Kerzenständer und Klangteppiche

LOCATION Open-Mic-Abende und Konzerte in gediegener Atmosphäre: In Neukölln gibt es seit einigen Monaten ein „Prachtwerk“

Es gehört sich überhaupt nicht, einen Artikel über ein Musikcafé auf der Toilette beginnen zu lassen. Aber im Neuköllner Prachtwerk bietet es sich an, den Rundgang am stillen Örtchen zu beginnen. Zwei Räume zum Pinkeln in stilvoller Atmosphäre, im Vorraum Blümchensofas, die Waschbecken sind in alte Nähmaschinentische eingelassen, im Nachbarraum hängen Arbeiten der Künstlerin Dikla Stern. Und jetzt das Beste: Die Boxen auf der Toilette sind so gut, dass man sogar das Sandpapier-Hauchen in der Stimme von Brooke Singer von French for Rabbits hören kann, die gerade oben auf der Bühne auftreten. Die beste Toilettenanlage Berlins!

French for Rabbits kommen aus Waikuku Beach, Neuseeland, und sind nach Europa gekommen, um ihr erstes Album zu bewerben. Brooke Singer und Gitarrist John Fitzgerald haben die Band 2011 gegründet und sich mit ihrem verträumten Pop mit Folk- und Jazz-Zwischentönen in ihrem Heimatland mittlerweile einen Namen gemacht. Das Prachtwerk ist an diesem Samstagabend ganz gut gefüllt, etwa 120 Leute sind gekommen. Sängerin Brooke ist sichtlich gerührt ob des Interesses. Berlin muss für Musiker aus Down Under ein Angstgegner sein.

Die Texte, die Brooke schreibt und mit samtweicher Stimme vorträgt, sind melancholisch, manchmal auch wütend. Die Single „Goat“ ist eine Ode an die Sturköpfigkeit: „I won’t be the first to say I’m sorry / Even if it’s my fault / It’s not like I have a heart of gold / but I’m honest to outvote / And I’m as stubborn as a goat.“ Darüber legt sich ein Klangteppich aus einem plätschernden Keyboard und einer zweiten Akustikgitarre. „Quiet is the new loud“ ist jedoch nicht das Motto der Band. Um zu sehen, was das Album an Atmosphäre zu bieten habe, solle man doch mal die Anlage aufdrehen, rät die Band auf Twitter.

Das Prachtwerk bietet an diesem Abend eine gute Mischung aus Kneipenstimmung und Konzert, an den hinteren Plätzen wird beim Bier erzählt, vorne an den massiven Holztischen mit wuchtigen Kerzenständern lauscht man dem Konzert.

Wohnzimmerkonzerte als Testlauf

Das sei auch das Konzept gewesen, erzählt Geschäftsführer und Inhaber John Hasler, der gemeinsam mit seiner Frau vor ein paar Jahren aus den Staaten nach Berlin zog. Das Prachtwerk-Konzept habe man zunächst bei sich zu Hause ausgetestet und regelmäßig Wohnzimmerkonzerte veranstaltet, bevor man sich dann an eine eigene Location heranwagte. „Wir wollen vom Kiez angenommen werden, dazu mussten wir uns erst mal ein Netzwerk aus Musikern und Musikliebhabern aufbauen“, sagt Hasler, der, ganz unpassend zur Einrichtung und zum musikalischen Genre des Abends ein grünes Guns‘n‘Roses-Shirt trägt. Über der Bar hängen Glühbirnen an einer Kupferrohrkonstruktion, das Bier vom Fass kostet 2,50, alle Cocktails 7 Euro. Für die typische Neuköllner Urigkeit hat das Prachtwerk zu hohe Decken, ist zu kunstvoll eingerichtet und auch die omnipräsenten Raucherwolken fehlen. Gemütlich ist es trotzdem. Das Publikum ist gemischt, Weserstraßen-Schickeria, speziell fürs Konzert Angereiste und auch ältere Besucher sitzen beieinander.

Immer Mittwochs finden im Prachtwerk, das seit Februar geöffnet hat, Open-Mic-Abende statt – die Nachfrage, dort aufzutreten, ist inzwischen groß, erzählen die Betreiber. Dazu treten regelmäßig Künstler auf; im November habe man fest jeden Tag Veranstaltungen gehabt. Zwischen 80 und 120 Leute kämen auch unter der Woche zu den Konzerten.

Werbung macht das Prachtwerk fast keine. Ein paar Mal gab es Annoncen in Berliner Zeitungen, der Rest ist offenbar Mund-zu-Mund-Propaganda. Alle Reingewinne werden in soziale Projekte investiert, Kaffee und Essen sind fair gehandelt, erzählt Hasler noch schnell. Dann muss er wieder an die Bar und Bier zapfen. Vorne auf der Bühne spielen French for Rabbits ihr letztes Lied, es ist kurz vor elf. Die meisten bleiben nach dem Konzert noch ein Weilchen.

ANNE-SOPHIE BALZER

■ Prachtwerk, Ganghoferstraße 2, Mo.–So. ab 10 Uhr geöffnet