Jäger und Sammler leeren die Berliner Hotels

■ Ob Aschenbecher oder Fernseher — Hotelgäste sind beim Klauen nicht wählerisch/ Vor der Polizei braucht sich kaum jemand zu fürchten: In den Nobelherbergen legt man Wert auf Diskretion/ Die Souvenirjagd verursacht Millionenverluste

Berlin. Egal ob Bademäntel, Aschenbecher, Teppiche, Bilder und Fernseher: Was in den Berliner Hotels nicht niet- und nagelfest ist, nehmen die Gäste gerne schon mal mit. Als Souvenirs oder durch eine bisher verborgene Kleptomanie — unterm Strich gehen 0,3 bis 0,4 Prozent der Umsätze durch Diebstähle verloren, meint der Präsident der Hotel- und Gaststätten-Innung, Michael Wegner. Das sind allein in Berlin jährlich einige Millionen, die die Touristen und Geschäftsleute in ihren Koffern unauffällig wegschleppen.

Meist fallen die Diebe nur zufällig auf. Einmal bestellte ein Gast in einem Berliner Hotel einen Verpackungskarton: Der Gast ist König und die Kiste kam sofort per Zimmerservice. Bei der Abreise fiel der Karton jedoch auf den Boden, und heraus blickte der Zimmerfernseher, berichtet Wegner. Pech gehabt. Andere versuchten, ganze Duschtrennwände herauszuschrauben, oder die Galerien zu verkleinern. Das gewöhnliche und in der Summe teure sind jedoch Bademäntel, Handtücher und Aschenbecher mit den Signets der Hotels. Wenn der weltbewanderte Berlinbesucher schon ein Handtuch aus dem New Yorker Walldorf Astoria und dem Moskauer Rossia mitgehen ließ, dann darf heute auch ein Kempinski-Handtuch nicht mehr fehlen.

Wehren können sich die Hotels kaum gegen die »Sportler«. Anzeige und polizeiliche Durchsuchung der Koffer sind tabu: Uniformierte sind ungern gesehene Gäste. Wenn einer erwischt wird, dann deuten ihm die Hotelangestellten zunächst behutsam an, daß er die Sachen doch bitte wieder zurücklegen möge. Schlimmstenfalls hat der Langfinger mit der Aufnahme in die Schwarzen Liste zu rechnen: Wenn er dann wieder mal ein Zimmer in seinem Lieblingshotel möchte, wird ihm höflich, aber bestimmt mitgeteilt, daß dieses leider völlig ausgebucht sei. Aber von den fünf Leuten, die zum Beispiel im Savoy auf der Schwarzen Liste stehen, ist bisher kein Souvenirjäger dabei. Andere Hotels versuchen es mit Vorbeugemaßnahmen: Im Steigenberger ist ein zwei Meter großer, ehemaliger Catcher angestellt, der den Gästen nicht nur das Gefühl der Sicherheit gibt, sondern auch von Diebstählen abschreckt.

Eine elegante Maßnahme ist, die begehrten Bademäntel zum Kauf anzubieten. Der Erfolg ist jedoch recht bescheiden: jährlich werden im Savoy 50 bis 70 Bademäntel geklaut, doch nur zwei wechselten in den letzten Jahren für etwas über 100 Mark legal den Besitzer, so deren Direktor, Hans Eilers. Das Verschwinden von Aschenbechern und Kleiderbügeln sieht er »unter dem Aspekt Werbung«, die TVs sind dagegen mittlerweile nur noch mit dem zentralen Hotelempfänger zu betreiben.

Nicht alle sind so auskunftsfreudig: Während es bei der Innung heißt, daß das Problem »leider Gottes nach wie vor in allen Hotelkategorien latent vorhanden ist« (Wegner), versuchen die meisten Hotelsprecher, daß Problem runterzuspielen. Gräfin Rothkirch, PR-Managerin im Interconti und im Schweizer Hof, meint, daß es »nicht ins Unermeßliche geht«, der Direktor des Flughafen-Hotels Novotel, Abele, nennt es ein »Betriebsgeheimnis« und im Grand Hotel Esplanade heißt es, das Thema sei »zu negativ besetzt«. Auch das Kempinski nimmt seine Gäste in Schutz: »unsere Gäste klauen nicht«, so PR-Chefin Rita Sander, und wenn etwas fehle, betrachte man es »als eine Art Werbegeschenk«

Was nicht sein darf, ist auch nicht - Kriminalstatistiken wie zu DDR- Zeiten. Schließlich sollen die teuer zahlenden Gäste nicht vergrault werden. Supermarktmethoden sind auch nicht angesagt: Niemand hängt Schilder wie »Jeder Diebstahl wird zur Anzeige gebracht« auf.

Namen von Prominenten, die inzwischen eine größere Souvenirsammlung besitzen, werden natürlich auch nicht bekanntgegeben. Nur soviel: Ein Stammgast im Steigenberger klaut bereits seit Jahren alle sechs Monate einen neuen Bademantel und einige Handtücher: »dann sind die alten wahrscheinlich jeweils verschlissen«, meint der Empfangsdirektor Juliusz Rojek. Aber bei Stammgästen, die fünf Tage in der Woche im gleichen Hotel leben, wird das hingenommen. Meist sind die Jäger und Sammler Geschäftsreisende aus aller Welt. Wer dagegen als Tourist eine Packagetour für ein Wochenende in Berlin gebucht hat, ist weniger anfällig, wurde im Steigenberger und im Savoy festgestellt. Es seien meist betuchtere Leute, die sich die Klamotten auch im Geschäft kaufen könnten.

Die Gründe liegen in der Sammlerleidenschaft, dem Gefühl »ich hab ja fürs Zimmer bezahlt« oder der Prestigesucht: statt Autoaufkleber aus dem Tirol nun die Hotelaschenbecher in der Vitrine. Nur ein Grund stimmt fast nie, wird dem Gast aber am ehesten nahegelegt: »Haben Sie vielleicht zufällig beim Kofferpacken unseren Aschenbecher mit ihrer alten Zahnbürste verwechselt?« Rochus Görgen