EU-Staaten eint nur die Kritik

Unmut über Berlin vor dem EU-Jubiläum. Deutschen wird Geheimniskrämerei vorgeworfen

Anlässlich des 50. Bestehens der Europäischen Union am 25. März soll die Berliner Erklärung am Sonntag feierlich verabschiedet werden. Das Dokument soll sich vor allem an die Bürger der Union wenden und diese vom Erfolgsmodell EU überzeugen. Noch hält die deutsche Ratspräsidentschaft die Erklärung allerdings geheim. Bekannt ist bislang: Der Text soll sich auf die Errungenschaften und Herausforderungen der Union beziehen. Neben dem Binnenmarkt und dem Euro soll das soziale Europa besonders herausgehoben werden, ein Aspekt, auf den vor allem Frankreich während der Verhandlungen pochte. Als Herausforderung für die Zukunft wird insbesondere auch die Klimapolitik eine Rolle spielen. Den von Polen geforderten Gottesbezug wird es allerdings nicht geben. Vorbehalte gegenüber dem geplanten Text gibt es derzeit vor allem noch in Großbritannien, den Niederlanden sowie in Tschechien. NIM

AUS BERLIN UND BRÜSSEL N. MESSMER, D. WEINGÄRTNER

Die „Berliner Erklärung“ wird schon zerpflückt, bevor sie veröffentlicht ist. Bereits Tage vor der Jubelfeier zum 50. Jahrestag der EU zeigt sich, dass die Differenzen über den künftigen Kurs der Union so unüberbrückbar sind, dass jede Formulierung zur diplomatischen Tretmine werden kann. Neuen Schwung für die festgefahrenen Verhandlungen über die europäische Verfassung sollte das Dokument bringen. Doch immer deutlicher zeichnet sich ab: Der Name Verfassung wird gar nicht vorkommen.

„Wir sind hier versammelt in dem gemeinsamen Ziel, rechtzeitig für die Europawahlen 2009 die gemeinsame Grundlage zu erneuern, auf der die Europäische Union gründet“, heißt es in einem vorläufigen Entwurf, den die taz einsehen konnte. Ähnlich schwammig äußern sich die Autoren der Geburtstagsrede, die von der europäischen konservativen Partei EVP vorgelegt werden soll. Sie enthält ein Bekenntnis zur „Gemeinschaftsmethode“ als bestem Weg, „um Europas gemeinsame Probleme zu lösen“. „Mit Blick auf die jüngste Erweiterung“ müsse die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt werden.

Zur Frage künftiger Erweiterungen äußern sich die EVP-Führer nicht. Da findet die Europäische Sozialistische Partei (PES) klarere Worte. Die EU müsse „Frieden und Wohlstand verbreiten, indem sie weitere Nationen in ihrer Mitte willkommen heißt“. Zur Verfassung heißt es: „Wir können nicht ohne einen besseren Vertrag auskommen. Die Sozialistische Partei wird die institutionellen Veränderungen mit großer Dringlichkeit vorantreiben.“

Neben dem Thema Verfassung gehört die Frage künftiger EU-Erweiterungen zu den besonders umstrittenen Punkten. Der türkische Außenminister zeigte sich enttäuscht, dass die Kandidatenländer nicht zu der Feier eingeladen wurden. „Damit wäre die Einheit der europäischen Familie zum Ausdruck gebracht worden“, sagte ein Sprecher in Ankara. Die deutschen Gastgeber aber wollten genau diese Geste vermeiden, um Erweiterungsgegner wie Frankreich nicht zu verprellen.

Die „europäische Familie“ ist also zerstritten wie selten. Einig sind sich aber alle in ihrer Kritik am Gastgeber Deutschland. Schon die geplante Einführung in die Erklärung – „Wir, die Völker Europas“ – führte zu spöttischen Reaktionen. Die Völker Europas hätten wohl wenig zu schaffen mit einer Erklärung, die als geheime Verschlusssache behandelt werde und nur von den Präsidenten der Institutionen Rat, Parlament und Kommission unterzeichnet werden solle, kritisierten Diplomaten in Brüssel.

Die lautesten Proteste kommen aus Prag. Jan Zahradil, der für Tschechien die Berliner Erklärung und die EU-Verfassung verhandelt, kritisierte, die Erklärung werde wie ein Geheimnis behandelt. Da nicht alle unterschreiben würden, behalte sich Tschechien vor, das Ergebnis in seinem Sinne zu interpretieren. Der Zeitplan, die Reformverhandlungen bis Ende 2007 abzuschließen und den neuen Verfassungsvertrag bis Ende 2008 in allen Mitgliedstaaten zu ratifizieren, sei übereilt, sagte Regierungschef Mirek Topolanek Anfang März. Tschechien lasse sich nicht unter Druck setzen.

Auch bei der gestrigen Bundestagsdebatte hagelte es Kritik an der Geheimhaltung der deutschen Ratspräsidentschaft: „Die EU ist eine Union der Völker und nicht der Regierungschefs“, mahnte FDP-Chef Guido Westerwelle. Die Linkspartei präsentierte eine Gegenerklärung, in der ein „Ende der Geheimdiplomatie“ und europaweite Volksabstimmungen über die Verfassung gefordert werden. Die Linken kritisierten vor allem die Pläne, „die neoliberale und aufrüstungsfixierte Substanz der Verfassung zu erhalten“, wie es in dem Papier heißt.