Egos und Fußballpolitik

SPORT Die WM war ein Erfolg – vor allem für die Wohlhabenden. Über zerstrittene Verbände, leerstehende Stadien und warum die „Dona’s Mates“ trotzdem davon profitiert haben

■  Die WM hat Südafrika insgesamt etwa 4 Milliarden Euro gekostet. Laut Regierung trug das Sportspektakel zu einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent bei. Das positivste Ergebnis der Fußballweltmeisterschaft ist jedoch die bessere Vermarktung des Landes im Sinne einer Imagekampagne. Geschätzte Ausgaben der ausländischen Besucher pro Person: 3.000 Euro. Die von der Fifa veranstaltete WM brach alle Zuschauerrekorde: Rund 30 Milliarden Menschen schauten weltweit den Spielen zu. Die diesjährigen Spiele führten zu einem neuen Eintrag ins Oxford Dictionary of English: Vuvuzela. (msi)

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

„Eish, diese großen Autos“, sagt die Wächterin in südafrikanischem Township-Slang am Eingang von Soccer City, ihr mit Gold überzogener Schneidezahn blitzt auf. Der mächtige Bau in Form einer afrikanischen Kalebasse strahlt im Sonnenlicht. Ihr Kollege spricht eilig ins Walkie-Talkie, die Schranke saust hoch und lässt eine Kolonne von Luxusschlitten herein, deren Insassen Designer-Sonnenbrillen tragen, edle Uhren und schicke Kleidung. „VIPs“, nickt sie, begeistert über die Abwechslung. Sonst sei es ruhig rund um das Soccer City seit der Fußballweltmeisterschaft. Jetzt fahren die Bonzen des einheimischen Fußballs vor, um im größten Fußballstadion des Landes dem Tod eines ihrer großen Sponsoren zu gedenken. Nichts spielt sich auf dem Rasen ab, auf dem Südafrika die Eröffnung und das Finale der WM 2010 grandios feierte. Der Kirchenchor singt auf der Plattform der Ehrentribüne. Fußballpräsidenten und Vereinsvorsitzende tanzen zum Gesang.

„Die haben von der WM alle dick profitiert, nur für die Armen hat sich nichts geändert“, sagt der Ire Barry Pollen, Management-Direktor des Soccer City in seinem High-Tech-Büro auf dem Gelände. „Bei der WM-Planung waren eine Menge Egos involviert. Südafrika hatte keine Kontrolle bei dem, was sie taten.“ Es wurde mehr Geld ausgegeben als notwendig. Berauschende architektonische Entwürfe animierten zu unvorsichtigen Vertragsunterschriften, meint Pollen. Bei manchen Stadien seien teure Extras gebaut worden, die vom Weltfußballverband Fifa gar nicht gefordert waren. Zum Beispiel die imposante Glasdach-Konstruktion über dem Green-Point-Stadion in Kapstadt.

Teure Bürokraten

Allein der Bau von fünf neuen und die Renovierung von fünf alten Stadien kosteten rund 20 Milliarden Rand (etwa 2 Milliarden Euro). Genaue Zahlen liegen offiziell noch nicht vor, aber für Peter Alegri, Sporthistoriker an der Universität KwaZulu-Natal, ist klar: Der wirtschaftliche Profit fiel geringer aus als erwartet. „Die Fifa ging mit 3,2 Milliarden US-Dollar steuerfrei nach Hause, und Südafrikas Fußballverband Safa verdiente zwischen 70 und 100 Millionen US-Dollar an den Ticketverkäufen“, sagt Alegi und fügt hinzu: „Es fehlt an Führung im südafrikanischen Fußball. Die Safa ist ein Haufen Bürokraten, die nur Geld von den Teams kassieren und auf den nächsten Trip nach Zürich warten.“ Die gesellschaftlichen Erwartungen an solche Veranstaltungen dürfe man nicht zu hoch hängen, sagt Alegi: „Fußball ist da, um Geld zu machen“.

