RALPH BOLLMANN MACHT
: Volksdeutsch

Ein Elterngeld nach Blutsprinzip? Wie schwer das Argumentieren gegen die kleinen Sarrazins fällt, wenn die Familienministerin noch bis vor kurzem von der Leyen hieß

Der Mann sah eigentlich ganz harmlos aus. Typ rüstiger Rentner. Kurzes weißes Haar, gesunde Farbe im Gesicht, aufrechte Haltung. Anderthalb Stunden hatte er uns gelauscht, wie wir vorne auf dem Podium über deutsche Nationalgeschichte diskutierten. Ein sozialdemokratischer Historiker, der Nation durchaus zugewandt, hatte erläutert, dass es sich dabei keineswegs um eine Abstammungsgemeinschaft handele. In seinem Verständnis jedenfalls.

Dann kam der rüstige Rentner auf mich zu. Wartete brav ab, bis ich mich mit dem israelischen Historiker vom Podium noch über dessen Arbeit in der Historikerkommission des Auswärtigen Amts ausgetauscht hatte. Bis ich einer Frau aus dem Publikum erläutert hatte, dass ich keinesfalls mit ihrem alten Braunschweiger Klassenkameraden Bollmann verwandt sein könne, obwohl sie fand, dass ich ihm sehr ähnlich sähe.

Er fing dann sehr vorsichtig an. Er nehme an, ich käme aus dem Westen? Ob ich schon etwas von den zinslosen Ehekrediten in der DDR gehört hätte, die mit wachsender Kinderzahl erlassen wurden? Durchaus, und ich erinnerte mich sogar, dass man das Procedere damals „Abkindern“ nannte. Ich gab zu bedenken, dass diese Art der Bevölkerungspolitik demokratischen Staaten eher fremd sei. Auch wenn ich mich sehr anstrengen musste, das Elterngeld Ursula von der Leyens zu verdrängen.

Die Bemerkung überhörte der Mann geflissentlich, darauf kam es ihm auch gar nicht an. Im Gegenteil. Es sei doch ein gute Idee gewesen, die Prämie nur an Staatsbürger der DDR zu zahlen? Nun, erwiderte ich, die gebe es ja jetzt nicht mehr. An Deutsche, meine er natürlich, ob das nach meiner Ansicht machbar sei? Ich wollte schon empört verneinen, als mir eine bessere Antwort in den Sinn kam. Gar keine so schlechte Idee, sagte ich mit nachdenklich geneigtem Kopf, das könnte den Anreiz zur Einbürgerung verstärken. Hoffentlich kam er nicht auf den Gedanken, dass auch das Konzept von der Leyens die einen Kinder mehr fördern sollte als die anderen. Auch wenn die CDU auf ihrem Parteitag nächste Woche solche Gegensätze mit einem Antrag zukleistern will, der „faire Chancen für jedes Kind“ fordert.

Ich rechnete mit einer eisigen Reaktion des rüstigen Rentners. Aber der Mann blieb freundlich, auch wenn ich ihn jetzt zur Deutlichkeit zwang. Er habe sich wohl nicht klar genug ausgedrückt, sagte er. Er wolle die Subvention nicht für Passdeutsche. Er wolle sie für Volksdeutsche.

Volksdeutsche.

Ich überlegte, wann ich das Wort zum letzten Mal gehört hatte. Nicht als historischen Begriff in einer geschichtswissenschaftlichen Diskussion, sondern in einem heutigen Gespräch wie diesem hier. Der Fremdarbeiter aus einem früheren Wahlkampf fiel mir ein. Die Russlanddeutschen. Und das alte Staatsangehörigkeitsrecht, dessen Abschaffung erst zehn Jahre zurücklag und im demokratischen Spektrum keineswegs unumstritten war.

Dann kämen wir wohl nicht zusammen, meinte ich nur. Mein Gesprächspartner stimmte zu, freundlich noch immer. „Das hatte ich mir gedacht“, sagte er im Weggehen, „Sie kommen ja aus dem Westen. Sie können das nicht verstehen.“ Nein, dachte ich. Verstanden habe ich schon.

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz. Zurzeit ist er „Journalist in Residence“ am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Foto: Urbach