„Musik ist wie Radioaktivität“

HILFE Fukushima hat die japanische Band Dallax zu Aktivisten gemacht. Ihr Sänger erzählt von ihrem Großprojekt

■  Die Band: Dallax wurde 1998 in Tokio gegründet. Die Mitglieder Numb, Kosuke, Kasai, Fukusako, Pe und Gen kennen sich seit der Schulzeit. Zuerst tranken sie zusammen Bier, später lernten sie Instrumente. Heute spielen sie japanischen Ska-Core. Der Bandname ist inspiriert von den englischen Begriffen „Dollar“ und „Bugs“ und soll so viel heißen wie: jemandem Geld schulden.

 Die Mission: „Playboy Japan“ heißt der Song für die Opfer von Fukushima, den Dallax mit befreundeten Musikern produzieren.

■  Der Sänger: Ryohei „Numb“ Nambu, singt, trinkt und angelt gern. Er mag japanische Gangsterfilme.

INTERVIEW FELIX MILKEREIT
UND LINDA HOLZGREVE

taz: Herr Nambu, am 1. Mai werden Sie mit Ihrer Ska-Band Dallax in der Berliner Columbiahalle zu sehen sein, bei einem Charity-Konzert für die Opfer der Katastrophe in Japan. Sie reisen aber gar nicht an. Wie muss man sich das vorstellen?

Ryohei Nambu: Wir spielen in Tokio und in Berlin sieht man uns auf der Leinwand. Das wird ein Riesending.

Fukushima hat Sie zur Benefiz-Band gemacht.

Nach einer Katastrophe wie in Fukushima fühlt man sich erst mal ohnmächtig. Aber die Zeit bleibt eben nicht stehen. Wir leben und müssen irgendwie weitermachen. Also haben wir überlegt, was wir für die Menschen in Fukushima tun können. Wir sind Musiker – und jetzt wollen wir mit unserer Musik helfen. Musik ist wie Radioaktivität, wie ein Atom. Man kann sie nicht sehen, trotzdem wirkt sie auf einen. Musik kann Menschen verbinden, wie sich auch Atome verbinden können.

Ein verstörender Vergleich.

Viele haben ihre Familien verloren oder wurden getrennt. Wir hoffen, dass unsere Musik hilft, sie wieder zusammenzubringen, so wie wir jetzt mehr als hundert Musiker für unsere Charity-Aktion zusammenbringen konnten.

Sie haben befreundete Musiker per Twitter aufgerufen, mit Ihnen einen Song für Fukushima zu machen.

Das ist ein richtig internationales Projekt geworden, mit Bands aus Südkorea, den USA und Europa. Wir wollen gemeinsam einen Song produzieren und über iTunes vertreiben. Der Erlös geht an das Japanische Rote Kreuz. In Tokio haben wir schon mit fünfzig Musikern im Studio gearbeitet, jetzt spielen die Bands im Ausland schrittweise ihre Parts ein. Da entsteht ganz neue Musik, die Dallax alleine nie auf die Beine gestellt hätte.

Wie heißt denn der Song?

„Playboy Japan“. Das wird die Ska-Version von Michael Jacksons „Heal the World“ – von der Idee her. Wir covern natürlich nichts. Aber das ist eine riesige Koproduktion mit Musikern aus zehn Ländern. Überwältigend. Da musste anscheinend nur einer mal den Anfang machen.

Das klingt nach Aufbruchstimmung. Gibt es so viel Engagement auch für die Anti-AKW-Bewegung in Japan? Es scheinen nicht allzu viele Leute zu den Demos zu gehen.

Ich finde es gut, dass die Leute demonstrieren. Aber ich denke, wir sollten uns erst einmal um die Betroffenen der Katastrophe und um den Wiederaufbau kümmern. Wir sind nicht gegen Atomkraft, sondern für sichere AKWs. Uns geht es jetzt darum, den Menschen mit unserer Musik neue Kraft zu geben.

Wie haben Sie das Erdbeben selbst erlebt?

Ich war gerade mit zwei Freunden in einem italienischen Restaurant in Tokio Mittagessen, als das ganze Gebäude zu schwanken begann. Es ist zum Glück so gebaut, dass es die Schwingungen verteilt und abgefedert hat – da fiel eine Menge um, aber ansonsten ist nichts passiert. Trotzdem war das ganz schön beunruhigend, obwohl ich als Japaner ja eigentlich daran gewöhnt bin, dass die Erde ab und an bebt. So etwas hatte ich noch nie erlebt.

Wann haben Sie erfahren, was genau in Ostjapan passiert ist?

Nicht sofort. Durch das Erdbeben waren die Züge stehen geblieben, der Strom war ausgefallen, Handys funktionierten nicht. Dann kam noch der Tsunami. Das konnte man alles gar nicht richtig fassen.

Was hat das für Sie als Band bedeutet?

Wir mussten einige Konzerte absagen. Einen geplanten Auftritt in Fukushima konnten wir nicht machen. Ansonsten haben wir natürlich wie andere erlebt, dass Lebensmittel knapp wurden. Als die Nachrichten über die Strahlenbelastung des Wassers kamen, haben die Leute sich Vorräte angelegt. Das hat sich inzwischen normalisiert.

Das Unglück hat Ihre Band geprägt.

Wir haben viel über die Geschehnisse nachgedacht und unsere Prioritäten jetzt erst mal auf die Hilfe der betroffenen Gebiete konzentriert. Wir sind ja nicht im eigentlichen Sinne politisch, das waren wir nie. Uns sind Menschen wichtig, ihre Beziehungen.

Inwiefern?

Es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Leute helfen wollen, Projekte und Aktionen organisieren. Auch während der ersten Tage und trotz der Nachbeben blieben die Menschen in den betroffenen Gebieten und in Tokio alle ruhig. Vielleicht haben wir so begriffen, dass wir uns gegenseitig unterstützen müssen. Wir haben sozusagen unsere guten Seiten wiederentdeckt.

„Musik kann Menschen verbinden, wie sich auch Atome verbinden können“

RYOHEI NAMBU, SÄNGER VON DALLAX

Diese Ruhe nach dem Beben wurde in Medien aus dem Ausland oft als eine seltsame Eigenheit der Japaner beschrieben. Haben Sie die Berichte wahrgenommen?

Ich habe Verwandte in Hawaii. Da hat man schnell gemerkt, dass deren Medien ganz anders über Japan berichtet haben als die japanische Presse. Ich halte vieles für übertrieben. Aber dass daraufhin Leute ausgereist sind, kann ich verstehen.

Sie waren schon öfter in Europa – auf Tour.

In Berlin, ja, viermal. Ich mag die Stadt sehr. Vor allem euer Bier.

Unterscheiden sich die Fans?

Alle wollen tanzen, Musik hören und mit Freunden abhängen – Party machen eben. Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass die japanischen Fans die Musik wichtiger finden und in Europa viele Ska oder Punk doch eher als Wertesystem verstehen.

Im Juni kommen Sie wieder nach Deutschland, für acht Auftritte. Mit Döner und Bier?

Genau! Bier habt ihr echt drauf. Und der Döner ist unschlagbar.