Vom Vergolden ist abzusehen

KONFEKT Wer „Marzipan“ hört, denkt in Deutschland unweigerlich an Lübeck. Eigentlich stammt es aus Persien und kam über Venedig als Luxusprodukt nach Europa. Hierzulande durfte es zuerst nur in Apotheken verkauft werden

Marzipan besteht immer aus gemahlenen Mandeln, Zucker und Rosenwasser. Verschiedene Qualitäten werden anhand ihres Zuckergehalts unterschieden.

■ Reines Marzipan ist Marzipanrohmasse, die nicht mehr als 30 Prozent Zucker enthalten darf. Die Masse wird auf 95 bis 105 Grad erhitzt, um den Wassergehalt zu verringern und den Zucker leicht karamellisieren zu lassen.

■ Bei Lübecker Edelmarzipan wird nach diesem sogenannten Abrösten noch einmal Zucker hinzugeben, sodass ein Verhältnis von Marzipanmasse zu Zucker von 90 zu zehn entsteht. Es ist von der EU zertifiziert worden.

■ Bei Lübecker Marzipan ist das Verhältnis 70 zu 30 und bei Konsum-Marzipan 50 zu 50.

■ Mandelmilch besteht aus den gleichen Zutaten, die allerdings abgeseiht werden. Sie ist leicht selbst herzustellen und eine Alternative zu alkoholischen Festtagsgetränken.

■ Zutaten: Circa 300 Gramm Mandeln, 200 Gramm Zucker, ein Liter Wasser und für die Luxusvariante etwas Rosenwasser.

■ Zubereitung: Die Mandeln überbrühen und von ihrer Haut befreien, einige Stunden einweichen. Mandeln, Zucker und Wasser im Mixer pürieren. Die Masse durch ein Tuch oder das abgeschnittene Ende einer Nylonstrumpfhose passieren, auspressen. Fertig. Verfeinern lässt sich das Getränk auch wahlweise mit etwas Bittermandelaroma, Salz und Vanille oder Weißwein.

VON JOHANN TISCHEWSKI

Es gibt eine Zeit im Jahr, in der lohnt sich ein Abstecher nach Lübeck: die Vorweihnachtszeit. Die Ostseestrände bei Travemünde sind wunderbar leer gefegt, die See wild. Der Weihnachtsmarkt um die Marienkirche in der Lübecker Innenstadt ist einer der schönsten in ganz Norddeutschland. Und nach einem Schlendergang durch die gelb erleuchteten Altstadtgassen gibt es nichts Besseres, als sich in einem der gemütlichen Kaffeehäuser mit einem Stück Marzipantorte zu stärken. Nicht umsonst galt das süße Mandelkonfekt, für das die Stadt bekannt ist, lange Zeit als Kraftmittel, das nur in Apotheken gehandelt wurde.

Die Geschichte des Marzipans ist eine Geschichte voller Mythen. Schon über die Herkunft des Namens ist man sich nicht einig. 1407 habe es in Lübeck eine Hungersnot gegeben, sagt der Süßigkeiten- und Gewürzhändler Jürgen Hinrichs, der seinen Stand auf dem Lübecker Weihnachtsmarkt hat. Ein gutherziger Kaufmann soll damals auf die Idee gekommen sein, die letzten Vorräte von Mandeln und Rohrzucker aus seinen Speichern zusammenzukratzen und zu einer Art Brot zu formen. Am Markustag habe er die brotähnlichen Laibe dann schließlich an seine hungernden Mitmenschen verteilt. „Die Lübecker nannten die neue Köstlichkeit fortan Markusbrot, auf Latein: Marci panis“, sagt Hinrichs.

Und tatsächlich könnte sich der Name des Marzipans vom lateinischen Marci panis ableiten. Doch wohl eher, weil es in Europa zuerst in Venedig bekannt wurde, und Sankt Markus als Schutzpatron der Stadt gilt. Dass es in Lübeck erfunden wurde, konnte hingegen weitestgehend widerlegt werden.

Wahrscheinlicher ist, dass die süße Paste schon im Altertum verzehrt wurde. Aus gemahlenen Mandeln und Honig wurde eine klebrige Masse hergestellt, die sich getrocknet lange hielt und als Proviant für den Winter anlegen ließ.

Und auch heute noch wird Marzipan vor allem in der kalten Jahreszeit konsumiert. In der Spitzenproduktionszeit von September bis März verließen rund 30 Tonnen Marzipan pro Tag die Fabrikation, sagt die Sprecherin von Deutschlands größten Marzipan-Fabrikanten Niederegger, Eva Mura. Zu den 500 Beschäftigten kommen dann jedes Jahr rund 250 Saisonarbeiter. Das bereits in der siebten Generation familiengeführte Unternehmen exportiere das Traditionsprodukt von Lübeck aus mittlerweile in mehr als 40 Länder.

Doch seinen Ursprung hat das Marzipan eigentlich im Orient, vermutlich in Persien. Die Kalifen reichten es in ihren Palästen angeblich als Aphrodisiakum. Thomas Mann hat die aus Mandeln, Honig und Rosenwasser hergestellte Süßspeise deshalb gelegentlich als „Haremskonfekt“ bezeichnet.

In Europa sind Rezepte ab dem 13. Jahrhundert überliefert. Venezianische Händler brachten es damals mit Kräutern und Gewürzen aus dem Orient in die florierende Lagunenstadt. Dort avancierte das Marzipan mit Blattgold überzogen zu einem exklusiven Dessert bei Festessen am Hofe. Zuckerbäcker entdeckten es als Modelliermasse für kunstvolle Schaustücke. 1514 sah sich die Stadt Venedig sogar dazu gezwungen, das Vergolden des Naschwerks als übertriebenen Luxus gesetzlich zu verbieten.

Thomas Mann hat die Süßspeise gelegentlich als „Haremskonfekt“ bezeichnet

In Norddeutschland galt Marzipan zunächst als Heilmittel, das nur in Apotheken gehandelt werden durfte. „Die süße Rarität wurde als Kraftnahrung bei Krankheiten verabreicht und sollte gegen Herz- und Erektionsprobleme helfen“, sagt Süßwarenhändler Hinrichs. Erst als 1714 das Monopol der Apotheken in Lübeck aufgehoben wurde, begannen dort auch Konditoreien, Marzipan herzustellen.

Doch noch immer blieb es ein Luxusprodukt, das vor allem dem reichen Bürgertum vorenthalten war. „Die hanseatischen Kaufleute mussten weite Strecken zurücklegen, um an die begehrten Zutaten zu gelangen“, sagt Hinrichs. Zucker war damals noch ein seltenes Gut in Europa. Mandelbäume wuchsen nur im Süden und Rosenwasser wurde nach wie vor aus dem Orient importiert.

Erst die Entdeckung der Zuckerrübe und die Einführung industrieller Produktionsverfahren hätten den Durchbruch gebracht, sagt Hinrichs. In norddeutschen Städten wie Lübeck oder Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, die über Handelshäfen und ausreichend Hinterland für den Anbau von Zuckerrüben verfügten, wurde Marzipan ab dem 19. Jahrhundert in größeren Mengen hergestellt und konnte sich so schließlich in eine Süßigkeit für Jedermann wandeln.