Vor dem Comeback

Leider kann Alt-Bundestrainer Jupp Derwall nicht mehr erleben, wie sein Ansehen endlich wieder hergestellt wird

Jupp Derwall zu verachten, fiel so leicht wie Helmut Kohl auszulachen. Warum eine erfolgreiche Zeit des deutschen Fußballs so schlecht wegkam, warum der Ex-Bundestrainer 1984 weggemobbt wurde – es war eine Mischung aus Selbsthass und neuen Verwertungsinteressen: Derwall wurde ja geopfert für die Karriere von Beckenbauer, die Geschäfte von Bild und den Privatsendern in Gründung. Dass heute in Theo Zwanziger nicht nur optisch eine Art Wiedergänger von Derwall dem Deutschen Fußballbund vorsteht, zeigt, wie nah das Comeback der braven Fußball-Achtziger ist. Doch für Derwall, der sich längst zurückgezogen hatte in sein holzvertäfeltes Heim im Saarland, kommt diese Renaissance zu spät.

Als der Rheinländer am Dienstag mit achtzig Jahren starb, war die Meldungslage wieder gegen den einstigen Spieler von Aachen und Düsseldorf. Schwerkrank wird es Derwall wohl nicht mitbekommen haben, wie die Medien die Weltmeisterschaftspartie zwischen seiner DFB-Auswahl und Österreich zum 25. Jahrestag hervor kramten. Die „Schande von Gijon“ titelten sie wie damals nach dem Spiel, als beide Teams nach Horst Hrubeschs Treffer eine Fußballimitation ablieferten – und weiterkamen. Dass die DFB-Elf schließlich das Finale erreichte und in Spanien ja als Europameister aufspielte, wurde am Dienstag erst irgendwann an die höhnischen Nachdreher gehängt. Da lebte der einstige Nationalspieler nicht mehr.

Als die Boulevardmedien ihn im Sommer 1984 aus dem Traineramt geschrieben hatten, suchte Derwall auch das Weite. Er ging als Trainer, besser: erster deutscher Trainer in die Türkei. Holte in vier Jahren drei Titel mit Galatasaray Istanbul, wurde ein Völkerverständiger im Land am Bosporus, das ihm so teuer wurde, dass er trotz allenfalls rudimentärer Sprachkenntnisse seine Autobiographie zunächst nur auf Türkisch veröffentlichte. Besonders stolz war er auf den Ehrendoktortitel aus Ankara. Der deutsche Kulturkampf gegen Türkei und EU-Beitritt, der Reflex gegen die türkische Justiz im Missbrauchsfall um Marco W. werden Derwall auch nicht gefallen haben.

Als umgekehrter Gastarbeiter wurde Derwall längst Trendsetter. Auch Bundestrainer Joachim Löw trainierte – glücklos – einen türkischen Verein. Und Kalli Feldkamp hat mal wieder das Traineramt bei Galatasaray übernommen – mit 73 Jahren. CHRISTOPH SCHURIAN

Fotohinweis:

Jupp Derwall starb am Dienstag in St. Ingert (Saarland). Doch sein völkerfreundlicher Trainingshosenfußball ist wieder im Kommen AP