Deutsche Linke im Beißkrampf

■ Gremliza: Ich war Karl Kraus / Wallraff: Ich bin der ich bin / Selbstverstümmelung auf Gegenseitigkeit

Karl Kraus ist tot. Der Karl– Kraus–Preis lebt. Er wurde am vergangenen Freitag in der Patriotischen Gesellschaft zu Hamburg verliehen. Stifter und einziges Jury–Mitglied ist Hermann L.G., der Herausgeber einer Hamburger Monatsschrift, die unter dem Titel konkret erscheint. Über einen Literaturpreis regt sich niemand auf. Der Karl– Kraus–Preis ist eine Ausnahme von dieser Regel. Der Gewürdigte wird mit 30.000 Mark beschenkt, unter der Bedingung, daß er keine Zeile mehr schreibt, sondern einen nützlichen Beruf ergreift. Der diesjährige Preisträger ist kein Feuilleton–Flaneur wie der 1986 (erfolglos) stigmatisierte Fritz J.R., sondern Günter W., der postmoderne Robin Hood aller Erniedrigten, Gedemütigten und Beleidigten. Günter W. äußert sich in der taz zu den Beschimpfungen G.s. Heiner Müller hat ihn gefragt: taz: Mich hat zunächst immer mehr interessiert die Wirkung von dem, was Sie machen, als wie es zustande kommt. Ich meine also das Verhältnis zum Material und wie man damit umgeht, wie man das verwertet. Ich würd einfach mal fragen, der Hauptvorwurf von Gremliza ist jetzt, daß Sie das nicht selber geschrieben haben. Also die These, die jetzt da von einem ehemaligen Sensationsreporter im Stern kommt, ist, ich hab nie im Leben eine Zeile geschrieben. Selbst wenn das so wäre, aber es stimmt nicht, weil ich hab an allem, was veröffentlicht wurde, selbst in Extremfällen den Hauptanteil - auf die Extremfälle komm ich zu sprechen - aber bei den wichtigsten Büchern ist es meine Handschrift, ist es mein Erleben, was ich zum Teil erlitten, zum Teil erkämpft hab, zum Teil aber auch meine ureigene Gebrochenheit in dieser Gesellschaft, die ich immer wieder auslebe, das wird eigentlich für mich eine Form überhaupt des Überlebens. Ich wär sonst unter Umständen in der Irrenanstalt, wo ich zu Bundeswehrzeiten, als ich die Arbeit begann, unfreiwillig lange Zeit war, weil ich mich da querlegte und keine Waffen in die Hand nahm. Da hat eigentlich das Spiel angefangen, ich bin dann in Fabriken gegangen, hab über Jahre in Fabriken gearbeitet. Da hat mir leider damals keiner noch helfen können. Der erste, der aufmerksam wurde, war der Armin T. Wegener, der damals diesen Brief geschrieben hat. Dann wars der Kasunke, das erschien unter dem Titel „Wir brauchen dich“. Da war eine viel zu geringe Lektoratsarbeit. Das Buch hat über Jahre eine Auflage von 2.000 überschritten. Die späteren Reportagen waren schon Aktionsreportagen, Rollenreportagen, wo ich vorübergehend in andere Existenzen schlüpfte und dann vor Ort etwas inszeniert habe. Zum Beispiel ließ ich mich in eine geschlossene psychiatrische Klinik einweisen, als das noch ein Tabuthema war. Ich bin auch nur unter großen Schwierigkeiten rausgekommen. Ich hab darüber Tagebuch geführt, ich hab das alles aufgezeichnet. Ich hab den Napalm–Fabrikanten simuliert, um meine eigene Herkunft aus der katholischen Kirche kritisch zu überprüfen, und hab damals dadurch in der katholischen Kirche ziemliche Probleme gehabt. Da arbeitete ich bereits mit Tonband, da waren es manchmal Fragen der Kürzungen, der Gestaltung. Es war eine Erlebnissituation, eine Aktionsliteratur. Die Arbeit bestand darin, diejenigen, die sich sonst tarnen und maskieren, so darzustellen, wie sie sich der Öffentlichkeit selbst nie präsentieren. Das war die einzige Kunst. Es gab kaum Aktionen, die nicht mit Prozessen beantwortet wurden, wo ich standhalten mußte, meinen Kopf hinhalten mußte. Es gab allerdings auch, und da hat Hermann Gremliza, den ich übrigens für unterbewertet halte. Er ist extrem unterbewertet und diese Achtung, die ich inzwischen habe und die ich so gesucht habe und die mir manchmal auch mehr zur Last geworden ist, die macht den rasend. Und er hat mir in einer wesentlichen Arbeit, als Konkret das einzige Forum war, da hat er mir sehr geholfen, als ich bei der Bild–Zeitung in meiner Rolle als Reporter steckte, meine größte Schmutzrolle, die ich mir auch in der Form nicht mehr zumuten würde, wo ich mit zwei Gehirnwäschen mich total umkrempeln mußte. Als dann durch eine Indiskretion das Ganze platzte und die