Soll die EU Steuern erheben?
JA

HAUSHALT Eine eigene EU-Abgabe stößt auf Widerstand – dabei hätte sie auch Vorteile

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante Antworten von Leserinnen und Lesern aus und drucken sie in der sonntaz.

www.taz.de/streit

Janusz Lewandowski, 59, ist polnischer EU-Haushaltskommissar

Wir brauchen neue Einkommensquellen. Bis vor ein paar Jahren setzte sich das EU-Budget größtenteils aus eigenen Einnahmen zusammen – die Beiträge der Mitgliedstaaten dienten als bloße Zuschüsse (zwischen 10 und 20 Prozent des EU-Haushalts). Mittlerweile kommen die Mitgliedstaaten für über 80 Prozent des EU-Budgets auf! Eine solche Situation richtet sich nicht nur gegen sämtliche EU-Verträge. Sie löst auch Debatten unter Mitgliedstaaten aus, weil die meisten eher ihren eigenen Vorteil im Blick haben – und weniger das Gemeinwohl der gesamten Europäischen Union. Ende Juni werden wir neben unserem Entwurf eines Finanzrahmens einen Antrag auf Gewinnung neuer Finanzressourcen vorstellen. Dabei geht es uns nicht darum, das EU-Budget zu erhöhen! Stattdessen wollen wir die Beiträge der Mitgliedstaaten verringern, indem wir alternative Einkommensquellen aufzeigen – und das Budgetmodell der EU vereinfachen. Wir fordern dazu auf, einzelne EU-Vorhaben mit neuen Finanzierungsstrategien zu ermöglichen, etwa durch den Verkauf entsprechender Aktien. So könnte die EU staatliche und private Investitionen anlocken und für Energie- und Infrastrukturprojekte nutzen.

Gerhard Schick, 38, ist finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag

Es gibt Steuern, die sinnvollerweise auf europäischer Ebene erhoben werden müssten. Bei einer Finanztransaktionssteuer wird so das Problem verhindert, dass bei nationaler Besteuerung Finanzumsätze abwandern, sich der Finanzsektor letztlich einer Umsatzbesteuerung entziehen kann. Die Energiebesteuerung kann bei einer Zuordnung auf europäischer Ebene Trittbrettfahren einzelner Staaten in Klimapolitik sowie Tanktourismus verhindern. Ein noch grundlegenderes Argument für direkte EU-Steuern: Derzeit verhindern Nettozahlerdiskussionen, Rabatte und intransparente Beitragsverhandlungen, dass BürgerInnen wissen, wie viel sie für öffentliche Güter Europas zahlen. Intransparenz führt zu schlechter Ausgabenpolitik. Statt Kosten und Nutzen einzelner Projekte für die EU abzuwägen, werden Beiträge und Auszahlungen für das eigene Land gegeneinander gestellt. Zudem fehlt eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten, wenn europäische Anliegen über Beiträge der Mitgliedstaaten finanziert werden – es gibt ein Kontrolldefizit gemeinschaftlicher Ausgaben, da weder nationale Parlamente noch das europäische wirklich zuständig sind. Es geht nicht um höhere Steuern: Die Deckelung des EU-Budgets bei 1,24 Prozent des Unions-Bruttonationaleinkommens führt dazu, dass die Steigerung der Eigenmittel eine Reduzierung der Mitgliedsbeiträge nach sich zieht. Die Gesamtbelastung bliebe gleich, die Haushaltsstruktur wird verbessert.

Gerald Kofler, 47, Regisseur, hat unsere Streitfrageauf taz.dekommentiert

Ein vehementes „Ja“ zur Steuerharmonisierung. Weg mit den selbstverliebten, unbezahlbaren Eigenmächtigkeiten nationaler wie regionaler Möchtegerne. Zu lange schon tanzen diese Walzer mit jenen, die sich zulasten der Unionsbürger bereichern – und das daheim als Wahrung nationaler Rechte verkaufen. In Sachen Steuer mit dem nationalbunten Fähnlein Fieselschweif zu wedeln, erscheint nur opportun, wenn der „Wettbewerb der Standorte“ angeheizt werden soll. Länder, die nichts zu verlieren haben, werden als „Tiger“ flacher Taxen verkauft. Welch Wunder, wenn die mangels Substanz sämtliche Zähne verlieren. Anstatt die Kaufkraft als Darlehen an die Allgemeinheit fiskal zu fördern, ist die Steuer- und Abgabenquote in den Ländern der Eurozone im Sinkflug, die ohnehin als wirtschaftlich angeschlagen gelten. Ein europäisches Steuersystem würde mit nationalen Unsitten Schluss machen – und den Wirtschaftskörper einen, der so gegen Angriffe von außen, zum Beispiel von Ratingagenturen, besser geschützt wäre.

