Da wächst was

WIRTSCHAFTSBOOM Von Krise ist beim fairen Handel keine Rede, aus handfesten Gründen

Ungebremstes Wachstum kann auch im fairen Handel problematisch werden

VON VOLKER ENGELS

Im vergangenen Jahr kauften Verbraucher fair gehandelte Produkte im Wert von 322 Millionen Euro, seit 2008 ein Zuwachs von mehr als 20 Prozent. Ein vergleichbares Wachstum bringen selbst boomende Volkswirtschaften kaum zustande.

Gleichwohl fällt der Blick auf die einzelnen Sparten gemischt aus: Während Textilen aus fair gehandelter Baumwolle ein Wachstum von 141 Prozent aufwiesen, stieg der Anteil fair gehandelter Blumen verglichen mit dem Vorjahr um immerhin 40 Prozent. 6,1 Millionen Liter fair gehandelte Fruchtsäfte fanden den Weg zu den Konsumenten in Deutschland, eine Steigerung um mehr als 30 Prozent. Den stärksten Posten in absoluten Zahlen macht weiterhin der Kaffee aus, der mit einem Siegel aus fairem Handel versehen ist. Bei einem Wachstum von 13 Prozent gingen im vergangenen Jahr mehr als 5,9 Tonnen über deutsche Ladentheken oder wurden in Restaurants, Cafés oder Kantinen an den Mann und die Frau gebracht. Magerer fällt die Bilanz unter anderem beim Honig aus, der ein Minus von fast acht Prozent verbuchte, belegen die Zahlen für 2009 , die das „Forum Fairer Handel“ bei seinen Mitgliedsverbänden abgefragt hat.

Die Ursachen für die gestiegene Nachfrage in Deutschland dürften vielfältig sein: „Je mehr Anbieter fair gehandelte Produkte auch in größeren Mengen liefern können, desto stärker dürfte der Absatz boomen“, sagt Barbara Fritz, Professorin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität (FU) in Berlin. Der Sprung von kleineren Läden in „etablierte Vertriebsketten“ führe dazu, dass auch zahlreiche Konsumenten mit fair gehandelten Produkten in Berührung kämen und somit die Möglichkeit erhielten, diese Produkte zu kaufen. Eine Einschätzung, die Volkmar Lübke teilt: „Jeder Kontakt mit fair gehandelten Produkten im Regal erhöht die Chance, dass Verbraucher zugreifen“, so der Meinungsforscher und stellvertretende Vorsitzender der Siegel-Organisation „Transfair“. Ein weiterer Grund dafür, dass Konsumenten wohl auch in wirtschaftlich schlechteren Zeiten auf fair gehandelte Produkte zurückgreifen, liegt in dem Vertrauen, dass sie diesen Waren entgegen bringen: „Als Gründe für ihren Kaufentscheid geben zwei von drei Kunden zum Beispiel an, dass Kinderarbeit bei der Produktion keine Rolle gespielt hat.“ Dass das Geld nicht in irgendwelchen bürokratischen Kanälen versickert, die Qualität der Produkte stimmt und die Hersteller faire Preise erhalten, ist für mehr als die Hälfte der Käufer von wesentlicher Bedeutung, folgert Lübke aus einer repräsentativen Untersuchung, die er für das „Forum Fairer Handel“ erstellt hat. „Verbraucher, dass zeigen alle Untersuchungen, die wir bis heute durchgeführt haben, „verbinden mit den Siegeln auf fair gehandelten Produkten den Begriff ,Glaubwürdigkeit‘“.

In der Vergangenheit hätten Menschen, die bei ihrer Kaufentscheidung „religiös motiviert“ sind, zur „klassischen Kerngruppe“ fair gehandelter Waren gehört. „Inzwischen gibt es eine steigende Zahl von Käufern, die Qualitätsstandards mit Lifestyle und Genuss“ verbinden wollen – die Kundschaft wandelt sich. Und diese Kundschaft hat immer mehr Gelegenheiten, zuzugreifen: Alleine 5.000 neue Restaurants, Kantinen, Bäckereien und Cafés sind 2009 als Vertriebsstellen für den fairen Handel hinzugekommen.

Auch für die Zukunft sieht Lübke weiteres Wachstumspotenzial, trotz Krise und Preiskämpfen im konventionellen Lebensmittelhandel: „Wir wissen aus Befragungen, dass 30 Prozent der Konsumenten, die im Moment noch keine fair gehandelten Produkte kaufen, das Konzept grundsätzlich unterstützen – da ist noch Luft nach oben.“ Dass ungebremstes Wachstum, auch im Segment des fairen Handels, mit Nachteilen verbunden sein kann, darauf weist Fritz hin: „Man muss ein Augenmerk darauf haben, dass die kleinen Genossenschaften und Produzenten sich den Zertifizierungsprozess auch leisten können und es nicht zu einem Verteilungskonflikt mit den großen Anbietern kommt.“