Studieren in Zelt und Rumpelkammer

■ Das Wintersemester hat begonnen / StudienanfängerInnen campieren in Notzelten / Essensausgabe in der Mensa wegen „Personalmangel“ geschlossen / Rücksichtslose Ellenbogen-Mentalität unter ProfessorInnen

Die Parkplätze sind wieder proppenvoll, die Straßen rund um die Uni mit Autos zugestellt: Semester hat begonnen!

Gerade erst auf dem Campus angelangt, auf dem Rasen vor dem Uni-Herzstück aus Mehrzweckhochhaus, Mensa und Bibliothek, ist die taz-Reporterin gleich konfrontiert mit studentischer Not '88: StudentInnen haben zwei Zelte als Notunterkünfte für ihre neuen StudienkollegInnen aufgestellt, die kein Zimmer gefunden haben. Mehr als 4.000 Erstsemester haben sich an den Bremer Hochschulen eingeschrieben, über ein Drittel kommt von zu weit her, um zu pendeln.

Christian Rohlfing, Geschäftsführer des Studentenwerks, das für die sozialen Belange der StudentInnen zuständig ist, sieht zwar noch keine obdachlosen KommilitonInnen. Viele der auswärtigen StudienanfängerInnen seien allerdings bei FreundInnen, in der Jugendherberge oder in zu teuren Zimmern untergekommen und müßten dort bald wieder ausziehen. Immerhin hätten etwa 600 BremerInnen auf die Hilferufe der Wohnungssuchenden durch die Medien reagiert und dem Studentenwerk Zimmer angeboten.

Hilde vom AStA sieht die Resonanz auf den Notruf mit ge

mischten Gefühlen. Unter den Angeboten seien „Rumpelkammern von acht bis zehn Quadratmetern“, für die die StudentInnen womöglich mehr als 200 Mark berappen sollten. Zimmerangebote seien auch schon mit Auflagen verknüpft gewesen: „Da soll man sich dann zweimal die Woche verpissen, weil jemand anderes in das Zimmer kommt.“ In einer Pressemitteilung fordert der AStA denn auch, daß der Senat das Studentenwerk finanziell unterstützt, damit Wohnungen angemietet und verbilligt an Studenten weitergegeben werden können. Wohnraum gebe es noch, der allerdings für Studenten nicht finanzierbar sei. Langfristig sei der Bau eines neuen Studentenwohnheims unabdingbar.

Kaum besser bestellt ist es um eine zweite Lebensnotwendigkeit: Das Essen. „Wegen akuten Personalmangels infolge langfristig unbesetzter Planstellen geschlossen“ verkündet ein Schild vor den runtergelassenen Rolläden einer von vier Essensausgaben in der Mensa. Ausgerechnet der Tresen für Salate, Quarkspeisen und anderweitig gesunde Beilagen ist dem Personalengpaß zum Opfer gefallen. „Das trifft überwiegend Frauen, Studentinnen, die sich an dem Tresen ihr

Mittagessen zusammenstellen“, weiß Studentenwerksleiter Rohlfing. Er hat noch eine weitere schlechte Nachricht: Ab Montag wird auch der Gesund-Tresen in der Hochschule am Neustadtswall geschlossen.

Bei solchem Gerangel ums Essen und ein Dach überm Kopf ist es kein Wunder, daß Einrichtungen wie die Psychologisch -Therapeutische Beratungsstelle aus dem Blickfeld geraten, die sich mit ABM- und Honorarkräften über die Runden zu retten sucht. Der Zusammenbruch scheint bevorzustehen, wenn demnächst Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für AkademikerInnen gekürzt werden. Dabei sucht nach einer bundesweiten Erhebung etwa ein Fünftel der Studierenden eine solche Beratungsstelle auf. Die Zahl dürfte auch in Bremen weiter steigen, wenn wegen des Massenbetriebs StudentInnen noch weniger Kontakt zu ihren ProfessorInnen haben und noch orientierungsloser durch die Gänge laufen.

Auf das Stichwort „Massenbetrieb“ spult Konrektor Christian Marzahn eine lange Liste von Studiengängen ab. Der Run auf Studienplätze betrifft Psychologie und Produktionstechnik ebenso wie Informatik und Öko

nomie oder Biologie und Kulturwissenschaft, das jüngste Kind der Bremer Uni.

Dem Ansturm der StudentInnen stehen in manchen Studiengängen sogar weniger HochschullehrerInnen gegenüber als vor einigen Jahren. In Ökonomie beispielsweise hat der bundesweite Boom in der Betriebswirtschaftslehre zu einem günstigen Markt für BWL-Hochschullehrer gesorgt. Eine günstige Gelegenheit für Bremer Betriebswirtschaftler, sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. „Die gehen, weil die Ausstattung hier so schlecht ist“, weiß Ökonomiestudent Ralf, „die müssen so viel Büroarbeit selber machen.“

Das sieht Sozialpädagogik

Professor Marzahn kaum anders. Allerdings habe Bremen früher in mancher Hinsicht weit über dem Bundesstandard gelegen, als Kleingruppenarbeit noch eine tragende Säule der Reformuni war. Da gleiche sich Bremen jetzt dem schlechten Vorbild anderer Universitäten an, wo Anfängerveranstaltungen mit 500 oder 1.000 StudentInnen üblich seien.

Bei seinen professoralen Kollegen macht der Konrektor verschärfte Ellenbogenmentalität aus. 17 Jahre nachdem sie ihre Pforten geöffnet hat stecke die Uni in einem neuen „Gründungsfieber“ von Initiativen und Instituten. Viele der Initiativen ließen allerdings den Blick auf den Nachbarn vermissen, „um nicht

zu sagen, sie sind rücksichtslos“.

Ungeklärt bleibt das Verhältnis zwischen Forschung und Industrie. Das soll in den nächsten Monaten anders werden. Nach Jahren der Distanz zur Privatwirtschaft sollen wenigstens einige Richtlinien für Ordnung im neuentdeckten Geben und Nehmen zwischen ProfessorInnen und Wirtschaft sorgen. Dafür gebe es ein paar Kriterien. So sollen sich die ProfessorInnen bereiterklären, keine Forschung zu betreiben, deren Ergebnisse sie nicht auch selber veröffentlichen. Geheimlabors hätten demnach keine Chance an der einstigen Reformuni, die im Interesse der abhängig Beschäftigten lehren und forschen wollte.

Gaby Mayr