„Im Vergleich zu Stammheim ist das hier das Paradies“

■ Ein Gespräch mit Peter–Jürgen Boock, der nach sechsjähriger Isolationshaft in Stammheim seit einem halben Jahr im „Normalvollzug“ in Hamburg–Fuhlsbüttel einsitzt

Von Ute Scheub

Am liebsten hätte ich gesagt: „Komm, laß uns in eine andere Kneipe gehen, die hier gefällt mir nicht.“ Doch es gibt keine Wahl. Ich komme von draußen und treffe mich mit Peter–Jürgen Boock in einem tristen, ölig gelb gestrichenen Raum des Hamburger Knastes „Santa Fu“. Auch wenn wir locker und entspannt miteinander reden, so als gäbs kein drinnen und draußen - die Gitter sind Realität. Und daß ich am Ende eines zweieinhalbstündigen Gesprächs den Ausgang passieren kann und er nicht, beschämt mich. Es will mir nicht in den Kopf, daß dieser sympathische Mensch, mit dem ich über alles diskutieren und lachen (!) kann, ein Leben lang eingesperrt sein soll. Ausstieg ohne Verrat Peter–Jürgen Boock, intelligenter Sohn sogenannter kleiner Leute, unverstanden im Elternhaus, Lehre abgebrochen, landete nach einem „Ausbruchsversuch“ in eine holländische Familie im Erziehungsheim. Dort wurde er 1969 von Andreas Baader und Grudrun Ensslin herausgeholt. „Die haben mich aus dem Heim geholt, also war es für mich logisch, daß ich sie aus dem Knast hole. Mir ging es um diese Leute, nicht um die Ideologie.“ Als Ensslin, Baader und Raspe tot waren, hatte der bewaffnete Kampf keine Bedeutung mehr für ihn, war es aus. Doch nicht ganz: Denn diese Menschen, die ihm viel bedeute ten, zu denunzieren, ist einem Peter–Jürgen Boock nicht möglich. Ausstieg ohne Verrat also. Doch dies war das schlimmste Verbrechen, das er diesem unseren Rechtsstaat antun konnte. Und die Rache war fürchterlich: Zu dreimal lebenslänglich plus fünfzehn Jahren wurde Boock verurteilt, der sich an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto, an der Entführung und Ermordung Schleyers und am Mord an dessen Begleitern beteiligt haben soll. Schlüssige Beweise für eine aktive Tatbeteiligung sind bis heute nicht erbracht. Mit diesem Urteil wurde das höchste Strafmaß in der Geschichte der Bundesrepublik verhängt. Erst durch eine Revision im November 1986 wurde es in einem zweiten Prozeß vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf einmal lebenslänglich „verkürzt“. „In Stammheim wirst Du systematisch zerstört“ Im Januar 1988 hat der Häftling Boock sieben Jahre Knast hinter sich. Zuerst die Isolation im Sicherheitstrakt des Hamburger Untersuchungsgefängnisses, dann die Isolation in Stammheim, und nun seit knapp einem Monat sitzt er in einer Zelle von „Santa Fu“, die, wie die seiner rund 600 Mitgefangenen, den ganzen Tag offen steht. „Im Vergleich zu Stammheim ist Fuhlsbüttel das Paradies“, sagt der 36jährige, und bei seinen Erfahrungen kann das nicht verwundern. „In Stammheim werden die Persönlichkeiten ganz systematisch zerstört. Mit Sicherheit haben die Maßnahmen dort nichts mehr zu tun. Wenn die Gefangenen von Stammheim sehen könnten, wie ich hier im Bau oder im Gelände rumrenne, die würden glauben, sie träumen. Dort können sie sich nirgendwo bewegen, ohne daß drei Mann mitrennen und ihnen Handschellen anknallen. Hier hast du das umgekehrte Problem: Wenn du mal ausnahmsweise einen Beamten brauchst, mußt du lange suchen gehen.“ Wir lachen. Daß einer nach sechsjähriger Totalisolation noch so lachen kann! Dennoch hat die menschenunwürdige Behandlung Spuren hinterlassen: „Ich habe Schwierigkeiten, mit zwei oder drei Personen gleichzeitig zu reden“, sagt Boock, „das ist immer noch eine Überforderung. Und ich tu mich schwer, meine Tür selbst zuzumachen. Nicht, weil ich nicht weiß, daß sie einen Drücker hat, sondern weil es bisher keinen gab.“ Er beschreibt sich selbst als „Tiger, der bislang hinter Zoogittern gelebt hat und nun im Dschungel, in der freien Wildbahn ausgesetzt wird.“ Aber Boock will die Desorientierung und innere Isolation durch Integration überwinden. Und: er ist ein Mensch mit großen sozialen Fähigkeiten. Mit anderen Gefangenen zusammen versucht er nun, in die Anstaltszeitung „ein gewisses professionelles Niveau reinzukriegen“ und Künstler wie Wolf Biermann, Peter Schneider oder „vielleicht mal BAP“ für knastinterne Kulturveranstaltungen zu gewinnen. Das Problem, von anderen Gefangenen als jemand Besonderes angesehen zu werden, löst er auf seine eigene, gänzlich unüberhebliche Art: „Die merken schnell, daß ich von meiner Person kein Aufhebens mache.