NEIN

Emilia Müller, 59, ist CSU-Europaministerin in der Bayerischen Staatskanzlei

Eine Europasteuer wird es mit Bayern nicht geben. Denn neue Belastungen sind das falsche Signal zur falschen Zeit. Gebote der Stunde sind eine echte europaweite Stabilitätskultur und strikte Haushaltsdisziplin. Das gilt auch für Brüssel. Wer EU-Steuern das Wort redet, sucht letztlich nach zusätzlichen Einnahmen, statt sich auf die Einsparpotenziale im EU-Haushalt zu konzentrieren. Die Einführung einer EU-Steuer würde zudem das Tor zu weiteren EU-Steuern öffnen. Hier gilt: Wehret den Anfängen! Denn höhere Lasten für die Bürger würden auf lange Sicht der Akzeptanz der EU bei unserer Bevölkerung einen Bärendienst erweisen. Es muss bei einer EU ohne eigene Schulden und ohne eigene Steuern bleiben. Denn Europa ist ein Staatenverbund und kein souveräner Staat. Das Recht zur Erhebung von Steuern ist zentraler Bereich nationaler Souveränität. Und schließlich: EU-Steuern würden die Transparenz hinsichtlich nationaler Beiträge der Mitgliedstaaten zur EU verschlechtern. Die Diskussion über ungleiche Lasten in Europa würde sich in der Folge verschärfen. Das würde Europa schwächen, statt es zu stärken.

Michael Jäger,48, ist Generalsekretär des Europäischen Steuerzahlerbunds

Der EU-Steuer-Vorschlag von EU-Kommissar Lewandowski ist ein Griff in die Mottenkiste. Gleiches gilt für den fraktionsübergreifenden Vorschlag des EU-Parlaments, ein Prozent der in den EU-Mitgliedstaaten erhobenen Mehrwertsteuer direkt nach Brüssel zu überweisen. Seit Jahren wird versucht, den Nationalstaaten eine EU-Steuer schmackhaft zu machen, sei es ein Anteil oder Aufschlag an der Mehrwert- oder Einkommensteuer, Steuern auf Finanztransaktionen oder den Flugverkehr. Die EU-Steuer wird nur eine zusätzliche Belastung für EU-Bürger. Egal, was die Politiker sagen, kein EU-Staat wird im Gegenzug auf eigene Einnahmen verzichten. Statt über eine EU-Steuer nachzudenken, sollte Lewandowski seine Energie darauf verwenden, Einsparpotenziale bei den EU-Ausgaben auszuschöpfen. Noch vor kurzem sah er auf Grund des Einstimmigkeitsprinzips bei Steuerfragen keine politische Chance für die Einführung von EU-Steuern. EU-Ausgaben auf Basis geschätzter zukünftiger EU-Steuereinnahmen zu planen, birgt die Gefahr, dass die EU im Falle von Steuermindereinnahmen Schulden aufnehmen müsste. Wer steht dafür dann gerade? Die Steuerzahler!

Beate Jochimsen, 41, Volkswirtin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Werden Steuern erhoben, so nimmt der Staat seinen Bürgern ihr Geld weg. Das ist notwendig, damit er bestimmte Aufgaben wahrnehmen kann, muss aber streng kontrolliert werden. Anders als in Deutschland funktioniert die Kontrolle der Politik auf EU-Ebene noch nicht ausreichend. Bisher gibt es weder eine europäische Öffentlichkeit noch eine wahrnehmbare Opposition im Europäischen Parlament. Wie wird im Deutschen Bundestag über Steueränderungen diskutiert! Eine vergleichbare Streitkultur gibt es im EU-Parlament nicht. Das Europäische Parlament hat zudem keinen Bezug mehr zu den Bürgern, ist zu weit entfernt von den Steuerzahlern. Je weniger man die Träger der Steuerlast kennt, umso größer die Versuchung, sie noch ein bisschen mehr zu belasten, um eine sichtbare zusätzliche Ausgabe zu finanzieren. Wer jetzt noch nicht davon überzeugt ist, dass die EU keine Steuer erheben soll, der überlege, welche es denn sein könnte. Jede Steuer würde die Verteilung der Finanzierungslasten innerhalb der EU ändern. Jeder deutsche Bürger würde mit einer EU-Steuer einen größeren oder kleineren Anteil zur EU-Finanzierung beitragen, keinesfalls aber genauso viel wie jetzt. Nicht auszudenken, was die EU alles unternehmen müsste, um die Zustimmung der Länder zu „kaufen“, deren Bürger mehr als heute belastet werden würden.