„Politik nutzt Energiespar-Potenziale nicht“

Die Umweltökonomin Claudia Kemfert sagt, Nachhaltigkeit sollte den Kapitalismus als Gesellschaftsmodell ablösen. Wirtschaftswachstum allein ist nicht die Lösung. Die Politik muss die Spirale des Energieverbrauchs durchbrechen

taz: Frau Kemfert, auf dem Energiegipfel soll die Frage der Energieeffizienz, also der Einsparung von Strom und Gas, im Mittelpunkt stehen. Ist das der richtige Weg?

Claudia Kemfert: Energiesparen ist immer eine vernünftige Sache.

Grundlage des kapitalistischen Wirtschaftens ist die ständige Steigerung von Umsatz und Profit. Wachstum bedeutet aber immer auch einen steigenden Energieverbrauch. Brauchen wir eine neue Gesellschaftsordnung?

Wenn Sie unter Nachhaltigkeit ein anderes Gesellschaftssystem verstehen, dann ja. Wachstum gleich steigender Energieverbrauch – genau diese Spirale muss durchbrochen werden. Dafür die richtigen politischen Weichen zu stellen, ist eine kluge Politik.

Sehen Sie Ansätze dafür? Die Politiker betrachten doch heute ein 1-prozentiges Wirtschaftswachstum bereits als Untergangssignal.

Das ist richtig: Aktuelle Politik versagt im Angesicht der Herausforderung gänzlich. Deshalb müssen wir Experten zur Seite stehen. Tatsächlich sind die Energiespar-Potenziale da – nicht aber das politische Instrumentarium, diese zu nutzen.

China schickt sich an, ein ganz großer Player auf der Welt zu werden. Und das mit einem – trotz vieler Freiheiten – noch immer planwirtschaftlichen System. Welche Konsequenzen hat das für uns?

China wird uns in kurzer Zeit überholen – sowohl was die Wirtschaftskraft, als auch, was die Energieeffizienz betrifft. Im Weltmachtgefüge kann China dadurch schon bald eine zentrale Rolle spielen. Mit dem rasanten Wachstum von bis zu 10 Prozent jedes Jahr ist auch ein enormer Energiehunger verbunden. Interessant ist erstens, mit welchem Energiemix der gestillt wird: Regenerative Quellen sollen in den nächsten fünf Jahren beispielsweise um 20 Prozent wachsen. Und zweitens resultiert aus diesem Energiehunger eine Notwendigkeit zur Effizienz. Was dort entsteht, unterscheidet sich sehr stark von anderen Ländern. Und daraus wird technologischer Fortschritt erwachsen.

Ist der Kapitalismus in der Lage, sich von den Chinesen in Sachen Energieeffizienz den Rang nicht ablaufen zu lassen?

Kapitalismus funktioniert, solange Geschäftsinteressen zu erkennen sind. Die Erderwärmung wird so ein Interesse werden. Die Münchener Rück-Versicherung hat beispielsweise eine eigene Klimaforschungs-Abteilung gegründet. Und jetzt stehen sie permanent den Politikern auf den Füßen und fordern drastische Maßnahmen. In Großbritannien fordern führende Wirtschaftsvertreter von der Regierung mehr Engagement für den Klimaschutz. Wenn die Industrie die Zeichen der Zeit erkennt, wird sie schon Druck machen.

INTERVIEW: NICK REIMER