berliner szenen Herbst mit Tieren

Schnabel-Kralle-Technik

Vor dem Café Galao im Weinbergsweg werde ich auf eine Krähe aufmerksam. Unentschlossen fixiert sie etwas auf der anderen Seite des Bürgersteigs. Ich versuche herauszufinden, was sie im Visier hat, und sehe, dass es zwei Tauben sind, die an einer Brotrinde herumpicken.

Die Krähe überlegt, dann hüpft sie zu den Tauben hin. Mit ein wenig Geflatter räumen die Tauben das Feld, lassen sich aber gleich in der Nähe nieder. Die Krähe probiert die Rinde, kommt aber nicht richtig damit klar. Sie lässt die Rinde fallen und guckt stattdessen, was die Tauben jetzt gefunden haben. Währenddessen fliegt eine andere Krähe zu der verschmähten Brotrinde und kann wohl mehr damit anfangen. Krähe 1 bemerkt es sofort, hüpft hin und macht mittels Körpersprache unmissverständlich klar: Meine Rinde. Krähe 2 dreht sich seelenruhig um und bleibt scheinbar desinteressiert neben der Rinde stehen. Der Plan geht auf: Krähe 1 verliert schnell wieder das Interesse. Krähe 2 schnappt sich die Rinde und fliegt damit auf ein Autodach, wo sie die Rinde frisst. Im Gegensatz zu Krähe 1 beherrscht sie nämlich die Schnabel-Kralle-Technik. Krähe 1 konnte nur Schnabel.

Krähe 1 hüpft an das Auto heran und guckt, was Krähe 2 auf dem Autodach mit der Rinde macht. Sie überlegt, ob sie hochfliegen soll, tut es dann aber nicht. Die zwei Tauben wurden mittlerweile von Fußgängern vertrieben. Krähe 1 prüft, was die Tauben hinterlassen haben: eine ähnliche Rinde, mit Schnabeltechnik allein nicht essbar, und ein zweites Brotstückchen, das Krähe 1 auch schnell wieder fallen lässt. Etwas nachdenklich bleibt sie auf dem Bürgersteig hocken, entschließt sich plötzlich, pickt gezielt nach beiden Stücken und fliegt mit gefülltem Schnabel davon. KATHARINA HEIN