Lieber Pommes mit Majo als Biokarotten

■ Nur zwei Läden bieten im Ostteil der Stadt Bioprodukte an / Die Nachfrage ist gering, die Vorurteile gegen »Körnerfraß« sehr groß

Berlin. Schlappe zwei Ökoläden für 1,3 Millionen hungrige Münder und Mägen hat Ost-Berlin seinen Einwohnern zu bieten. Nicht gerade viel im Vergleich zum Westteil mit über 100 Läden für Körner, Obst und Gemüse aus biologischem Anbau. Auch nicht viel im Vergleich zu den sprießenden Imbißbuden für Pommes mit Majo und Currywurst. Dabei seien Ökoläden »zwingend notwendig« für unser aller Ernährung, meint Birgit Eichhorn, die vor drei Wochen einen entsprechenden Laden in der Wöhlertstraße 1 in Mitte eröffnete. Und daß sagt sie nicht nur, um gut zu verkaufen: Sie will, »daß die Leute dies endlich kapieren«.

Der 23jährige Mechaniker Reinhart Schliepert hat's kapiert: Er ist einer der wenigen Kunden des Ökoladens. 4,40 Mark legt er für den Demeter Möhrensaft auf den Ladentisch. Allerdings gibt er zu: Konsequent in Sachen biodynamische Ernährung ist er nicht, meist geht auch er bei Aldi oder im Konsum einkaufen. Doch der Karottensaft sei »ganz hervorragend«.

Leicht hatte es Birgit Eichhorn beim Aufbau ihres Geschäftes nicht gerade. Sechs Monate mußte sie sich mit der Wohnungsbaugesellschaft herumstreiten, um das Ladenlokal, das früher einmal eine Wohnung war, gewerblich nutzen zu dürfen. Staatliche Förderungen als Existenzgründerin bekam sie nicht, auch keine verbilligten ERP-Kredite. Dafür hätte sie teure Gutachten und den Nachweis einschlägiger Berufserfahrung gebraucht und viele bürokratische Hürden überwinden müssen. Damit jedoch kannte sich die 26jährige ehemalige Sekretärin aus Ost-Berlin nicht aus. Schließlich nahm sie einen normalen Kredit zu marktüblichen Zinssätzen auf.

Nach der Grenzöffnung besuchte sie zahlreiche Kurse und holte sich Bücher über Bioprodukte aus der Amerika-Gedenkbibliothek. »Wir übernehmen alles aus dem Westen, warum nicht auch das Gute«, dachte sie sich und wurde konkret. Ihr Wissen will sie jetzt auch weitergeben: In einer Schule soll sie einen Vortrag über Naturkost halten. Die Schüler, die sich an den Schaufensterscheiben des neueröffneten Geschäfts ihre Nasen plattdrückten, hatte sie einfach angesprochen und deren Lehrerin war einverstanden.

Kein Bock auf Biobrot

Doch die meisten Leute in Ost wie West reagieren ablehnend auf die Bioprodukte. Meist etwas teurere und wenig glänzende Äpfel sind nicht jedermanns Geschmack. Die Zubereitung von Körnern ist den meisten unbekannt, obwohl in den Bioläden weit mehr als nur lose Körner angeboten werden. Zum Beispiel Vollkornbrot, daß wirklich nur volle Körner hat und nicht nur die vom Lebensmittelgesetz vorgeschriebenen 20 Prozent. Oder Eier von freilaufenden Hühnern, die nicht mit Antibiotika vollgestopft werden.

Doch die Normalreaktion auf das Wort »Naturkost« ist ablehnend. Vorurteile über den »Körnerfraß« wanderten schneller über die fallende Mauer als Einsichten. So meinte ein Uniformierter, nach dem Weg zum Bioladen befragt: »Weeß ick nich, bin doch keen Körnerfresser.« Wenn er vom vielen Sitzen bald Rheuma bekommt, könnte das an der schlechten und billigen Ernährung gelegen haben. 80 Prozent aller Krankheiten haben als Mitursache eine falsche Ernährung, reicht die Bioladen-Besitzerin ihre neuen Erfahrungen weiter. Zuwenig Vitamin B, dazu noch zuviel Zucker entziehe den Knochen wichtige Substanzen und fördere das Rheuma. Weil die Ernährung kein konstanter Kostenfaktor wie Wohnung oder Auto ist, sparen die Leute hier zu ihrem eigenem Nachteil am meisten, meint Eichhorn.

Gespart hat Ralf Selle nicht. Bereits im Dezember vorigen Jahrs eröffnete der 28jährige den ersten Ostberliner Bioladen. Als er die für 300 Mark Miete angebotenen Räume im Scheunenviertel das erste Mal sah, wäre er fast in Ohnmacht gefallen: keine Elektrik, kein Wasser, keine Heizung. Mittlerweile hat er die 60 Quadratmeter Verkaufsfläche in der Mullackstraße 14 komplett renoviert. Äpfel, Brot und Gemüse liegen appetitlich in verschiedenen Körben in den Räumen des Altbaus.

Während anfangs dreiviertel seiner Kundschaft aus dem Westen kam, sind es heute überwiegend Leute aus der Gegend, die in der »Bio-Scheune« einkaufen: West-Instandbesetzer, Arbeiter und ältere Leute. Viel teurer als die Supermärkte ist er nicht; dies sei nicht der Hauptgrund für die relativ geringe Nachfrage, meint Seller. Entscheidender sei das notwendige Umdenken bei der Kundschaft; fast nichts ist fertig verpackt und die Haltbarkeit der Frischwaren ist wegen der fehlenden Konservierungsmittel recht kurz. Doch er glaubt, daß er irgendwann von seinem Laden leben kann.

Noch kommen fast alle Produkte über einen Großvertrieb aus Westdeutschland oder aus Frankreich. Künfig sollen die Frischwaren, wie zum Beispiel Eier, aus der ehemaligen DDR kommen. Doch nie kann Seller es allen recht machen: Die einen wollen keine Westprodukte kaufen, weil sie die heimische Landwirtschaft stützen wollen, die anderen vertrauen nicht darauf, daß irgendein Produkt aus dem »beigetretenem Pestizidland« den Namen »Bio« verdient. Rochus Görgen

Schließlich verrät Seller noch ein Rezept, daß der gelernte Koch und heutige Bio-Verkäufer den taz-Lesern ans Herz und in den Magen legen will: Einen Vollwertsalat. Man nehme für das Dressing: 2 Eier, Zwiebeln und Knoblauch, einige Spritzer Balsamikumessig, etwas Olivenöl und Milch; alles mischen und mit Salz und Pfeffer recht scharf abschmecken. Diese Souce unter den Salat, bestehend aus Batavia-, Lorosso- und Kopfsalat, mischen. Abgerundet wird das ganze mit einigen gekeimten Körnern, die locker auf den Salat gestreut werden. Alle Zutaten sind in Bioläden erhältlich.