Das hatten viele Besitzer der zahlreichen Gästehäuser auch gehofft. „Wir büßen jetzt alles ein, was wir durch die WM verdient haben“, seufzt Anastacia Makgato, Besitzerin von „Thuto’s B & B“ in Soweto, unweit von Soccer City. Das braune Ziegelhaus der 64-jährigen Südafrikanerin war mit Gästen aus aller Welt gut besucht, aber nicht ausgebucht. Der gepflegte Rasen vor der Tür ist geschnitten, die Nachbarschaft berühmt: Nur 30 Meter entfernt liegt das Mandela Museum, einst Mandelas Wohnsitz, bevor er 27 Jahre in Haft saß. Dort, in Vilakazi Street, ging zur WM die Party ab. Nachbarn verkauften Bier und Erfrischungen, die Restaurants waren begehrte Fernsehsalons. Schwarze und Weiße mischten sich. „Wir haben unser Haus über die Fifa angeboten und nicht einmal unsere Preise erhöht“, meint sie enttäuscht und rückt ein paar Fransen auf dem Plüschsofa zurecht. Doch das Geld ging in die großen Städte. „Die meisten haben Angst, nach Soweto zu kommen“, sagt Makgato. „Aber die WM hat unser Image in der Welt verbessert, das war es wert.“

Die WM war ein Erfolg für die Wohlhabenden. „Das meiste Geld der 250.000 Touristen ging an die Hotelgruppen“, sagt Barry Pollen in Soccer City. Als unbezahlbaren Profit sieht das Land die positive Imagebildung, denn die WM-Besucher konnten sich davon überzeugen, dass Südafrika viel zu bieten hat und gut organisieren kann.

Doch was passiert nun nach dem glamourösen Spektakel mit den zehn neuen beziehungsweise neu renovierten Stadien im Land? Die Angst vor „weißen Elefanten“ ist berechtigt, sagt Barry Pollen, Manager des Soccer City in Johannesburg. Die Stadien im ländlichen Pholokwane und Nelspruit hätten seines Erachtens nie gebaut werden dürfen; in Pholokwane gibt es nicht einmal ein Fußballteam.

Auch das Nelson Mandela Stadion in Port Elizabeth ist nach der WM nicht ausgelastet, und Kapstadt erlebt bereits ein Drama: Die französische Firma Sail Stadefrance warf jetzt das Handtuch, als sie einen Vertrag für das Management auf 30 Jahre unterschreiben sollte – sie kalkulierte „überraschend hohen Unterhaltungskosten“. Die Stadt will nun einspringen, am Ende trifft es den Steuerzahler.

Aber die rostrot-gelb leuchtende Kalebasse von Soccer City in Johannesburg zieht genügend Teams und Zuschauer an, es gibt einen Geschäftsplan. Die Pop-Band U2 spielt im Februar hier, und Fußballmannschaften würden die 120.000 Rand (etwa 12.600 Euro) Stadiongebühr pro Spiel aufbringen, sagt Pollen. Auch Rugby-Spiele fänden im Soccer City statt. Dagegen haben Durban und Kapstadt eigene Rugby-Stadien für ihre Teams, die in Steinwurfnähe zu den WM-Fußballstadien liegen.

Jugend vernachlässigt

Rugby und Kricket waren während der Apartheid Sportarten der Weißen, die Ungleichheit dieser Jahre ist noch immer aufzuholen. Fußball dagegen war immer ein Sport der Schwarzen, der kaum Förderung erhielt. Sportreporter Niren Tolsi von der Wochenzeitung Mail & Guardian ist verärgert, dass der südafrikanische Fußballverband Safa die von der WM angefachte Sportbegeisterung vieler junger Menschen, vor allem auch bei Mädchen, nicht aufgenommen hat, um sie in die Schulen zu tragen. Ganz zu schweigen von den zu entdeckenden Talenten in den ländlichen Gegenden und Townships. So hat es die Safa bisher nicht geschafft, eine Juniorenmannschaft der Erstligisten aufzustellen. Der Verband kündigte nun an, die Einnahmen aus Ticketverkäufen für Jugendförderung auszugeben.

