die taz vor zehn jahren über heinrich breloers raf-doku-drama „das todessspiel“
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Zwei bis drei politische Generationen hockten vor dem Fernseher, als Heinrich Breloers „Todesspiel“ gegeben wurde. Es folgten hitzigste Diskussionen. Die einen schwelgten in Lobeshymnen. Die anderen geißelten den Film als Thrillerschnulze, die sich die Sicht des Hardliners Helmut Schmidt zu eigen machte. Ich fand Breloers Werk als Spielfilm brillant. Aber: Als Dokumentarfilm fehlt vieles. Kein Wort über die damalige Atmosphäre, miterzeugt von einer sozialliberalen Koalition. Diese war bedrohlicher als die schwärzesten Momente der schwarzen Regierung Kohl. Was die Sozialdemokraten an Repressalien gegen das gesamte linksliberale Spektrum durchprügelten, würden die Christdemokraten von heute nicht wagen. Es begann mit den Berufsverboten, dann folgten eine beispiellose innere Aufrüstung samt zahlreicher Sondergesetze. Wir fühlten uns wie in einem Schraubstock, eingezwängt zwischen RAF und Staat. „Mensch oder Schwein“, so versuchte die RAF die linke Szene moralisch zu erpressen. „Bürger oder Sympathisant“, antwortete der Staat spiegelbildlich. Wer öffentlich über die RAF sprach, ohne sich heftigst zu distanzieren, galt als Helfershelfer des Terrors. Die Bundesregierung sorgte nicht nur für eine umfassende Nachrichtensperre, sondern auch für eine tief gehende Gefühlszensur: Niemand sprach mehr über seine wahren Empfindungen, ritualisierte Distanzierungsformeln erstickten jede ehrliche Debatte. Es war eine massenpsychologische Konstellation, wie sie sonst nur in oder vor Kriegen und Bürgerkriegen zu finden ist. Der Staat verwandelte sich binnen kürzester Zeit zum repressiven Verwalter einer imaginären Staatsräson, die alles erlaubte, selbst den Gesetzesbruch. Sofort nach der Schleyer-Entführung wurden die Stammheimer Häftlinge ohne Rechtsgrundlage unter Kontaktsperre gesetzt. Nichts von davon bei Breloer. Stattdessen ein Helmut Schmidt, der, so wird subtil suggeriert, ja nicht anders konnte.

Ute Scheub, taz vom 30. 6. 1997