Der feurige Hahn, der keine Henne unberührt lässt

ZAIRE Bill Cardoso war 1974 dabei, als Muhammad Ali gegen George Foreman boxte. Seine vergessene Reportage ist ein Meisterwerk des Gonzo-Journalismus

VON ULRICH GUTMAIR

Ältere Leute erinnern sich noch daran, nachts aufgestanden zu sein, um Muhammad Ali im Fernsehen boxen zu sehen. Über den „Jahrhundertkampf“ zwischen Muhammad Ali und George Foreman, der am 30. Oktober 1974 in Zaire stattfand, können aber auch Jüngere etwas wissen. Vor knapp zwanzig Jahren drehte Leon Gast unter dem Titel „When We Were Kings“ eine hervorragende Filmdokumentation über dieses Ereignis, das weltweit Millionen von Menschen zu Hause mitverfolgt hatten.

Bill Cardoso war dabei, als es passierte. Seine Reportage über den „Rumble in the Jungle“ sollte in der New Times erscheinen, aber deren Chefredakteur hielt sie für Geschwafel. Weswegen Cardosos manischer und paranoider, grandioser und wahrhaftiger Bericht erst zehn Jahre später in einem Sammelband des Reporters erschien, der 2006 starb. Dass wir den Text jetzt auf Deutsch lesen können, verdanken wir Klaus Bittermann, der ihn wiederentdeckt, und Franz Dobler, der ihn übersetzt hat.

„Rummel im Dschungel. Eine Reportage aus Kinshasa“ ist ein frühes Dokument des radikalen, subjektiven Gonzo-Journalismus, ein Begriff, der im allgemeinen mit Hunter S. Thompson verbunden wird, was nicht falsch ist. Klaus Bittermann zeigt in seinem Nachwort, dass es Bill Cardoso war, der Thompsons Schreibe zuerst so bezeichnet hat. Cardoso ist selbst ein prototypischer Vertreter von Gonzo, im Gegensatz zu Thompson aber vollkommen der Vergessenheit anheimgefallen. Gonzo heißt unter anderem, die Entstehungsgeschichte einer Story mitzuerzählen, und so erklärt uns Cardoso anfangs, wie er uns seinen Bericht zu erzählen gedenkt: „Schließlich entschied ich mich, dass die beste Art, diese Story zu erzählen, die wäre, sie müde zu erzählen. Ja, das wäre die perfekte Erzählerstimme: müde.“

Cardoso berichtet, wie ihm während des Schreibens ein Zahn ausfällt, was er nicht für Zufall, sondern für Voodoo hält. Das Schöne an dieser Reportage ist, dass sie die Paranoia ihres Autors plausibel macht. Aus der ehemaligen belgischen Kolonie wurde die Demokratische Republik Kongo, und aus dieser wurde eines Tages Zaire, weil Präsident Joseph Desire Mobutu das gut gefiel. Er hatte sich selbst in Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Za Banga umbenannt, was die Leute, mit denen Cardoso spricht, so übersetzen: „Der Hahn mit dem Feuer in seinen Augen, der Blah-Blah und Bloo-Bloo macht und keine Henne unberührt lässt“. Im Namen afrikanischer Authenticité forderte der Präsident seine Untertanen dazu auf, es dem Präsidenten gleichzutun und ihre christlichen Namen abzulegen.

Dass die Missionare in Zaire nichts mehr zu sagen haben, findet Cardoso gut, was aber nicht heißt, dass er die Authenticité nicht als das erkennen würde, was sie ist: die ideologische Verbrämung eines autoritären Regimes und Personenkults mit postkolonialer Rhetorik, wobei Letztere bei genauem Hinsehen alles andere als postkolonial ist: Der König von Kongo erzählte im 15. Jahrhundert dem portugiesischen Schiffskapitän Diego Cao, dass der Unterlauf des 4.374 Kilometer langen Stroms, den wir unter dem Namen Kongo kennen, Nsadi genannt werde. Cao schreibt den Namen Nzadi auf, nachfolgende Portugiesen verunstalten das zu Zaire. Cardoso: „Das sagt etwas aus über Authenticité und Bullshit.“

