Frau Schwab geht unter Leute
: Tafeln beim 50. Geburtstag von Sabine Werth

Die „Suppenküchen“ der Lina Morgenstern von früher sind die „Tafeln“ der Sabine Werth von heute. Beide Frauen geben der Armut in der Gesellschaft ihrer Zeit ein Gesicht. Dafür werden sie geehrt. Das Bundesverdienstkreuz hat Werth schon. Schulen und Straßen, die nach ihr benannt werden, können – wie bei Morgenstern – dereinst folgen.

So weit ist es aber noch nicht. Am Dienstag wurde Sabine Werth erst einmal 50. Ein bisschen feiern sollte schon sein. Deshalb wurde die Einweihung des zweiten Kinderrestaurants der „Berliner Tafel“, das im „Centre Talma“ in Reinickendorf eingerichtet wird, von Freunden und Freundinnen kurzerhand zu einer Geburtstagsparty umfunktioniert. Bedingung: alles gesponsert. Es klappte. Die Gläser kamen von Glasklar, die Getränke von Trinkviel, die Anlage von Hörgenau, die Häppchen von Issgut. Die Unterhaltung steuerten die Jugendlichen des Jugendzentrums und künstlerisch versierte Freunde bei. „Bei uns muss aus Nichts was gemacht werden“, sagt Werth am Mikrofon.

Vor 14 Jahren gründete sie zusammen mit Freundinnen die „Berliner Tafel“. Mittlerweile ist daraus ein riesige, auf ehrenamtlicher Basis funktionierende, bundesweite Organisation entstanden. Ihre Aufgabe: Nahrungsmittel, die aus dem bezahlten Warenkreislauf herausfallen, an Bedürftige umverteilen. „Nicht weil das Verfallsdatum abgelaufen ist“, betont eine der vielen Ehrenamtlichen, die es zum Fest trieb – allerdings erst nachdem sie „Happy Birthday“ gesungen hatte. Weil Werth indes immer neue Ideen hat, gibt es jetzt eben zudem Kinderrestaurants. „Armut, das ist auch soziale Bedürftigkeit“, sagt Werth. Und eine Sozialarbeiterin bestätigt: „In vielen Familien wird nicht mehr gekocht. Auch in Reinickendorf nicht. Die Kinder wissen nicht mehr, was Verlässlichkeit ist.“

In Berlin werden täglich 15.000 Bedürftige von der Berliner Tafel mit Nahrungsmittel versorgt, davon ein Viertel Kinder. 400 Ausgabestellen für Lebensmittel müssen abgedeckt werden. Eine enorme logistische Leistung, die die Organisation täglich hinkriegen muss. Deutschlandweit gibt es mittlerweile 650 Tafeln. „Von riesigen wie in Hamburg oder Berlin mit seinen tausend Ehrenamtlichen bis hin zu kleinen, wo die Pfarrersfrau im Dorf einmal in der Woche die Armen verköstigt“, sagt Ulrich Troeder, Geschäftsführer im Bundesverband der Tafeln, der entspannt im Publikum steht. Trotz der Feststimmung ist der Smalltalk anfangs sehr ans vorgegebene Thema gebunden. Später wird’s besser. Immerhin erzählt eine der Nebenstehenden schon mal von ihren Zwei-Spaghetti-Teller-mit-Kochbuch-Geschenken. Solche Sets gab’s bei Metro. Der Verkaufserlös ging – so stand es auf der Verpackung – komplett an die Tafeln. Sie habe ihre gesamte Verwandtschaft zu Weihnachten mit Spaghetti-Tellern samt Kochbuch beglückt. Es ist der Frau anzusehen, dass sie noch immer froh ist über den Mehrwert des Geschenks. „200.000 Euro bringt die Aktion den Tafeln“, so Troeder.

Lockerer wird die Unterhaltung, als eine Besucherin – sie ist die Bekannte der Frau von Sabine Werth – erzählt, wie sie einmal bei einem Einstellungsgespräch zwei ungleichfarbige Socken trug. Das wäre unter normalen Umständen noch unter dem Tisch, an dem sie dem Personalchef gegenübersaß, zu verstecken gewesen. Allein die Tischplatte war aus Glas. Sie habe sich nur noch auf die Socken konzentriert, den Job am Ende aber dennoch bekommen.

Auch im Raum, in dem das Buffet steht, geht es weniger ernst zur Sache. Geflirtet wird da, Anekdoten werden erzählt. An einem Tisch sitzen nur Fundraiserinnen aus Wohlfahrtsorganisationen. Inkognito sind sie hier. Deshalb sprechen sie auch mit vollem Mund. „Man darf kein Geld, man muss Sachleistungen fordern. Das haben wir von Sabine Werth gelernt“, sagt eine. Die andere: „Ich hab schon einige Fähigkeiten drauf, so dschungelkampfmäßige.“ Eine Dritte bestätigt, dass Frauen die besseren Fundraiserinnen sind. Warum? „Weil ein Nein für uns doch kein Nein ist.“ WALTRAUD SCHWAB