Ja, es war Liebe

ENTWICKLUNG Sheela Birnstiel war die Sekretärin des Sektengurus Bhagwan. Sie organisierte sein Imperium, das Sinnsuche mit Profit und Paranoia verschmolz. Heute leitet sie in der Schweiz zwei Behindertenheime

Der Guru: Bhagwan, Jg. 1931, war Gründer der Neo-Sannyasin-Sekte. Mit Meditation und tantrischem Sex sollten seine AnhängerInnen ein höheres Bewusstsein erreichen. Er selbst wollte reich damit werden.

Die Sekretärin: Sheela Birnstiel, Jg. 1950, war Bhagwans Assistentin und mächtige Chefin seiner Modellkommune in den USA.

Der Film: Diese Woche läuft der Film „Guru – Bhagwan, his secretary & his bodyguard“ von Sabine Gisiger und Beat Häner an. Der Bodyguard erkennt irgendwann, dass das Sektenleben mit Kontrolle und Manipulation einhergeht. Sheela indes beharrt darauf, jede(r) hätte gehen können. Für den Bodyguard endet die Episode im Zusammenbruch. Für Sheela im Gefängnis.

VON WALTRAUD SCHWAB

Diese Sheela gibt es zweimal, obwohl sie eine Person ist. Einmal ist sie jung. Einmal älter. Die Ältere sitzt in heller Jeans und Fleecejacke im Askanischen Hof in Berlin – einem Hotel, das die Gäste mit gehäkelten Tischdecken und Mustertapeten, mit Jugendstillampen und Polstermöbeln in seinem Interimszuhause umfängt. Die jüngere Sheela hingegen ist nur noch in Filmdokumenten zu sehen. Meist in rote Gewänder gekleidet, begleitet sie als dunkelhaarige Schönheit einen weißbärtigen Mann. Sie verbeugt sich vor ihm, sitzt zu seinen Füßen, nähert sich ihm von der Seite. Der Weißbart: Bhagwan. Die junge Frau: seine Sekretärin. Jetzt kommt der Dokumentarfilm über sie und die von Bhagwan gegründete Sekte, die Anfang der achtziger Jahre fast eine halbe Million Gefolgsleute hatte, in die Kinos.

Die jüngere Sheela im Film ist die Projektionsfläche für die ältere, die auf dem Sofa im Hotel sitzt. Aber es gelingt nicht, die beiden als eine Person zu sehen. „Ich kann verstehen, dass Sie die junge Frau und mich hier nicht zu einer verschmelzen können“, sagt Sheela. Sie lehnt sich in den weichen Polstern zurück und spricht mit ruhiger Stimme. Aber was trennt die Jüngere von der Älteren? „Die Erfahrung. Die Lebenslehren“, antwortet sie.

Sheela wurde 1950 geboren. Sie lernt den fast dreißig Jahre älteren Bhagwan, einen Philosophieprofessor und Gründer der Neo-Sannyasinbewegung, seiner Sekte, Anfang der siebziger Jahre kennen. Auch heute beschreibt sie ihr Verhältnis zu ihm als „pure love and affection – ein einmaliges und ewiges Gefühl“. Sie trage alles von Bhagwan in sich. Trotz all des Irrsinns und der Zerwürfnisse, in die sich die Sannyasins mit der Zeit manövrierten. Zweifel an ihrer Liebe zum Meister sind zwecklos. „Man kann nicht viel falsch machen mit Liebe.“ Sex aber, sagt sie, habe sie nicht mit ihm gehabt, obwohl sie glaubt, dass das eine erfüllende Erfahrung hätte sein können. „Ich war immer ehrlich zu ihm. Deshalb konnte ich am Ende auch weggehen“, sagt sie. Böse sei sie ihm auch nie gewesen, obwohl sie für die Sannyasins am Ende von 1985 bis 1988 in den USA im Gefängnis saß.

Hat die Liebe Sie blind gemacht? „Es hat mir nicht wehgetan, blind zu sein.“

Bhagwan muss ein Mann mit Charisma gewesen sein. Er hatte als Gelehrter genug persönliche Autorität, um sich nicht an vorgegebene Strukturen halten zu müssen. Und es gelang ihm offenbar mühelos, westliche Philosophie, Kapitalismus, Konsumismus, fernöstliche Weisheit, Altruismus und Askese mit sexueller Revolution zu verbinden. Ein sprühendes Gemisch entstand, das in der Zeit der Aufbruchsbewegungen der siebziger Jahre auf viele Menschen, die auf Sinnsuche waren, wie ein Katalysator wirkte – vor allem in den westlichen Ländern. Das höchste der Gefühle für seine Anhänger und Anhängerinnen soll es gewesen sein, einmal Bhagwans individuelle Aufmerksamkeit zu erhaschen. Dafür haben sie sich ausbeuten lassen und ein weltweit vernetztes Unternehmen sowie eine gut organisierte Infrastruktur für mehrere tausend Leute in freiwilliger Arbeit aufgebaut – zuerst den Ashram in Poona, und als dieser zu klein wurde, die Big Muddy Ranch in Oregon.

