Wer entscheidet, wie bunt Tröglitz wird?

KONFLIKT Nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim zeigt sich, wie gespalten der kleine Ort in Sachsen-Anhalt mittlerweile ist. Eine Kundgebung heißt die Fremden willkommen. „Spaziergänger“ agieren dagegen

„Ihr habt Leute eingeladen, die euch aufpeitschen“

SUSANNA NIERTH

AUS TRÖGLITZ CHRISTIAN JAKOB

Im Mai sollten die ersten Flüchtlinge nach Tröglitz kommen. Aber schon jetzt haben sie das kleine Städtchen, das eine halbe Autostunde südlich von Leipzig liegt, vollends gespalten: In der Nacht zum Ostersamstag zündeten Unbekannte eine fast bezugsfertige Flüchtlingsunterkunft für 40 Asylbewerber an. Eine „gemeingefährliche Straftat schlimmster Art“ nennt das Staatsanwalt Jörg Wilkmann.

Zwei Bewohner des Gebäudes, das mitten im Dorf liegt, wurden im Schlaf vom Feuer überrascht, konnten sich aber retten. „Eine bleibende Schande für Tröglitz, die uns nun mit Mölln und Hoyerswerda in eine Reihe bringt“, sagt Tröglitz’ Exbürgermeister Markus Nierth. Er war im März zurückgetreten, nachdem NPDler auch vor seinem Haus gegen den Flüchtlingszuzug protestieren wollten und Nierth Morddrohungen bekommen hatte.

Über Wochen eskalierte der Streit im Dorf. Jetzt gibt es zwei Tröglitz: jenes, das sich nicht damit abfinden will, am Ende als Synonym für rechte Gewalt zu gelten. Tröglitzer, die sich nun erst recht für die Flüchtlinge einsetzen wollen und beschwören, dass ihr Dorf doch „bunt“ sein könne: „Wir wollen uns das Recht nicht nehmen lassen, hier Menschen willkommen zu heißen“, sagt der Pfarrer am Samstag.

Und es gibt das Tröglitz, das sich auch jetzt das Recht nicht nehmen lassen will, genau das zu verhindern. „Nehmt endlich unsere Sorgen ernst!“ heißt es auf dem Twitter-Account „Friedliches Tröglitz“; der sich über „Inländerfeindlichkeit“ beschwert, der „luegenpresse“ Scham empfiehlt und auch nach dem Brand fleißig weiter Artikel über angebliche Ausländergewalt postet.

Ein Dorf, zwei Bürgerinitiativen. Der Riss geht durch die kleine Gesellschaft, klafft tief wie das Loch im ausgebrannten Dach des Flüchtlingsheimes. Die einen haben am Samstag zum Friedensgebet auf dem Dorfplatz gerufen. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff erscheint. „Dieses abgebrannte Haus wird nicht das Wahrzeichen von Tröglitz werden, das war nicht die finale Botschaft heute Nacht“, sagt er.

Jene, die seit Dezember durch Tröglitz gezogen waren, um Stimmung gegen die Flüchtlinge zu machen, sind vorsorglich ausgeladen worden: „Es sind keine NPD-Funktionäre und denen nahestehende Spaziergänger oder geheuchelte Betroffenheit erwünscht!“, schreibt die Organisatorin Susanna Nierth, die Frau des Exbürgermeisters. 250 Menschen kommen – weniger als ein Zehntel der Dorfbewohner.

Jetzt redet Nierth den Dorfbewohnern ins Gewissen: „Ihr habt es nicht verdient, dass jetzt überall der Eindruck entsteht, ihr seid gegen Ausländer“, sagt sie. „Deswegen müsst ihr jetzt eure Stimme erheben.“ Zuerst müssten sich die irregeleiteten Tröglitzer dafür von ihren falschen Freunden lösen: „Ihr habt Leute eingeladen, die euch aufpeitschen.“ Und wie um den neuen Pakt zu bekräftigen, fassen sich alle an den Händen und rufen: „Wir sind Tröglitz, wir sind füreinander da.“ Tröglitzer kündigen an, Privatwohnungen für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen; in der Kirchengemeinde überlegen Frauen, welches Ausflugsprogramm sie den Flüchtlingen anbieten wollen.

Dass sie kommen werden, versichert der Landrat Götz Ulrich: „Wir werden nicht weichen und die Unterbringung hier durchführen,“ sagt er, auch wenn es vorerst „keine geeignete Immobilie“ mehr gebe. Am Sonntag wird bekannt, dass Nazis ihm mit Enthauptung drohen. „Das geht so weit, dass die Methoden der Französischen Revolution angedroht werden“, sagt Ulrich. Am Montag stellt Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) ihn unter Polizeischutz.

Das andere Tröglitz, das lieber nicht so bunt werden will, mag nicht lange in der Defensive bleiben. Beim Friedensgebet erscheinen einige der „Spaziergänger“ und stänkern gegen „Neger mit Goldketten“. Eine Gruppe Männer trägt ein Plakat mit der Aufschrift „Das System ist das Problem“ – es sind also nicht etwa, so der Subtext, die Neonazis.

Der Organisator der Tröglitzer Spaziergänge, Holger Hellmann, distanziert sich von der Brandstiftung. Damit habe seine Gruppe „nichts zu tun, das ist eine riesengroße Schweinerei“. An der Forderung, keine „Wirtschaftsflüchtlinge“ ins Dorf zu holen, hält er fest. Allerdings sei er nicht gegen Flüchtlinge insgesamt: „Wenn sie uns Familien schicken, das ist etwas anderes.“ „Junge Männer“ jedoch seien ein Problem – man fürchte „um die Kinder“, „um die Frauen“, und davor, dass die Asylbewerber „Drogen mitbringen“.

Hellmann postet auf der Facebook-Seite seiner Initiative Einträge, die behaupten, der Brandanschlag sei eine „Undercover-Aktion“ von Linken, und leitet einen Text aus der NDP-Zeitung Deutsche Stimme – „Nutznießer und Betroffene“ – zu Susanne Nierth weiter. Nach dem Anschlag hatte unter anderen die Exvizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, Charlotte Knobloch, ein schnelles NPD-Verbot verlangt. Deren Parteizeitung mutmaßt nun, „linksgerichtete Hintergründe“ des Brandes seien „nicht ganz auszuschließen“ – schließlich dürfte es nun „kaum noch Proteste“ in Tröglitz geben: „Wer möchte schon mit Brandstiftern in eine Reihe gestellt werden?“

Manche sind dafür offenbar dickfellig genug. Die Tröglitzer Spaziergänge, die von einem NPD-Kader angemeldet wurden, seien von vornherein bis zum 15. März befristet gewesen, sagt Hellmann am Samstag. An diesem Tag sollte die Kreisverwaltung darüber entscheiden, wie viele Flüchtlinge nach Tröglitz verlegt werden. „Allerdings würde ich jetzt gerne schon weitermachen“, sagt er. Wie, das wisse er nicht so genau, „ein Rockkonzert vielleicht, ein Bürgerfest“.