Das wahre Alphatier

Als ich Kalle in den ersten Sitzungen der taz in der Wattstraße kennenlernte, war er blass, blond und viel zu jung. Er war Geschäftsführer. Er sagte nichts und er machte nichts. Jedenfalls nichts, das ich wahrgenommen hätte. Allerdings war mir schon damals klar, dass eine Geschäftsführung, von der die Redaktion, weil alles glattgeht, nichts merkt, eine gute, eine sehr gute Geschäftsführung ist. Bei Vollversammlungen war Kalle, den ich immer noch nicht kannte, von Anfang bis Schluss dabei. Ohne ein Wort zu sagen. Während wir Pseudo-Alphatiere uns gewaltige Redeschlachten lieferten. Später beobachtete ich ihn, wie er die taz rettete, indem er das Haus in der Kochstraße kaufte. Ohne basisdemokratische Absicherung. Dann war er dabei, mit der Ost-taz eine Million Mark – oder waren es gar mehrere? – in die Kassen der taz zu spülen. Kalle war immer noch blass, blond und sah viel zu jung aus. Ich kannte ihn immer noch nicht. Aber ich hatte gelernt, ihn zu bewundern. Das mache ich bis heute. Jetzt ist er, das wahre Alphatier der taz, sechzig, Ist immer noch blass, blond und sieht viel zu jung aus. Ach Kalle, ich hätte Dich gerne kennengelernt! Alles Gute für die nächsten Jahrzehnte! Arno Widmann

■ Arno Widmann, Chefredakteur 1994 bis 1995