Und so weiter

■ Über Harald Budde, den 61jährigen Kreuzberger Journalisten und Filmer aus der "Neo-Dada-Bewegung"

Im Zimmer droht die Trockenvermüllung. Da klingelt es. Das ist peinlich. Das ist Herr Budde. Doch der 61jährige Kreuzberger Dichter und Filmemacher liebt das Chaos. Das sagt er gleich am Anfang. Das sei schöpferisch, und außerdem sehe es bei ihm noch um einiges unordentlicher aus.

Harald Budde ist gebürtiger Berliner, kommt „irgendwo aus der Neo-Dada-Bewegung“ und macht Super-8-Filme. Video, „diese milchige Geschichte“, lehnt der kleine, untersetzte Mann ab. „Deshalb habe ich auch keinen Videorecorder.“ Und weil er statt dessen leidvolle Erfahrungen mit Filmjournalisten hat, die stets vergessen, die auf Video kopierten S- 8-Filme zurückzuschicken, und weil er weiß, daß „die Machart meiner Sachen vielen Schwierigkeiten“ macht, kam er vorbei, um zu reden und seine neuesten Experimentalfilme zu zeigen.

Sein Vater war im Widerstand; die Mutter bei den Nazis. „Bedingt durch die Kriegszeit“, hatte er nie „eine richtige Schulausbildung“ gehabt. So hat sich Budde „alles selber angeeignet“. „Mit elf Jahren erste Textveröffentlichungen“, steht auf einem eng beschriebenen Zettel mit biographischen Angaben. „Mit zwölf Jahren lobende Anerkennung für den Prosatext ,Alarm‘. 1950 Preis vom RIAS- Rundfunk für eine Tiergeschichte.“

Dann arbeitete er sechs Jahre lang als Kameramann und Filmtrickzeichner. Ende der fünfziger Jahre war er Mitglied der Berliner Neo-Dada-Gruppe Vier + Vier, 1968 gründete er die linke Künstlergruppe Rote Nelken; 1972 ein Musiktheaterensemble. 1974 die Zeitschrift Arbeitertheater. „Das ist abendfüllend, was man so erlebt hat.“ Anfang der siebziger Jahre war Harald Budde Mitglied der „berühmten Kreuzberger Parteigruppe 55 der SEW, wo auch die Leute von ,Lokomotive Kreuzberg‘ mit dabei waren“. Eine Zeitlang sei er „in Prawda, Weltbühne und ND“ als Heartfield-Nachfolger gefeiert worden. Nach „bitteren Erfahrungen“ trat er dann wieder aus. Inzwischen sieht er, „daß viele Probleme nicht mehr mit Ideologien zu lösen sind, sondern mit Psychologie“.

Der gebürtige Berliner, der in der DDR als „einer der gefährlichsten kalten Krieger der Publizistik“ beschimpft wurde, ist vielseitig: bildender Künstler, Dichter und Filmemacher. Sein Schaffen umfaßt Hörspiele, Musicals, Anti- Opern, Revuen, Farcen, Dramen, Lyrik, Romane, „hintergründige Geschichten von Ehepaaren, die in der Wohnung herumwandern“, 30 Jahre Journalismus für unzählige Zeitungen. „Da hab' ich mir immer selbst Aufträge gegeben. Nie welche angenommen. Das ging rein psychisch nicht.“ Irgendwann wurde ihm das mit dem Journalismus dann zuviel. „Bin ausgestiegen eigentlich nach der Wende.“ Das Phänomen Budde ist überdeterminiert. Sein Lieblingswort ist „und so weiter“.

Seit 1987 widmet er sich mit der verschworenen Gruppe Kunsthonig ganz dem Super-8-Filmschaffen. In bislang 42 Experimental-, Underground- und Lolli-Filmen, die seltsame Titel tragen wie „Oh Drübermutter! Oh Drübermutter! Wer zwang dich in die Wand?!“ oder „Erlösung von Fremdheit“, geht es Harald Budde und seinen Mitstreitern vor allem um „neue Sehgewohnheiten, wie man so sagt. Unsere Sehgewohnheiten sind ja total im Arsch. Das ist ja grausam.“

Ganz bewußt arbeitet der empfindsame Außenseiter dabei jenseits des Mainstreams. Underground heißt für ihn „einfach nicht so beachtet zu werden; übersehen zu werden, aber aus eigener Absicht“. Es wundert ihn nicht, daß das Publikum oft Schwierigkeiten hat mit seinen Filmen. „Viele sind bei meinen Filmen irritiert. Als wir von den ,Schmalfilmfreunden‘ eingeladen wurden, sind die uns zum Beispiel regelrecht an die Gurgel gegangen. Die haben ja sehr traditionelle Sehgewohnheiten.“

Bei der Ostberliner Aufführung seines 70-Minuten(!)-Films „Die Träume des Funktionärs oder: Wie starb Irrsinsstein?“, einer kritisch eigenen Auseinandersetzung mit dem Zusammenbruch der DDR und der „sogenannten ,Deutsch- Sowjetischen Freundschaft‘“, zu dem die Witwe des filmenden Arbeiters Willi Bündgens historisches Material zur Verfügung stellte, „gab's auch sehr erregte Diskussionen mit Leuten, die solche Sachen ablehnen“.

Neulich lief eins seiner Programme im „Erotischen Museum“ am Hackeschen Markt. „Da haben uns viele Ausländer angesprochen. Das merk' ich sowieso immer. Es ist ja furchtbar mit dem deutschen Publikum und so weiter.“ Die deutsche Konsumentenhaltung ist dem Filmemacher zuwider, wenn er seine Zuschauer berühren kann, ist er glücklich. Da ist es dann auch nicht so wichtig, ob geklatscht oder geschimpft wird. „Meine Filme sollen ja nicht im klassischen Sinne unterhalten.“

Seine Experimentalfilme zeigt Budde am liebsten in besetzten Häusern, im Eimer mit Avantgarde-Bands, im Randkreuzberger Arcanoa, in der Brotfabrik, im Weddinger Forum 111 der Erlöserkirche oder, wie heute abend, beim „Filmfest Neue Sehgewohnheiten“ im El Locco. Manchmal hat er auch kleine Erfolge. Einmal sei er zu einem Festival nach New York eingeladen worden. „Die haben mir dann auch bescheinigt, daß ich so ganz neue Sehweisen praktiziere.“

Viele Dinge spielen in seinen Filmen eine Rolle. „Die Kindheit und so weiter“ oder die Erotik; Puppen, immer wieder Puppen, am Strand und anderswo. Manchmal filmt er auch nur einfach von seinem Balkon die Leute, die so vorbeigehen in der Glogauer Straße.

„Ich bin ja 61 Jahre“, sagt Budde. „Und ich möchte das in der Richtung da alles noch zum Ausdruck bringen. Denn ich hab' soviel Phantasie. Soviel wichtige Dinge, die mich bewegen. Und es ist ja immer so ein herrliches Erlebnis, Menschen zu treffen in so einer Filmveranstaltung, die sich äußern und sagen: Mensch, Sie haben da was gemacht. Das find' ich spannend. Wenn man das Gefühl hat, es gibt so Gleichgesinnte.“ Detlef Kuhlbrodt

Kunsthonig-Filme von Harald Budde, heute, 20 Uhr, El Locco, Kreuzbergstraße 43