Kleine Spatzen, große Kanonen

WOHNEN In den Treptower Häusern, die dem Ausbau der A100 weichen sollen, wehren sich noch immer Mieter gegen ihre Räumung – jetzt fährt der Senat schwere Geschütze auf

Der Senat lässt sich von der Nobelkanzlei White&Case vertreten

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Es wird eng für die letzten Bewohner der Häuser Beermannstraße 20/22 in Treptow, die dem Ausbau der A100 weichen sollen. Dem verbliebenen Dutzend Mieter droht am 23. Januar die Zwangsräumung. Dabei verschanzt sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hinter einer renommierten internationalen Anwaltskanzlei.

Dass die Senatsverwaltung ein sogenanntes Besitzeinweisungsverfahren anstrebt, geht aus den Antworten von Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler auf zwei Anfragen des Grünen-Abgeordneten Harald Moritz hervor. Dabei handelt es sich um ein beschleunigtes Prozedere zur Räumung enteigneter Immobilien. Zivilrechtliche Klagen gegen die Bewohner scheut die Verwaltung, weil sie zu lange Verfahrensdauern fürchtet. „Mieter“ gibt es in Gaeblers Diktion auch gar nicht mehr – nur „Personen“, die sich „vertragslos und damit rechtswidrig“ in den Gebäuden aufhielten.

Tatsächlich wurden die Mietverträge in den Gründerzeithäusern an der S-Bahn-Trasse regulär gekündigt, die meisten Bewohner sind ausgezogen. Diejenigen, die geblieben sind, taten es aus Mangel an Alternativen: Die Ersatzwohnungen, die städtische Wohnungsbaugesellschaften ihnen angeboten haben, waren ihnen zu teuer. Eine auch teilweise Mietkostenübernahme durch das Land gibt es nicht.

Diese Weigerung, das Problem mit Kulanz zu lösen, moniert Harald Moritz schon länger. Jetzt wiederholt er seine Kritik angesichts der Tatsache, dass die Verwaltung sich gegenüber den Bewohnern durch die Nobelkanzlei White&Case vertreten lässt. „Das ist sicherlich eine der teuersten verfügbaren Kanzleien“, so der Grüne. „Wenn die jetzt tätig werden, wird das am Ende kostspieliger, als wenn man den Leuten übergangsweise unter die Arme greift. Aber wenn die Spatzen nicht spuren, wird eben die größte Kanone rausgeholt.“

Moritz findet das alles inakzeptabel: „So kann man mit diesen Leuten nicht umgehen. Die haben wenig Geld, und der Wohnungsmarkt ist angespannt.“ Stattdessen würden sie letzter Rechte beraubt: Da man sie nicht mehr als Mieter begreife, bestehe etwa keine besondere Informationspflicht der Baufirmen.

Das wurde Anfang Dezember offensichtlich, als die Mauer zum Hinterhof überraschend mit schwerem Gerät niedergerissen und mehrere Bäume ohne größere Sicherheitsvorkehrungen gefällt wurden. Die Bewohner riefen die Polizei und verlangten, ein Vertreter der Senatsverwaltung solle erscheinen und der Aktion sein Plazet geben – was nicht geschah. Auf Harald Moritz’ Frage nach den Gründen heißt es in Gaeblers Antwort, es sei „zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine Inaugenscheinnahme der gesamtheitlichen Situation vor Ort“ erfolgt.

Eine Null-Antwort, die Mieter Micha empörend findet: „Da haben sie lange formuliert, damit es keinerlei Aussagekraft hat.“ Die restliche Hausgemeinschaft prüfe nun die Möglichkeit einer Anzeige. In Bezug auf den Vorschlag der Bewohner, die Häuser nicht abzureißen, sondern temporär Flüchtlinge darin unterzubringen, hat sich noch nichts getan. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele zeigt laut Micha Interesse an der Idee. In Kürze gebe es auch einen Ortstermin mit Mitarbeitern der Linken-Fraktion im Bundestag. Auch der evangelische Landesbischof Markus Dröge sei an dem Vorschlag interessiert. Er habe zugesagt, das Thema bei einem Treffen mit dem Senat in diesem Monat zur Sprache zu bringen.