Auf der Ranch in Oregon läuft die Sannyasinbewegung Mitte der achtziger Jahre aus dem Ruder. Die immer größer werdende Gemeinschaft versucht Einfluss auf die lokale und staatliche Politik zu nehmen. Dies schürt Ressentiments von außen. Das wiederum verstärkt die Paranoia auf der Ranch. Zur Medikamentenabhängigkeit des Gurus, zu seinem Materialismus – Bhagwan will ins „Guinness-Buch der Rekorde“ aufgenommen werden als der Mann mit den meisten Rolls-Royce, erzählt Sheela – kommt die Militarisierung der Sekte. Es soll Pläne gegeben haben, den Justizminister von Oregon zu ermorden. Auch wurde in einer Stadt in der Nähe das Wasser von Sannyasins mit Salmonellen verseucht. Offiziell gilt Sheela, die rechte Hand Bhagwans, die der Gemeinschaft die organisatorische Struktur gibt, als die Täterin. Sie sagt: „Zu Unrecht“.

Ungefähr ab 1983 seien ihr Zweifel gekommen, erzählt sie. „Ich fand, Bhagwan war nicht mehr an der Gemeinschaft interessiert. Dann kann ich auch nicht mehr für ihn die Verantwortung für alles tragen.“ Sie verlässt 1985 die Ranch. „Ich war nicht auf Sinnsuche. Auch wenn über Spiritualität geredet wurde, das war nicht my cup of tea.“ Für sie zählte die Liebe zu Bhagwan. Deshalb, sagt sie, hadere sie auch nicht damit, dass die USA am Ende sie anklagten und verurteilten wegen Brandstiftung, Abhörung, versuchten Mordes und Massenvergiftung. Angebliche falsche Aussagen Bhagwans erklärt sie mit der Enttäuschung und Wut des Verlassenen.

Dass bei den Sannyasins ausbeuterische, manipulative Methoden benutzt wurden, weist Sheela zurück. Mit Sätzen wie: „Die ganze Welt ist manipulativ“, oder: „Die Leute kamen freiwillig“, niemand sei gezwungen worden, „jeder muss selbst dafür Verantwortung tragen“, pariert sie Fragen danach. „Ich bin auch Produkt dieser manipulativen Struktur. Ich bin die höchstbestrafte Anhängerin dieser Bewegung, aber ich schiebe die Verantwortung nicht auf andere.“

Auch das Wort „Sekte“ lehnt sie ab. Ihr geht es vielmehr um ein Leben in Gemeinschaft. Dass sie das tatsächlich meint, dafür steht die ältere Sheela, die, die seit zwanzig Jahren in der Schweiz lebt und Sheela Birnstiel heißt. Sie hat einen eidgenössischen Sannyasin geheiratet. So kam sie zu dem Namen. Und zum Schweizer Pass.

In der Nähe von Basel hat Sheela Birnstiel in den letzten Jahrzehnten zwei Heime für 32 psychisch kranke oder demente Menschen aufgebaut. Die Jüngste, eine schizophrene Autistin, ist 21 Jahre alt, die Älteste 87. Auch ehemalige Obdachlose sind unter den BewohnerInnen. Sheela lebt mit ihnen, sie arbeitet mit ihnen, singt, tanzt, isst mit ihnen. „Wir haben sehr flache Hierarchien“, sagt sie. Ihr eigenes Zimmer teilt sie mit ihrer leiblichen Schwester. Sie ist die Jüngste von sechs Geschwistern.

Die Heime sind von den Schweizer Sozialträgern anerkannt, und die Arbeit gilt als gut. Egal wie stark die Behinderung ist, die Menschen leben zusammen. Alle sind in Kontakt mit allen. „Wir leben ein offenes Leben“, sagt sie. „Das hat nichts mit Kontrolle zu tun. Die Leute brauchen Hilfe.“ Pflegearbeiten werden nicht nach der Stoppuhr ausgeführt. Auch „Patientenisolation gibt es nicht.“ Stattdessen ein ausgeklügeltes Tagesprogramm. Es beginnt mit Hygiene. „Sauberkeit ist Würde“, sagt Sheela. Außerdem gehen die Bewohner und Bewohnerinnen täglich spazieren. Maltherapie, Musik, Jahresfeiern sind fest im Programm. „Wir leben ganz normal“, sagt sie.

Normal, das ist das Stichwort. Auch Sheelas Wahrheiten klingen einfach: „Liebe und Lachen kann man nicht unterdrücken“. Oder: „Angst vor dem Tod ist Angst vor dem Leben.“ Sie verschenkt das Büchlein, in dem sie ihre Leitsprüche aufgeschrieben hat. Die Essenz ihrer heutigen Lebensauffassung unterscheide sich nicht von der früheren, meint sie, wohl aber kenne sie die Abgründe nun.