Vom Regime des Diktators, der sich 1965 an die Macht putschte, werden alle, selbst der smarte Promoter Don King, „individuell und kollektiv kleingemacht“. Sie werden „ihrer menschlichen Würde beraubt von den Beamten eines schwarzen faschistischen Polizeistaats“, der von einem „ein schwarzen Hitler mit einer Eisenfaust“ geführt werde, meint Cardoso. Man hatte Cardoso Pass und Rückflugticket abgenommen. Bis wenige Stunden nach dem Kampf wusste er nicht, ob und wie er jemals wieder nach Hause kommen würde. Dann hatte er eine Viertelstunde Zeit, seine Sachen zu packen.

In seinem Bericht betont Cardoso immer wieder, er könne sich an die 50 Tage und Nächte, die er in Kinshasa verbrachte, nicht erinnern, als ob der Aufenthalt in einem Polizeistaat Wahrnehmung und Gedächtnis trübe. Er wisse nur noch seine Zimmernummer, 263, und seine Telefonnummer, 601. Dass es unterschiedliche Nummern seien, sage einiges über Mobutus Land.

Cardoso hat dort so lange ausharren müssen, weil George Foreman von seinem Sparringspartner an der Schläfe verletzt wurde. Der Kampf muss verschoben werden, was aber dazu führt, dass Cardoso Zeit hat, das Leben in Kinshasa zu studieren.

Damit hat er nicht nur dem amerikanischen Box-Clan einiges voraus, dessen Mitglieder das Hotel Intercontinental, das in einem reichen Vorort liegt, nur verlassen, um Elfenbein zu kaufen, was ihnen Cardosos Verachtung einträgt. Cardoso hat bald auch mehr Ahnung vom Land als die meisten seiner Kollegen, von denen manche nur saufen und schlafen. Und so schreiben sie etwa, die Leute, die nachts vor den Geschäften von Kinshasa schlafen, seien arme Obdachlose. Dabei schützten diese Familienväter die Läden vor Einbrechern, weswegen man sie Nachtwächter nenne und für die lokalen Verhältnisse sehr gut bezahle.

Die Umstände seines Aufenthalts erträgt Cardoso, der die internationalen Journalisten mit Gras versorgt, nur, indem er sich selbst die Kante gibt: „Ich muss täglich fünfzig Milligramm Ritalin einnehmen, nur um die Mittagshitze zu überstehen. Ich nehme diese Menge Ritalin auch, um die Wirkung des wilden Cannabis abzufangen, das das beste der Welt ist. Dieser Shit haut dich wirklich um.“

Der Kampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman macht nur einen kleinen Teil der Reportage aus. Aber sie vermittelt manches, was in „When We Were Kings“ nicht vorkommt. Der Film zeigt einen gewitzten Ali, der mit Leichtigkeit durch den Ring tänzelt und ständig durch die Sprüche auffällt, die er vor sich hin rappt. Ali ist noch Mitglied der schwarzen nationalistischen Nation of Islam, Malcolm X war in den Sechzigern sein Mentor. Ali erklärte, er habe keinen Grund, gegen den Vietcong zu kämpfen, kein Vietcong habe in je als Nigger beschimpft.

Cardoso wiederum erzählt, dass Ali auch für seine Witze einen Sparringspartner namens Drew Bundini Brown hatte und dass der Trommler Danny Ray alias Big Black aus South Carolina einen Monat lang im Trainingslager von N’Sele, Mobutus Rückzugsort voller klimatisierter Villen, wo auch Ali wohnt, Conga spielte, um Alis Gefühl für Rhythmus und Timing zu verstärken.

Ganz am Ende erwähnt Cardoso das lange Gespräch mit Ali, das er am frühen Morgen nach dem Kampf führt. Zitiert wird daraus praktisch nichts. Stattdessen erzählt Cardoso, wie Ali, dem die Massen aus Zaire sieben Wochen lang „Ali bo maye – Ali, töte ihn!“ zugerufen hatten, mit einem Stock aus Teakholz eine Eidechse zerstampft.

Bill Cardoso: „Rummel im Dschungel“. Übersetzt von Franz Dobler. Edition Tiamat, Berlin 2014, 112 Seiten, 12 Euro