Bild–Zeitung mit gewetzten Messern mit einer Serie über mich herfallen wollte, da war ich in enormem Zeitdruck. Das mußte vor dieser Kampagne raus, sonst hätten die mich zunichte gemacht, bevor es erschien. Da hab ich sein Angebot gerne wahrgenommen, meine Erlebnisse auf Tonband zu sprechen, und das, was ich in einem Film auch schon in die Kamera gesprochen hatte. Fortsetzung auf Seite 2 So war das Buch auch. Es lebt aber auch davon, daß er allzulange Berichte in Kurzform gebracht hat, so bearbeitet hat, aber ich hab sie dann nochmal umgearbeitet, und letztlich ist das übrig geblieben, was meine Erlebnisse und Erfahrungen ausmacht. Ich will jetzt nicht, es wäre sehr vermessen zu sagen, es gibt auch in der Literaturgeschichte Fälle, daß jemand was sagt und ein anderer es weiter fortführt. Es gibt Filme, wo das ganz normal ist. Hier war Buch und Film eine Einheit. Indem ich mich bei Bild überhaupt so einbrachte und sie provozierte und sie zum Teil auch lächerlich machte. Daß dann die Bild–Sache zum Erfolg wurde, das war nicht der Text, das war die Aktion. Die eigentliche Arbeit ging los, als das Buch dann da war, eine Lawine von Protesten, es gibt über 14 verschiedene Ausgaben, wo immer wieder Änderungen gemacht werden mußten. Da saß ich dann und mußte verbotene Stellen neu formulieren. Ich hab es gemacht, da half mir dann kein Gremliza mehr, und ich mußte auch vor Gericht alleine den Kopf hinhalten, und hatte einen voreingenommenen Richter, der alles im Springer– Sinne entschieden hat. Ich hab nach diesen Prozessen dann auch Aktionen gegen Bild offensiv gestartet. Auch da half mir kein Gremliza. Ich habe die Kill–Zeitung im Bild–Stil aufgemacht, zum Verwechseln ähnlich, ne ganze Reihe rausgegeben und in zigtausend Exemplaren vor Betriebstoren, Fußgängerzonen und so weiter gegen Bild verbreitet. Auch da haben sie versucht zu prozessieren und sind nicht durchgekommen. Ich habe dann auch einen Rechtshilfefonds gegründet, der heute noch besteht, wo Hunderte Rufmordopfer von Bild, und in den meisten Fällen erfolgreich, zu Rechtshilfe kamen, zu Gegendarstellungen, Widerrufen, aber auch zu Schadensersatz bis zu über 100.000 Mark. Dieses vom Geld meiner Honorare auch. Diese Sachen haben sich rumgesprochen. Die Urteile sind dann härter ausgefallen. Und wenn Gremliza heute rumgeht und sagt, das ganze war ja Unsinn, und er bestreitet die Wirkung in der Literatur, weil er selbst so wirkungslos ist, weil er über allem thront, und dann vergißt er, daß zwar die Auflage, die wirtschaftliche Macht nicht runterzubringen ist, daß aber das Ansehen des Blattes dahin ist. Daß die Autorität des Blattes gebrochen ist, und daß heute die eigenen Leser ihrer Droge mißtrauen. Eine Fernsehsendung hat jetzt ne Umfrage gemacht, da kam raus, daß überhaupt nur 30 Prozent der Bild– Leser also diesem Blatt glauben. Das hab ich durch diese Arbeit erreicht, und das hat sich herumgesprochen, eine neue Moral entsteht, wo vorher die reine Willkür und Macht vorherrschten, und keiner kann heute mehr so tun, als hätte er von allem nichts gewußt. Und aus den Betrieben berufen sich Arbeiter nicht mehr auf die Bild–Zeitung. * * * Nach dem Gespräch mit Wallraff und der Lektüre von Gremlizas Karl Kraus–Preisrede gegen ihn wünschte ich, sowohl die Wallraffs als auch die Gremlizas kämen im Dutzend vor. Feuer und Wasser auf der einen Seite, Feuer und Wasser auf der andern und hinter ihnen gegen sie der gemeinsame Feind. Natürlich schlägt der Kapitalismus aus allem Kapital, dient der Widerstand auch als Medienfutter, ist der Unwert bloß moralischer Empörung unbestreitbar, kann ich Gremlizas Plädoyer für die Kunst (Literatur) als Mittel, die Wirklichkeit unmöglich zu machen, nur unterschreiben. „Daß einer sich der Sprache bedient, um zu sagen, daß ein Minister untauglich sei, macht ihn nicht zum Schriftsteller.“ (Gremliza) Aber daß einem die Sprache zu schade ist, um einen untauglichen Minister untauglich zu nennen, macht den Schriftsteller nicht aus. Die Konsequenz aus Gremlizas Analyse kann nicht die Analphabetisierung der Arbeiter sein, nur damit sie nicht Konsalik lesen. Es gibt Lagen, in denen Wahrheit entsteht, wenn die Kamera wackelt, das beweist auch dieser traurige Stellvertreterkrieg. Heiner Müller