Ein Kundus-Opfer klagt Deutschland an

KRIEG Abdul Hanan verlor bei der Bombardierung vor einem Jahr seine beiden Söhne San Ullah (11) und Abdul Saian (12): „Ich fühle mich noch immer wie amputiert“

BERLIN taz | Ein Jahr nach dem auf Anordnung der Bundeswehr erfolgten Angriff nahe Kundus, bei dem bis zu 142 Menschen starben oder verletzt wurden, warten viele der Opfer weiter auf eine angemessene Entschädigung. So wie der Afghane Abdul Hanan, der damals seine beiden Söhne verlor: „Ich wurde nie angemessen entschädigt“, sagt er im taz-Interview.

Weil die afghanische Regierung den zwölfjährigen Abdul Saian zum Talibankämpfer erklärte, erhielt er für dessen Tod kein Geld: „Dabei hatte er gar keine Waffe bei sich, nur einen Kanister. Er war ein kleiner Junge, der noch zur Schule ging.“

Deutschland, so Abdul Hanan weiter, habe später Mehl, Decken und fünf Liter Kochöl geschickt. Kürzlich seien Deutsche gekommen, die für jedes Opfer 3.800 Euro versprachen. „Mir wäre es lieber, wenn meine Söhne beide Hände und Füße verloren hätten, aber noch am Leben wären.“

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums machte gestern deutlich, dass die Bundesregierung zunächst nicht auf Forderungen nach einer höheren Entschädigung eingehen will. Regierungssprecher Christoph Steegmann sagte, die Bundesregierung halte den verheerenden Luftschlag von Kundus auf die beiden von Taliban entführten Tanklastwagen für weitgehend aufgeklärt. „Was vonseiten der Regierung getan werden kann, ist auch von der Regierung getan worden“, sagte er.

Die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein, der den US-Luftangriff angeordnet hatte, wurden in diesem Jahr eingestellt. Im August beendete auch die Bundeswehr ihre Vorermittlungen zu einem Disziplinarverfahren gegen Klein und einen Flugleitoffizier ohne Ergebnis.

Zum Jahrestag des Luftangriffs forderte die Afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission Deutschland dazu auf, den Betroffenen über Zahlungen hinaus mit Wohltätigkeitsprojekten zu helfen. „Auch wenn sie die gestorbenen Familienmitglieder nicht zurückbringen können, können sie zumindest das Leben der Familien ein bisschen zum Besseren wenden“, sagte der Leiter der Organisation in Kundus, Hajatullah Amiri.

Abdul Hanan, der seine Söhne verloren hat, verdient nach eigenen Angaben „vielleicht 100 Dollar im Monat, abzüglich der Ausgaben für Vieh und Feld“. Die meisten der Betroffenen sind wie er Bauern.

Die Bundeswehr geht davon aus, dass es 91 Tote und 11 Schwerverletzte gab. Die Nato war in einem Untersuchungsbericht auf mindestens 142 Tote und Verletzte gekommen. Der deutsche Anwalt der Opfer errechnete 137 Tote. Nach Angaben der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission hat Deutschland jeder der 86 betroffenen Familien 3.800 US-Dollar bezahlt, unabhängig davon, wie viele Opfer sie jeweils zu beklagen hatte.

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