrscht Machtlosigkeit, Betroffenheit, sie geben aber nicht auf“, bestätigt Bernhard. Er will der FMG „sehr genau auf die Finger schauen“, es gehe zumindest um Schadensbegrenzung, etwa bei den Fragen des Nachtflugs.

MünchenII hat mit 38 Bewegungen pro Nacht plus Ausnahmen (sogenannte Prominentenflüge und Katastropheneinsätze) in der Zeit von 22 bis 6Uhr) eine der großzügigsten Nachtflugregelungen der Republik. Das sei „nicht hinnehmbar“, betont Magerl. In Düsseldorf sind nur 2,5 Flugbewegungen erlaubt. Jahrelang gingen Betroffene vor Gericht, um eine Niederlage nach der anderen zu kassieren, zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.Februar 1992. Als es im Bayerischen Landtag um die Nachtflugregelung ging, nahmen die Stimmkreisabgeordneten Wiesheu und Zehetmair weder an der Abstimmung noch an der Sitzung teil. Kurz zuvor hatten beide vor Ort noch versprochen, sie würden sich zumindest für eine Regelung mit nur 28 Bewegungen einsetzen. Auch der Werbeslogan der FMG — „Der schlafende Riese Luftfracht ist erwacht“ — macht die Anlieger mißtrauisch, zumal die Erfahrung von anderen Flughäfen zeigt, daß die Passagierabwicklung am Tag abläuft, die Luftfracht sich aber in die Nacht verlagert.

Um zu signalisieren, daß die Inbetriebnahme des Airports nicht das Ende des Widerstands bedeutet, laden die Flughafengegner zum großen „Abschiedsfest“ vom Erdinger Moos einen Tag vor der Eröffnung. Bei der offiziellen Einweihung des Flughafens wollen sie den Ehrengästen entlang der Zufahrten einen „gebührenden Empfang“ bereiten. Falls Landesbischof Hanselmann dem Flughafen seinen Segen erteilen werde, drohte Magerl dem höchsten Würdenträger der evangelisch-lutherischen Kirche im Freistaat mit seinem Kirchenaustritt. Der Landesjugendkonvent und die Kirchengemeinde Neufahrn schlossen sich dem an. Doch Hanselmann denkt nicht daran, auf eine Teilnahme an der Einweihungsfeier zu verzichten. Er sei nicht gewillt, „sich von einer Minderheit von Pfarrern, Pfarrerinnen, Mitgliedern von Kirchenvorständen und Gemeindemitgliedern verunglimpfen zu lassen“. Es sei zu beachten, „ob nicht zuweilen gekränkter Stolz zur treibenden Kraft des beharrlichen Widerspruchs“ werde.

Gute Chancen für eine Lachnummer

Gekränkter Stolz ist für die Flughafengesellschaften der umliegenden Airports in Stuttgart und Nürnberg ein Fremdwort. Sie trauern nicht den Steuermilliarden nach, die in den Strauß-Flughafen geflossen sind, sondern reiben sich die Hände angesichts der eklatanten Nebelhäufigkeit im Erdinger Moos. Über den großspurigen FMG-Satz, daß der „Nebel im Luftverkehr in der Zukunft keine große Rolle mehr“ spiele, können sie nur lächeln. So hofft Ludwig Hoffmann, Geschäftsführer der Nürnberger Flughafengesellschaft, angesichts des „berüchtigten Nebellochs“ im Erdinger Moos auf eine deutliche Zunahme des Ausweichverkehrs aus der Landeshauptstadt. Aufgrund der hohen Kosten in München wollen sich verschiedene Luftfahrtgesellschaften etwa im billigeren Nürnberg ansiedeln. Auch dem Aero-Dienst, der die ADAC-Rückholflüge absolviert, ist das Pflaster in München zu teuer. Der Franz-Josef-Strauß-Airport wegen Nebel und zu hoher Gebühren bald hoffnungslos unterlastet? Die Chancen für eine Lachnummer stehen bestens.