„Da ist ein Kulturkampf im Gange“

Der Neubrandenburger Dramaturg Matthias Wolf über die Rolle der Theater in der ostdeutschen Provinz: Orte, an denen Gesicht gezeigt wird, werden gebraucht

MATTHIAS WOLF, 42, arbeitet seit zehn Jahren am Theater Neubrandenburg-Neustrelitz, seit 2005 ist er leitender Schauspieldramaturg. Der geborene Ostberliner hat nach der Wende Theaterwissenschaft und kulturelle Kommunikation an der Humboldt-Universität studiert.

taz: Herr Wolf, war der Vorfall in Halberstadt ein gezielter Angriff speziell auf Theaterleute?

Matthias Wolf: Die „Rocky Horror Show“ ist kein zufälliges Ziel. Männer in Strapsen und mit Lippenstift – das können diese Jungmannbanden der Kameradschaften offenbar nicht ertragen, weil es sie in ihrem archaischen Selbstverständnis trifft. Auch wir haben das Stück vor ein paar Jahren gespielt. Die Kleinbürger freuen sich, aber die Rechten tun das offensichtlich nicht.

Theater ist auch dann eine Provokation, wenn es gar nicht explizit gegen rechts auftritt?

Einfach weil das Theater sich öffentlich äußert, Gesicht zeigt und für Werte Farbe bekennt, ist es ein wichtiger Faktor im öffentlichen Diskurs – gerade in der ostdeutschen Provinz. Da ist ein Kulturkampf im Gange.

Welche Rolle spielt das Theater in diesem Kulturkampf?

In Städten mit einer funktionierenden kulturellen Infrastruktur können die Rechten nicht so leicht die Hegemonie erlangen. Wenn man ein lokales Bündnis für Demokratie und Toleranz organisiert, von der Feuerwehr bis zum Sportverein, dann spielt das Theater eine wichtige Rolle – schon weil es an vielen Orten die größte Institution ist.

Wie wichtig ist es, Theaterprojekte speziell gegen rechts zu machen?

Wir haben das jetzt drei Spielzeiten hintereinander gemacht – zuerst Taboris „Mein Kampf“, dann Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, demnächst Taboris „Jubiläum“. Dazu bieten wir Diskussionen an, auch mit Schulklassen. Es besteht ein Bedürfnis, darüber öffentlich zu reden, seine Ängste zu äußern und auch den Mut zu finden, mit anderen gemeinsam an dem Problem zu arbeiten.

Wie reagieren die Rechtsextremen auf Ihre Projekte?

Bislang gab es nur einen Farbbeutel auf ein Theaterplakat zu „Mein Kampf“. Zu den Vorstellungen selbst kommen keine Kameraden, jedenfalls geben sie sich nicht zu erkennen. Darauf können wir, ehrlich gesagt, auch verzichten. Wer sich einmal in dieses Feld begeben hat, mit dem ist in der Regel keine Diskussion mehr möglich.

Es geht darum, den Demokraten den Rücken zu stärken?

Man fühlt sich manchmal in der Rolle, die Überzeugten zu überzeugen, ja. Aber solche schönen Erlebnisse wie die G-8-Proteste in Rostock als große, bunte, weltoffene Love Parade täuschen über die wahren Verhältnisse hinweg. Eigentlich ist es hier anders. Dafür muss man immer wieder die Wahrnehmung schärfen.

Fühlen sie sich von der lokalen Politik unterstützt?

Zumindest wird das Thema nicht mehr wegdiskutiert. Manchmal gibt es ein falsches Verständnis von Autorität. Ich bin froh, wenn ich zu Diskussionen in die Schulen kommen und an den Fenstern Plakate für eine Demonstration gegen rechts sehe. Das hätte die Schulleitung vor zwei Jahren vielleicht noch untersagt. Da ist ein Bewusstsein geschärft worden, dass man die Schüler in der Auseinandersetzung auch unterstützen muss.

Im Internetforum des Halberstädter Theaters wird die Frage gestellt: Sollte man als Kulturschaffender die ostdeutsche Provinz verlassen?

Bloß nicht! Wenn wir aufgeben, dann hätten die Rechten ihr Ziel ja erreicht.INTERVIEW: RALPH BOLLMANN