Keine Toleranz für Freilerner

Zur Durchsetzung der staatlichen Schulpflicht sollen die Eltern Neubronner ihre Kinder jetzt zwingen, in die Schule zu gehen. Nach einem Gerichtsentscheid verhängte die Schulbehörde ein Zwangsgeld

von Klaus Wolschner

Die Geduld der Schulbehörde ist zu Ende. Fast 1.500 Euro Ordnungsgeld sollen die Eltern Tilman und Dagmar Neubronner aus Bremen-Nord bezahlen, weil sie ihre Kinder Moritz und Thomas nicht zur 3. bzw. 5. Klasse in die Grundschule Borchshöhe schicken. „Homeschooling“, so die Behörde, ist keine Alternative zu der in Deutschland geltenden Schulpflicht.

Seit Jahren protestieren die Neubronners gegen die Schulpflicht, und sagen: Unsere Kinder wollen einfach nicht zur Schule. Im Internet veröffentlichen sie unter www.bildungsfreiheit.blogspot.com pädagogische Beobachtungen über ihre beiden Sprösslinge und grundsätzliche Betrachtungen zu ihrem Fall: „Wir schieben unseren Kindern nicht die Verantwortung zu. Wir sind es, die sich weigern, gegen unsere Wahrnehmung vom Wohl der Kinder, gegen unsere Überzeugung Zwang auszuüben.“ Und weiter: „Wir sind aus Gewissensgründen nicht bereit, unsere Kinder anzulügen, indem wir ihnen versichern, sie könnten nur in der Schule zu gesunden, leistungsfähigen, sozial kompetenten Menschen heranwachsen.“

Eine Lehrerin der zuständigen Grundschule an der Borchshöhe hat für die Kinder am Ende des vergangenen Schuljahres einen durchaus positiven „Lernentwicklungsbericht“ geschrieben. Wegen des laufenden Verfahrens hatte die Schulbehörde bis zum Sommer das Verhalten der Eltern geduldet. Seit Anfang Juli 2007 aber liegt ein Spruch des Oberverwaltungsgerichtes vor, der mit Hinweis auf ein Bundesverfassungsgerichts-Urteil erklärt, „was hinter der Schulpflicht“ steht: Nicht nur um „Wissensvermittlung“ gehe es bei der Schulpflicht, sondern um die Bildung „verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilhaben können“.

Die Bremer Richter zitieren dazu das Bundesverfassungsgericht: „Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind.“

Keine einzige Studie beweise, dass es Kindern, die nicht zur Schule gehen, „an Sozialkompetenz mangelt“, kontern die Neubronners. Sie fordern Toleranz gegenüber ihrer Ablehnung der Schule. Moritz und Thomas erscheinen keineswegs als von der Außenwelt isolierte Einzelgänger. Ein Reporter des Magazins „Brandeins“, notierte: „Ein bisschen wirken die Aussagen der Jungs wie auswendig gelernt. Es sind fast immer die gleichen Sätze, egal, ob daheim beim Eintopflöffeln oder auf dem Sofa bei Günther Jauchs Stern-TV.“

Die Schulleiterin der Grundschule Borchshöhe hat Sorge, dass die Kinder „zwischen die Mühlen“ geraten: Kinder im Alter von 10 der 12 Jahren hätten, wenn sie so intensiv von den Eltern begleitet würden, keine Chance, eine andere Meinung als die der Eltern zu entwickeln. Zugleich gehe es um die grundsätzliche Frage: Was der Staat den einen erlaube, müsste er auch anderen zu gestehen. „In anderen Ländern funktioniert das doch auch“, sagt Tilman Neubronner. In den USA studieren Zehntausende von „Homeschoolern“. Die Familie will gegen das Zwangsgeldes klagen. Bis zu den Herbstferien hält die Behörde still.