Im Reich der Betonbarbaren

Wo Würmer und Wiesel erhängt werden: Frankens gemeinste Gemeinde Stublang

Wer Stublang im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels, „im Herzen Europas“, wo „Innovation, Tradition und Perspektiven“ (www.lichtenfels.de) noch richtig und großgeschrieben werden, nicht kennt, mag sich schleunigst eines Besseren belehren lassen. Denn angesichts des sogenannten Klimawandels, vor dessen plötzlichem Ausbruch niemand gefragt worden ist, ob er überhaupt gewünscht sei, scheint es höchste Zeit zu sein, der Natur ihre Grenzen aufzuzeigen und sie gewissenhaft mit allen verfügbaren Mitteln zur Räson zu bringen.

Warum also Stublang? Stublang, das erschließt sich selbst dem gehetzten Blick des Wanderers, der nur einmal kurz durch den beschaulich-überschaubaren Ort in der Nähe von Bad Staffelstein stolpert, Stublang setzt dringend gebotene neue Maßstäbe in Sachen Behandlung des physischen Teils der Erde, und zwar mit einer bislang ungekannten Rigidität und Radikalität.

Nun wendet zwar der mitreisende Honorarprofessor Söllner aus München in Anbetracht der am Ortsrand großzügig aufgereihten Fix-und-Fertighäuser in den Lokalfarben Leberwurstrosa und Auswurfgelb ein: „Der Baumarkt als solcher ist schlimmer als die Wehrmacht“; allein, solche – gewiss politisch gemeinte – Polemik tut mehr oder weniger gar nicht not, zielt klafterweise an der Wirklichkeit vorbei und ist für den Arsch.

Denn was fällt an und in Stublang, einem Ferienort, der eine Menge auf sich hält, weil er „Nichtraucherwohnungen“ im Internet feilbietet, vornehmlich ins Auge, von der aktuellen Wohnhausbebauung unnützer alter Wiesen und langweiliger Äcker abgesehen?

Straßen weit und breit schieben sich bis in den hügelumgrenzten Horizont hinein. Der Gemeinderat peilt eine flächendeckende Versiegelung des gesamten Stublanger Grundes an, über eine Asphaltierung des Himmels wird in den zuständigen Ausschüssen diskutiert. Derweil kümmert sich ein anderes Gremium aus hauptberuflichen Landwirten, Klempnern, Jaucheentsorgern und Schafspornografielobbyisten um die Zivilisierung der Waldhänge rund um Stublang. Einfache Rodung? Totale Abholzung? Nein, das seien „Lösungen von gestern“, sagt man uns am Stammtisch des Brauereigasthofs „Dinkel“. „Klar ist: Das Zeug muss weg. Wahrscheinlich werden wir den Kram niederbrennen. Ja, niederbrennen. So machen wir’s. Nur was eingeäschert ist, richtet kein Unheil mehr an.“

Wer Zweifel hegen sollte an der Entschlossenheit der Stublanger, dem sei ein Chill-out-Stündchen an der Döritz empfohlen, jenem Bach, der brav und zahm durch den Ortskern, den Lautergrund, gurgelt. Hie sieht der erstaunte und beglückte Fremde eine strahlend weiße, unbescholtene Plastikente auf dem Betonsims thronen, der das ehedem freche Gewässer mit der stählernen Hand des Straßenbaumeisters in Schranken hält; dort gewahrt er ein immergrünes Sträuchlein, eingefasst von kartoffelgroßen Kieseln und Quadern, zierlich eine Hofeinfahrt schmückend, die wunderbar plan und glatt geleckt vor uns liegt.

Der Stublanger versteht sich auf die Kasernierung und die inständige Beseitigung unbotmäßiger Naturelemente wie kein Zweiter. Dann zerstampft er die Überbleibsel zu Brei und schüttet Beton, Asphalt oder Gülle darüber. Rund um die Döritz entfaltet sich deshalb ein einmaliges Panorama aus Verbundsteinpflasterflächen, Asphaltpassagen und Autoabstellplätzen in der Größe des Reichsparteitagsgeländes. Sollte es dennoch ein Baum wagen zu verweilen, werden ihm sämtliche Äste amputiert. Anschließend steht er als modernes Skulpturengerippe am Döritzkanal herum und wird von der Dorfjugend angeschrien.

Seit etlichen Jahren ist des Stublangers Lieblingsfreizeitbeschäftigung, bevor er sich einen Rehaufbruch mit Kloß in den Rachen rammt oder Salzfleisch aus der Dose auf die Gabel stopft, die Parkplatz- und Rinnsteininspektion. Würmer und Wiesel, die sich erdreisten, in den Ort hereinzuschleichen, werden standrechtlich erhängt. Vögeln jedweder Art wird man habhaft und zieht ihnen die Ohren lang, bis sie auf nimmer Wiedersehen verschwinden. Mitunter fritiert man sie und wirft sie dem Milchvieh als Nachspeise in den Trog. Weitere Beispiele für derartige dem Gesetz der Vernunft und dem Gebot des Überlebens der Menschheit verpflichtete Maßnahmen könnten folgen, doch wir möchten uns mit dem Gesagten begnügen.

Stublang, so weit sei die Angelegenheit zusammengefasst, ist europäische Mustergemeinde in einem Landstrich, der einst „Gottesgarten am Obermain“ hieß. Gott hat hier, dem Menschen sei Dank, nichts mehr zu lachen. Gottes vor ungestümer Kraft strotzender Natur wurde klipp und klar die Rechnung aufgemacht und das Bleiberecht entzogen – besiegelt durch Beton und wohlverstandene Barbarei.

Um ihr Werk vollends zu vollenden, planen die Stublanger nun noch die Errichtung eines Atomkraftwerks mit Poloniumbeschichtung und ein Schützenfest, auf dem derjenige die OBI-Plakette in Eternit mit goldenem Autoreifenband erringt, der die Sonne endgültig ausschießt. Danach werden die seltsam rückständig-vornehmen Brauereien Dinkel und Löwenbräu an Veltins verscherbelt.

Dann ist endlich restlos Ruhe im Karton von Stublang.

JÜRGEN ROTH