Der Tag des offenen Tors

WACHSTUMSSCHMERZEN Nach dem 3:4 gegen den 1. FC Köln fragen sich alle alle außer Hoffenheims Trainer Markus Gisdol, ob seiner Mannschaft ein dauerhafter Rückfall in überwunden geglaubte Spektakelzeiten droht

Demnächst geht es zu Bayern München. Ob sich ausgerechnet dort der Negativtrend wird stoppen lassen?

AUS HOFFENHEIM TOBIAS SCHÄCHTER

Man muss wohl folgende Geschichte kennen, um die Reaktion von Markus Gisdol nach dem 3:4 seiner TSG Hoffenheim gegen den 1. FC Köln zu verstehen. Von Huub Stevens, erzählte Gisdol einmal, habe er sehr viel gelernt. Vor allem im Umgang mit der Presse. Gisdol war einst auf Schalke Assistent des Holländers, der wegen seiner bärbeißigen Art den Beinamen „Knurrer von Kerkrade“ trug. Gisdol als „Knurrer von Geislingen“ zu bezeichnen, würde dem zwar manchmal wortkargen, aber nie unfreundlichen Trainer der TSG Hoffenheim aber nicht gerecht werden. Gisdol äußert wie Stevens nicht selten aber überraschende, der öffentlichen Meinung gegenteilige Sichtweisen. Markus Gisdol fährt eine antizyklische Kommunikationsstrategie. Nach zehn Spieltagen war die TSG Hoffenheim in dieser Runde noch nicht besiegt und nach Meinung vieler auf dem Weg, eine Spitzenmannschaft zu werden. Endlich erwachsen schien diese Mannschaft zu werden, die in der letzten Saison noch in kindlicher Verspieltheit immer nur ein Tor mehr schießen als bekommen wollte. Das ging nicht immer gut, 70 Gegentore waren selbst dem notorischen Offensivverfechter Gisdol ein paar zu viel.

Jetzt, da seine klug verstärkte Mannschaft aber selbst 1:0-Siege Spaß machten, wollte Gisdol von der Spitzenelfdebatte lieber nichts wissen. Das ist jetzt zwei Wochen her. Nach dem ernüchternd klaren 1:3 im Spitzenspiel gegen Borussia Mönchengladbach setzte es am Samstag nun dieses spektakuläres 3:4 im Heimspiel gegen den 1. FC Köln.

Zwei Tage vor diesem Spiel hatte Gisdol überraschend erklärt, seiner Mannschaft fehle nicht viel zur Spitzenelf. Noch überraschender für alle, die diesem turbulenten Hin und Her am Samstag beiwohnten, erklärte Gisdol nach dem Abpfiff, seine Mannschaft habe über weite Strecken ein sehr gutes Spiel gemacht. Die Taktik – vorwiegend mit langen Bällen auf Stürmer Adam Szalai Druck aufzubauen – sei aufgegangen. Man habe so viele Chancen gegen Köln herausgespielt wie keine andere Mannschaft zuvor, die Gegentore seien Geschenke nach individuellen Fehlern gewesen.

Das stimmte für die erste Halbzeit, aber nicht mehr für die zweite, in der die langen Bälle auf den Mittelstürmer nur noch einfallslos wirkten und kaum noch zu Chancen führten. Gisdol sagte: „Die Mannschaft habe sich nicht für ein gutes Spiel belohnt.“ Gisdol sieht das tatsächlich so. Zum anderen aber weiß er, dass Kritik jetzt ohnehin aufkommt. Und wie Stevens in solchen Situationen baut er vor den richtungsweisenden Wochen auf Geschlossenheit nach außen. Bei den Spielern sitzt die Enttäuschung über diese Pleite nämlich mindestens so tief wie bei ihm selbst. Was nach der Niederlage in Gladbach zu einer Demonstration der Selbstvergewisserung der eigenen Reife und Stabilität hätte werden sollen, erinnerte Fans und Beobachter am Samstag aber an die vogelwilden Auftritte der vergangen Runde. Eigentlich hatten die Hoffenheinmer die Tage des offenen Tores ja abgeschafft. Nach dem Debakel gegen Köln steht aber plötzlich die Frage im Raum: Erlebt die TSG gerade einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Spektakel-Zeiten? Diese Diskussion können die Hoffenheimer allerdings noch weniger gebrauchen als eine Spitzenelfdebatte. Gisdol war deshalb darauf bedacht, nur den geringsten Verdacht in diese Richtung als indizienloses Fabulieren abzutun. Vielleicht erinnere das Ergebnis an die letzte Saison, nicht aber die Spielweise, erklärte er kurz.

Wie diese Mannschaft diesen bitteren Dämpfer verkraften wird, ist eine spannende Frage. Nach der Länderspielpause geht es erstmal zum Auswärtsspiel zum FC Bayern München. Ob ausgerechnet dort der negative Trend gestoppt werden kann? Und weil bis Weihnachten auch noch Spiele gegen Leverkusen und Dortmund warten, könnte die Bescherung nach der Vorrunde am Ende bescheidener ausfallen als alle vermutet haben – auch Markus Gisdol.