“ Inzwischen haben sich für ihn neben seinen zahlreichen, sorgfältig gepflegten Freundschaften „draußen“ auch viele „drinnen“ entwickelt. Naja, eine „Zwitterposition“ habe er schon immer gehabt, sagt er, „auch in der RAF“, denn deren Forderung nach Zusammenlegung habe er so nie teilen können: „Ich war schon immer der Meinung, daß man sich mit den normalen Knackis auseinandersetzen muß. Das hängt auch mit meiner sozialen Herkunft zusammen. Trotzdem: Etwas ausgefallene Vorstellungen haben manche Mitgefangene schon von mir. Die denken, ein Anruf von mir beim Justizsenator Curiila genügt, damit ihre Sache läuft.“ Dennoch: die knastinterne Kommunikation läuft gut, ebenso wie die gemeinsame Arbeit an der Verbesserung der Haftbedingungen; z.B. die von Hamburgs ehemaliger Justizsenatorin Eva Leithäuser vorgeschlagene, jedoch bis heute immer wieder hinausgeschobene Einrichtung von Besucherzellen, in denen Paare und Familien ungestört ein Wochenende miteinander verbringen können. Boock: „Die Idee wird in Nordrhein–Westfalen sogar von der CDU vertreten, und im katholischen Spanien ist sie längst realisiert. Warum werden hier immer noch die Angehörigen mitbe straft? Wie soll eine Resozialisierung durch Entsozialisieren in einer asozialen Umgebung möglich sein? Möglicherweise schreckt Hamburgs Senat hierbei aus Angst vor der CDU und den ständig wiederkehrenden „Bild“–Kampagnen über die „Sex– und Rauschgifthölle Santa Fu“ zurück. Aber, sagt Boock, „hier gibt es zwar ein Drogenproblem, es ist jedoch sehr viel geringer als in dem halben Dutzend Knästen, die ich kennengelernt habe. In Stammheim ists eher noch schlimmer. Aber dort wird alles unter den Teppich gekehrt, während hier halt alles offen ist.“ Für ihn persönlich ist das „einzig Makabre“ an Fuhlsbüttel, daß er „für den Aufenthalt auch noch selbst bezahlen muß“ - 650 Mark im Monat von seinen Einnahmen als Schriftsteller. Überlebenskämpfe Der Roman, an dem Boock mit prozeßbedingten Unterbrechungen seit drei Jahren arbeitet, steht kurz vor der Fertigstellung. „Ich habe versucht, eine Geschichte zu erfinden, die das zusammenfaßt, was ich in meiner Zeit in der RAF erlebt habe. Ich weiß, daß sofort alle grübeln werden, welche Romanperson wer ist, aber das ist vergebene Liebesmüh. Es gibt darin keine Aktion, die real stattgefunden hat, keinen Menschen, der wirklich existiert hat. Auch die Hauptfigur bin nicht ich. Mir ging es darum, den Prozeß in einer isolierten Gruppe im Untergrund zu beschreiben - wie der Idealismus über Bord geht und der nackte Überlebenskampf dominiert.“ Den Überlebenskampf in seiner Isolationshaft führte er schließlich mit der Schreibmaschine als Waffe. Boock: „Für mich war das Schreiben, das Geschichten erfinden, die einzige Möglichkeit zu kompensieren. Das gab mir die Kraft weiterzumachen. Wenn man sich in Stammheim keine Innenwelt zulegt, ist man verloren. Man muß sich seinen ganz persönlichen Wahnsinn zulegen, um nicht verrückt zu werden. (...) Den kritischsten Punkt in meinem ganzen Prozeß haben viele Leute gar nicht mitbekommen: als die Bundesanwaltschaft meinte, mein Manuskript möge doch bitte auf der Stelle beschlagnahmt werden. Das ging mir sehr unter die Haut, und das wollten sie auch. Sie wußten ja, daß da für die Strafverfolgung nichts Verwertbares drin war, weil alles fiktiv ist. Aus diesen Gründen hat der Vorsitzende Richter Schmied dann die Beschlagnahme auch abgelehnt.“ Das war in Boocks zweitem Verfahren, das schließlich mit einem „lebenslänglich“ endete. Und wann kommt Boock endlich heraus? „Theoretisch könnte ich jetzt schon Ausführung bekommen“, sagt er. „Vom Gesetz her stünde dem nichts im Wege. Aber ich weiß ja nicht mal, wer für meine Haftbedingungen zuständig ist: die Anstalt, das Strafvollzugsamt, der Justizsenator, das BKA, die Bundesanwaltschaft, der Innenminister? An meine Haftbedingungen traut sich ja keiner ran, solang nicht ein Ukas von oben kommt.“