Mit Schlips auf die erste Berliner Ökomesse

■ Rund 20.000 Besucher wurden in drei Tagen auf dem »Ökologiemarkt Berlin 91« gezählt/ Das Ungewöhnliche und Teure zog die Besucher an

Berlin. Die Zeiten, in denen Ökomessen nur von einem kleinen Publikumskreis besucht wurden, sind lange vorbei: »Die Leute hier sind total durcheinander: Professoren, Leute mit Schlips, Kids — quer durch alle Beete«, beschreibt ein Aussteller sein Publikum auf dem »Ökologiemarkt Berlin 91«.

Nur etwas Geld sollte vorhanden sein: egal ob 28.000 Mark für einen Elektrotrabi oder 200.000 Mark für ein Holzhaus. Preiswertes Umweltpapier sorgte bei den Besuchern dagegen für weniger Begeisterung. Wer einen Elektrotrabi kauft, kauft ihn häufig weniger wegen der Ökologie, sondern aus »Imagegründen«, gibt Arno Paulus zu. Allerdings kann der stolze Besitzer dann für schlappe 25 Pfennig Nachtstromkosten vom Messegelände nach Potsdam fahren. Und auch eine Fahrt mit dem vergleichsweise teuren Solarstrom ist noch billiger als mit Benzin. Angesagte Tankstelle: die am vergangenen Donnerstag in Potsdam eröffnete Solartankstelle.

Ansonsten herrschte der ganz normale Messestreß: Die 150 Aussteller in vier Hallen versuchten eifrig, ihre Produkte an Mann und Frau zu bekommen. Einen Durchschnitt von 15 Minuten pro Informationsgespräch rechnete sich Messeaussteller Claus Teister aus. Bei anderen Messen wären die Menschen weit weniger intensiv interessiert. Offensichtlich haben die Berliner hier Nachholbedarf — in Westdeutschland sind jährliche Ökologiemessen schon seit Jahren üblich.

Aussteller Teister hatte sich auf Kompostierungsbehälter spezialisiert. Der Renner war die »Hamburger Wurmbank« für rund 100 Mark: Eine Kiste, die, auf dem Balkon aufgestellt, sowohl als Sitzbank als auch als ökologischer Abfallvernichter benutzt werden kann. Die rund 360 mitgelieferten, ursprünglich aus den USA stammenden Rotwürmer verwandeln innerhalb von vier Wochen Küchenabfälle in Kompost. Solange keine Fleischabfälle in den Kompostbehälter kommen, bleibt die ganze Sache geruchsfrei — nur der fertige Humus duftet etwas nach frischer Walderde.

Die größten Schlangen gab es gestern an den Messekantinen: Wohl aus Solidarität mit den Messeausstellern gab's statt Pommes mit Mayo diesmal Vollwertkost. »Eine Currywurst könnt' ich jetzt auch nicht essen«, meinte eine Besucherin am Vollwertimbiß. Aus ganz unterschiedlichen Gründen gingen viele Besucher zum »Kristall-Healing- Center«: Ähnlich wie Akupunktur, so Frank Burg, ließen sich durch das Auflegen von Steinen auf bestimmte Körperstellen verschiedene Krankheiten austreiben. Für jede Krankheit gibt es eigene Steine. Einer der Mitarbeiter in dem Familienbetrieb geht mit gutem Beispiel voran und versucht zur Zeit, seine Erkältung durch das Energiefeld eines Steins loszuwerden. Doch viele schauten sich dort einfach nur nach schönen Mineralien um.

Obwohl die Messeleitung der ersten Ökologiemesse in Berlin von insgesamt rund 20.000 Besuchern sprach, waren die Parkplätze für Autos rund um das Gelände auffallend leer, dafür stauten sich die Fahrräder vor dem Eingang. Mehr Besucher als bei anderen Messen waren mit dem Velo oder der BVG zum Messegelände am Funkturm gekommen, meinte Projektleiterin Marianne Laufenberg. Da zumindest stimmte der Untertitel der Messe: »Die ganz normale Alternative«. Künftig soll es in Berlin einmal jährlich eine Ökomesse unter dem Funkturm geben. Rochus Görgen