Macht Liebe unemanzipiert?

ROLLENBILDER Beziehungen bringen einiges in Menschen zum Vorschein – einschließlich überkommener Muster

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante

Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

JA

Christiane Settelmeier, 41, ist Philologin und hat die Frage per E-Mail kommentiert

Mitten in der Promotion bin ich Mutter geworden. Jetzt stehe ich nicht mehr vor 60 Studenten, sondern vor zwei kleinen Jungs, die morgens um fünf unbedingt in den Zoo gehen wollen. Von einer selbstständigen Frau wurde ich zur Vollzeitmama. Die Liebe zu meinem Mann und meinen Kindern hat mich unemanzipiert gemacht – von außen betrachtet. Doch ich sehe es anders: Ich muss nicht zu Hause bleiben. Ich kann mir etwas leisten, das für viele unmöglich ist. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, meine Kinder in den ersten Lebensjahren intensiv zu begleiten. Um mich danach wieder meinen eigenen Bedürfnissen zuzuwenden. Ich habe weder das Gefühl, abhängig noch weniger wert zu sein. So kann ich mich auf das Abenteuer Mutter einlassen. Das hört sich vielleicht unemanzipiert an, doch es fühlt sich sehr frei an.

Maximilian Pütz, 36, ist Coach und lehrt Männern die Kunst der Verführung

„Shades of Grey“, eines der meistverkauften Bücher der Welt, zeigt doch deutlich, in welche Richtung die Sehnsüchte der Frauen bezüglich ihres Traummannes gehen. Auch die moderne, emanzipierte Akademikerin träumt anscheinend von einem reichen, omnipotenten Mann, dem sie sich bedingungslos unterwerfen kann und der ihr „mal ordentlich den Arsch versohlt“. Der „gendergemainstreamte“ Vorzeigemann wird höchstens für eine Vernunftehe auserwählt und hat dort meistens nicht viel zu lachen. Zum Lachen finde ich, wie wenig der öffentliche Sexismusdiskurs und das staatliche Gender-Umerziehungsprogramm mit der Lebensrealität der meisten Menschen zu tun haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer viel eher bereit sind, im Haushalt zu helfen und sich um die Kinder zu kümmern, als Frauen bereit sind, mit ihrem Gehalt auch den Mann mitzufinanzieren. 90 Prozent der deutschen Frauen heiraten nach oben. Noch Fragen?

Tim Wilhelm, 36, ist seit zwei Jahren Frontmann der Band Münchener Freiheit

Vielleicht bin ich zu blond, um diese Frage zu verstehen, die von der „klassischen“ gemischtgeschlechtlichen Partnerschaft und den entsprechenden Klischees ausgeht. Wenn es um Gefühle geht, werden dogmatisierte Denkmuster– zum Glück – gerne intuitiv ignoriert. Da freut sich eine Punkerin grinsend, wenn ihr ein Mann die Tür aufhält. Zu emanzipiertem Verhalten kann ich da keinen Widerspruch erkennen, im Gegenteil: Wer wirklich eine Haltung verinnerlicht hat, ist frei von dem Zwang, diese permanent plakativ zu propagieren. Liebe macht unemanzipiert und das ist gut so, sofern wir darunter verstehen, dass die Partnerin ihre „schwache“ Seite zeigen und sich verwöhnen lassen darf.

Klaus Heer, 70, ist Publizist und seit 40 Jahren Paartherapeut, er lebt in Bern

Emanzipation ist nur ein anderes Wort für Egoismus und zerstört die Liebe. Wenn in einer Ehe mehr als einer emanzipiert ist, gibt es Dauerstunk. Am deutlichsten zeigt sich das doch im Bett. Die Frauen wollen sich von Natur aus dem Mann hingeben und sich führen lassen, wie beim Tango. Das ist Glück pur. Für beide. Genau wie damals, als wir verliebt waren. Da war keine Spur von Emanzipation und Kampf. Wir wären heute noch im siebten Himmel, wenn meine Frau das begreifen würde. Aber leider will sie sich andauernd selbstverwirklichen. Klingt alles komisch? So reden Männer oft in der Paartherapie. Manchmal auch Frauen.

