Einsamkeit macht krank

■ Dreitägiger Kongreß unter dem Motto „Gesundheit ist mehr“ in Hamburg / Bunter Projektmarkt mit 50 Diskussionsforen und Arbeitsgruppen

Von Ute Scheub

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie umfaßt physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden - Menschen mit geringen sozialen Bindungen haben ein zwei– bis dreimal so hohes Sterberisiko wie Menschen mit intensiven freundschaftlichen Kontakten. Das ist der Ansatz, von dem Prof. Alf Trojan, Leiter des Hamburger Forschungsprojekts „Gemeindebezogene Netzwerkförderung“, bisher ausging und der sich wie ein roter Faden auch durch die wesentlich von ihm initiierten „Netzwerk–Tagung“ vom 28. bis 30. November in den Räumen der Hamburger „Hochschule für Wirtschaft und Politik“ (HWP) ziehen soll. Die Veranstalter, der Verein „Sozialwissenschaft und Gesundheit“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizin–Soziologie, erwarten mehr als 3.000 Teilnehmer aus Hamburg und dem Bundesgebiet. „Soziale Netzwerke für eine lebenswerte Zukunft haben eine herausragende Bedeutung für das Gesundsein und -bleiben der Bevölkerung“, heißt es in dem Faltblatt zur Ankündigung der Veranstaltung. „Bürgerinitiativen, Vereine und andere soziale Netzwerke in das rechte Licht zu setzen, ihre Rolle für die Sicherung und Förderung von Gesundheit zu würdigen und kritisch zu hinterfragen, Anstöße zu liefern, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern - dies sind Motive und Ziele unserer Tagung.“ Sie kommen nicht von ungefähr. In einer zweijährigen Studie haben Prof. Trojan und seine Mitarbeiter genau 461 Selbsthilfegruppen, Stadtteilinitiativen und unabhängige gemeindenahe Einrichtungen in Hamburg nach ihren Aktivitäten zur Gesundheitsförderung befragt. „Erste Ergebnisse dieser Untersuchung“, so die Initiatoren, „sollen auf dieser Tagung an die Beforschten zurückvermittelt und mit der Bevölkerung diskutiert werden.“ Erste Ergebnisse der Studie Nach Meinung der Forscher darf der gesundheitsfördernde Effekt der Arbeit von Selbsthilfegruppen zum Beispiel für Suchtkranke und Behinderte oder auch Arbeitsloseninitiativen und Umweltschutzgruppen auf keinen Fall unterschätzt werden. „Das Auftreten von Krankheiten hängt nicht nur davon ab“, so ihre These, „welche Schadfaktoren auf einen Menschen einwirken, sondern auch von den Schutzfaktoren, die ihm zur Verfügung stehen.“ Man könne das auch „soziales Immunsystem“ nennen. Allerdings haben all diese Gruppen auch die gleichen Probleme: 36 Prozent der befragten Initiativen leisten wöchentlich mehr als 20 Stunden unbezahlte Arbeit, 62 bzw 56 Prozent leben von Spenden bzw. Mitgliedsbeiträgen. Ergebnis ist, daß sich zwei Drittel aller Befragten mehr Zuwendungen für Sachmittel und Personal wünschen und genauso viele „die Einrichtung eines Forums für Erfahrungsaustausch der Gesundheit und soziale Unterstützung“, wofür die Tagung ein erster Schritt sein soll. Themen des Kongresses Auf der Veranstaltung selbst werden mehr als 50 Praxis– und Diskussionsforen und Arbeitsgruppen angeboten, und über 80 Initiativen - von „Robin Wood“ bis zu „Männer gegen Männergewalt“, von stadtteilorientierten Kulturinitiativen bis zur „Vereinigung Kleiner Menschen“, von der „AIDS–Hilfe“ bis zu Arbeitslosengruppen - tragen die Tagung und stellen sich auf einem „Projektemarkt“ vor. Um nur einige der Diskussionsforen herauszugreifen: Zum Thema „Kranke Gesellschaft - kränkende Gesellschaft?“ diskutiert am Freitag, den 28.11., Zukunftsforscher Robert Jungk mit Gisela Erler vom Deutschen Jugendinstitut München, dem Kieler Toxikologen Prof. Ottmar Wassermann und Annette Schwarzenau, Gesundheitsstadträtin aus Berlin–Charlottenburg. Am Samstag geht es in der Kampnagelfabrik um „Soziale Bewegungen - Strohfeuer spontanen Widerstands oder Motor für eine lebenwerte Zukunft?“ unter Teilnahme von Prof. Wolf–Dieter Narr, inzwischen Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, der Publizistin Dr. Marianne Gronemeyer, der Journalistin Sibylle Plogstedt, Willi Heitzer, Vorsitzender des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, und Ortwin Runde, Leiter des Amtes für Soziales und Rehabilitation und Hamburger SPD–Landesvorsitzender. Auf ihre Weise wollen sich die Theater–Musik–Gruppen „Herrchens Frauchen“ und „Aprilfrisch“ in den Abend einbringen. Und am Sonntag sollen „Förderkonzepte für freie Einrichtungen und Initiativen“ mit Vertretern von „Netzwerk Selbsthilfe Berlin“, „AG SPAK“ und anderen mehr diskutiert werden, das Thesenreferat dazu will Rolf Schwendter von der Universität Kassel halten. Die kleineren Veranstaltungen alle aufzuzählen ist müßig. Hier seien nur ein paar herausgegriffen: „Emanzipation durch soziale Kulturarbeit“, stellt Freimut Duve zur Debatte, „Tschernobyl und die Folgen“ will Stella Herman referieren. „Arbeit darf nicht krank machen - gesündere Arbeitsbedingungen schaffen“, fordern Postgewerkschafter aus München und der Betriebsrat der Lufthansa in Hamburg. „Ganzheitlichkeit - ein neuer Mythos?“, wird in einem weiteren Diskussionsforum gefragt, oder auch: „Verdirbt Geld den Charakter freier Einrichtungen und Initiativen?“. Auch auf eine Veranstaltung von amnesty international soll hier noch hingewiesen werden: „Folter– und Asylprobleme bei der Rehabilitation von Folteropfern“. Die Tagung ist insgesamt kostenlos. Allerdings bitten die Initiatoren darum, sie durch Spenden und den Kauf des Programmheftes finanzieren zu helfen. Weitere Informationen sind beim Institut für Medizin–Soziologie (UK), Stichwort Netzwerk–Tagung, Martinistraße 52, 2000 Hamburg 20, Tel.: 040– 468–4257 oder -2878 zu erfragen.