Aber die Finanzlage des Verbands lässt zu wünschen übrig. Zudem ist die Safa zerstritten, interne Machtkämpfe spalten den südafrikanischen Fußball in feindliche Lager und führten schon vor der WM zu Ängsten beim Weltfußballverband Fifa, das das südafrikanische Postengerangel die WM negativ beeinflussen könne. Ein Verbandskrieg, der sich bis heute fortsetzt.

„Dieser Krieg zwischen den Organisationen verhindert nicht nur die Förderung des Fußballs für die breite Bevölkerung“, meint Tolsi. „Dazu kommen noch die Bonusse für die Offiziellen.“ In den Townships dagegen fehlt es oft an Bällen, Sportkleidung, Geld für die Fahrten zum Training oder für eine gesunde Mahlzeit.

Tausendundeine Tür

James „Maradona“ Shabangu hat lange gesucht nach einem lokalen Geldgeber für seine Vision, den Fußballsport im armen Township Orange Farm zu entwickeln. „Bis sich die tausendunderste Tür endlich öffnete.“ Dort stand die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bereit, die Jugendprojekte in Südafrika und Afrika fördert. Kurz vor der WM im Juni feierten die „Dona’s Mates“ in Orange Farm ihren „Kick-off“.

Die neue Trainingsstätte aus grünem Plastikgras ist für Nokuthula Klaasen zum geheiligten Ort des Kickens geworden ist. Die WM hat viele Mädchen und Jungen wie sie sehr motiviert. „Wir essen Fußball. Wir trinken Fußball. Wir schlafen und träumen Fußball“, lacht Nokuthula. Ihre blaue Wollmütze sitzt lässig auf dem krausen, rötlich gefärbten Haar. Sie steckt in einer alten grauen Männerhose, darüber trägt sie eine knappe Jeansjacke.

Nokuthula Klaasen ist 17. Sie will später Profi-Kickerin werden. Aber es geht um mehr: soziales Lernen durch Fußball. „Kein Alkohol, wir treiben uns nicht herum und nehmen keine Drogen“, sagen ihre Mitspielerinnen fast im Chor. „Wir sind auch nicht schwanger“, lacht Nokuthula und zeichnet mit ihren Händen die Umrisse eines abstehenden, runden Bauches.

James „Maradona“ Shabangu grinst zufrieden. Seine Dona’s Mates gibt es schon seit zehn Jahren. Benannt nach ihm, der früher bei den Erstligisten „Orlando Pirates“ in Soweto seine Fußballtricks zeigte und dort den Spitznamen „Maradona“ bekam. Der charismatische Exspieler mit dem kleinen Bierbauch trägt Trikot und Shorts, dazu Schlappen und Kappe. Mit den Gemeindebehörden hat er das Nutzungsrecht für das 6,2 Hektar große Land, auf dem das Spielfeld steht, für 99 Jahre erwirkt. „Dabei galt die bevorstehende WM als Druckmittel“, zwinkert er. Jetzt werden Trainer ausgebildet. Bis zu 5.000 Jungen und Mädchen aus den umliegenden Gemeinden kommen zum Spiel.

Nokuthula schwärmt von ihren weiblichen Idolen in der Frauennationalmannschaft. Ein echter Fußballstar zu werden, das bleibt nur wenigen vorbehalten. Aber das Spiel kann den Weg in eine andere Zukunft ebnen: Sipho Radebe studiert jetzt an der Universität in Johannesburg Erziehung. Aufgewachsen mit sieben Geschwistern bei der Oma nach dem Tod der Eltern, spielte der Zwanzigjährige schon als kleiner Junge in Shabangus Fußballteam auf steinigem Feld. „Oft mit hungrigem Magen, aber nichts konnte mich stoppen“, sagt Sipho. „Maradona hat uns Hoffnung gegeben.“