Alles auf Neustart. Knurps

Im Ballhaus Naunynstraße startete „Interface“, ein Festival für elektronische Musik und verwandte Künste. Aber noch fehlt der Schwung und der Swing, um Kunst wieder wie Vergnügen im Ballhaus zu buchstabieren. Und etwas mehr Kontakt zum Bodenpersonal täte den elektronischen Raumschiffen gut

VON RENÉ HAMANN

Das Konzept der Wiederbelebung klang vielversprechend. Das altehrwürdige Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg, seit 1983 eine kommunale Spielstätte des Bezirks, konnte für sein Programm aus kleinen Gastspielen schon lange keine große Aufmerksamkeit mehr finden. Sein renovierter Charme aus dem 19. Jahrhundert dümpelte zu oft ungenutzt vor sich hin. Dass man sich hier tanzend amüsierte, da kann sich schon gar niemand mehr dran erinnern. Jetzt soll das Ballhaus unter der Leitung der beflissenen Elke Moltrecht wieder zu einer festen Größe in Sachen Kunst und Kultur in diesem Teil der Stadt werden. Für den Start hat sich Moltrecht ein Festival „for music and related arts“ ausgedacht, es „Interface“ genannt und mit dem Wasserspeicher in Prenzlauer Berg sogar einen zweiten Ort gefunden, an dem begleitende Projekte wie Klangkunst, Installationen etc. dargeboten werden.

Am vergangenen Freitag fand nun die feierliche Eröffnung statt. Alle Mitwirkenden waren frohgemut, und trotz eher verhaltenen Vorberichten waren zahlreiche Menschen gekommen. Moltrecht hatte versprochen, das Ballhaus in seiner Gänze künstlerisch zu nutzen: So hingen im Treppenhaus Fotos von Schoßhunden und den lächelnden Modellen der Kreuzberger Fotografin Charlotte Mathesie, während in den anderen Ecken des Hauses allerlei Klanginstallationen auf die Besucher warten sollten. Leider klappte nicht alles, was wohl der Nervosität der Künstler und dem „Premiereneffekt“ geschuldet war. Das „Hip-O-Phon“ der 17 Hippies im zweiten Treppenhaus jedenfalls klang nach schwerem Fieberanfall und Funktionsstörung. Gedacht war, die Trittfrequenz der Wendeltreppengänger mittels Lichtschrankenimpulse in Orgeltöne umzusetzen. Tatsächlich hörte man ein krankes Pfeifen, während gleichzeitig eine lahme Polkaschleife lief.

Im Café im Souterrain, dem einzigen Ort im Haus, an dem das Rauchen erlaubt ist, sollte eine „Hörgalerie mit urbanen Klangcollagen“ von Michael Rüsenberg eingerichtet sein. Ein unauffällig platziertes Vergnügen: In einer Ecke stand ein Sofa mit einem Kopfhörer mit Wackelkontakt, dem Mitarbeiter und Gäste entsprechend wenig Beachtung schenkten. Schade um die vielen kleinen Citysoundscapes, besonders um die Kölner Zoobrückensymphonie von Rüsenberg.

Wenigstens einen witzigen Effekt hatte die Klangskulptur „Population 2“ von Hans Peter Kuhn auf der Galerie. 75 kleine Lautsprecher, die lustig vor sich hin knurpsten, als Moltrecht und die Gäste von der Administration ihre zum Glück kurzen Eröffnungsreden hielten, bevor es Sekt aus Plastikgläsern gab. Reden, Knurpsen, im Saal Gerumpel und Stimmen aus dem Treppenhaus. Das war schon anregend für die Ohren. Klingklang für die Synapsen. Andererseits mochte man oft mit Heiner Müller denken: „Gebt mir den Schlaf der Maschine.“

Denn insgesamt fehlt es dem Konzept, dem des Festivals wie dem des Hauses, irgendwie noch an Schmiss, an Swing, an Soul, an Sex. Was besonders für den Hauptteil der Eröffnung, die Konzerte im Saal, galt. Während der Auftritt des Polen Kurcharzyk alias „The Complainer“ mit seiner gewollt auf Punk und Avantgarde getrimmten Ich-schreie-während-gleichzeitig-mein-Instrumentenpark-enorm-enervierende-Geräusche-macht-Performance an den schrecklicheren Teil der Achtziger- und Neunzigerjahre erinnerte, konnte Felix Kubin aus Hamburg, der das Festival eröffnete, zumindest mit Tanzbarkeit, absurdem Humor und einer selbstironischen Darbietung seiner zackigen Raumschiffmusik aufwarten. Anders ausgedrückt: Zwar hatte auch Kubin einen Stock im Arsch, aber wenigstens war der elektrisch geladen. So wie die Quallen und andere Glibbertiere in einem seiner lustigen Stücke. Seiner Aufforderung, den Ballsaal endlich zu seiner wahren Bestimmung kommen zu lassen, also die Stühle beiseite zu räumen und beseelt das Tanzbein zu schwingen, kam das verdatterte Publikum dann aber doch nicht nach.

„Interface“ heißt so viel wie Berührungspunkt oder Wechselbeziehung. Was nicht nur zwischen den jeweiligen Künsten geschehen soll, sondern auch mit den jeweiligen Orten. So hatte Moltrecht mehrfach betont, dass der Austausch mit der Umgebung ein Ziel ihrer Arbeit sei. Ob die Anbindung an den Kiez auf diese Art gelingen kann, bleibt allerdings fraglich. Am Eröffnungsabend jedenfalls war es, als ob zahlreiche Raumschiffe mit seltsamen Kreaturen aus fernen Galaxien gelandet waren, um ihre hochtechnisierten Maschinen vor eigens angereisten Weltraumforschern laufen zu lassen. Mit der armen und alternativen Kultur rund um den Mariannenplatz hatte das wenig zu tun. Mit der türkischen Musik, die aus den Fenstern der unmittelbaren Nachbarschaft in die laue Nacht schallte, gar nichts.

Das Interface-Festival im Ballhaus Naunynstraße sowie im Wasserspeicher Prenzlauer Berg dauert noch bis zum 7. Oktober an. Infos unter www.ballhausnaunyn.de und www.interface-festival.de.