NEIN

Katja Kipping, 36, ist Abgeordnete und Bundesvorsitzende der Partei Die Linke

Einen falschen Satz umzudrehen, macht ihn nicht richtig. Feministinnen mussten sich einst gegen die Behauptung verteidigen: „Die Emanzipation tötet die Liebe.“ Und doch haben sie dafür gestritten, dass Ehefrauen sich scheiden lassen können, Verträge abschließen dürfen und Vergewaltigung in der Ehe bestraft wird. Liebe gibt es offenbar noch immer. Die Utopie, die Liebe innewohnt, ist doch gerade: Sie soll weder Klasse noch Geschlecht kennen, frei gewählt und von Solidarität sowie emotionaler Bezogenheit geprägt sein. Echte Liebe kann es daher nur zwischen wirklich Freien geben. Von einer Gesellschaft, die Freiheit ermöglicht, sind wir weit entfernt. Statt gegen die Liebe sollten wir gegen Rollenanforderungen und die Privilegierung ehelicher Liebe streiten. Und für eine Gesellschaft kämpfen, die Emanzipation erlaubt.

Wolfgang Schmidbauer, 72, ist Autor, Psychoanalytiker und Paartherapeut

Liebe ist Emanzipation, wenn sie als ernstlich am Wohlergehen einer geliebten Person interessierte Haltung verstanden wird. Sie wendet sich dann gegen dogmatische Vorstellungen jeder Art. Deswegen eignen sich Liebende nicht immer als Beleg für Unisex-Regeln, die mit Emanzipation verwechselt werden können. Sie spielen miteinander, doch ihr Spiel ist frei gewählt. Wenn Elemente tradierter Rollen gespielt werden, fehlen Zwang und Gewalt. Einseitige Bemächtigung ist keine Liebe. Aber Liebe kann Selbstbewusstsein nicht ersetzen. Nur dieses schützt vor Manipulation im Namen der Liebe.

Luise Pusch, 70, ist feministische Sprachwissenschaftlerin und Schriftstellerin

Liebe meint hier anscheinend heterosexuelle Liebe. Bei der Liebe zwischen Frau und Mann gibt es das Problem: Er gehört dem herrschenden Kollektiv an – ob er will oder nicht. Sie gehört zur untergeordneten Klasse. Zwischen zwei Frauen oder Männern gibt es kein eingebautes Machtgefälle, sondern nur individuelle Machtunterschiede. Wer den Haushalt macht – eine Kernfrage der Frauenemanzipation – ist in einem Lesben- oder Schwulenhaushalt meist kein Thema.

Udo Walz, 69, Starfriseur, lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft

Nach meiner Erfahrung manifestiert sich die Liebe nach einiger Zeit und da stellt sich die Emanzipation in ganz langsamen Schritten ein. Beide Partner pflegen wieder mehr Umgang mit den eigenen Freunden, ohne den Partner zu vernachlässigen. Die Liebe tötet nicht die Interessen der Partner, wenn sie im Herzen wissen, wohin sie gehören!

Sonja Eismann, 40, ist Chefredakteurin des feministischen „Missy Magazine“

Ohne Emanzipation keine Liebe! Wer sein Gegenüber nur liebt, weil es dafür da ist, die eigenen Defizite auszubügeln, spekuliert auf die Annehmlichkeiten einer Nutzgemeinschaft, aber nicht auf den spannenden Austausch einer Beziehung unter Gleichberechtigten. Ich könnte nie einen Typen lieben, der auf mich angewiesen ist, um sich ein Spiegelei zu brutzeln. Als moderne, heterosexuelle Frau kann ich mir wenig Unattraktiveres vorstellen, als einen Mann, der eine Identitätskrise bekommt, wenn er das Klo putzen muss!