Zwischen Zwang und Autonomie

PROSTITUTION Die Linksfraktion diskutierte mit Sexarbeiterinnen über ihre Arbeitsbedingungen. Aus dem Publikum blieben moralische Einwände ebensowenig aus, wie die Leugnung von Zwangsprostitution

Andere bezweifeln, dass sich Freiwilligkeit von Lohnarbeit im Kapitalismus überhaupt voraussetzen lasse

Sehr leicht verschwinden die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen hinter den Debatten um Zwangsprostitution und Menschenhandel. Das wurde am Dienstagabend im Lagerhaus klar: Die Linkspartei hatte zu einer Podiumsdiskussion zwischen Politik und praktizierenden Sexarbeiterinnen geladen. Und: Von der Forderung nach mehr Kontrolle bis zur Leugnung von Zwangsprostitution kam alles vor.

Anlass für die Veranstaltung war die anhaltende Debatte über die Eindämmung von Zwangsprostitution. Im vergangenen Jahr hatte die SPD-Fraktion in Bremen ein Landesgesetz angekündigt. Neben gewerberechtlichen Regeln sollte es auch dem Menschenhandel und der Ausbeutung von Prostituierten verschärfte Überwachungsmaßnahmen entgegensetzen. Die bundespolitischen Entwicklungen abwartend, liegt der Entwurf zur Zeit auf Eis. Dass Neuregelungen folgen, steht aber außer Frage.

Fürsprecher strengerer Regeln gibt es auch im Bremer Prostitutionsgewerbe – das wurde am Dienstag deutlich: „Wir wollen eindeutige Regeln“, sagte etwa Klaus Fricke, der mit seiner Frau das Bordell „Haus 9“ in der Neustadt betreibt. Dort können Sexarbeiterinnen Räume mieten. Die aktuellen Regelungen sind Fricke zu unklar. Er habe Monate gebraucht, in seinem Haus mit vier Zimmern rechtssichere Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Ausgangspunkt der juristischen Diskussion ist das Prostitutionsgesetz von 2002. „Es hat die Sexarbeit einerseits legalisiert und zugleich riesige Rechtsunsicherheiten geschaffen“, sagt die Hamburger Juristin Ulrike Lembke. Die drei Paragrafen würden den komplexen Anforderungen dieses speziellen Gewerbes nicht gerecht. Konkreten Fragen würden den Ländern und letztlich einzelnen Behörden überlassen, die in einem Geflecht aus Bau-, Gewerbe- und Steuerrecht nach „eigenen Logiken“ vorgingen.

Claudia Bernhard, Frauenpolitikerin der Linksfraktion, sagt hingegen: „Dass Sexarbeit nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig galt, war ein wichtiger erster Schritt.“ Eine gesellschaftliche Debatte müsse nachgeholt werden, damit moralische Fragen die politischen nicht überlagern. Wichtig sei, Sexarbeiterinnen einzubeziehen und nicht pauschal als Opfer zu begreifen.

Moralisch wurde es auch im Publikum: Immer wieder war vom Zwang die Rede, von der „Ökonomisierung von Sexualität und Liebe“. Andere bezweifeln, dass sich Freiwilligkeit von Lohnarbeit im Kapitalismus überhaupt voraussetzen lasse.

Dann verlasen Sexarbeiterinnen eine vorbereitete Erklärung auf Rumänisch, eine Übersetzerin hatten sie dabei: Sie machten ihre Arbeit gerne und keine von ihnen kenne jemanden, der unfreiwillig in der Branche arbeite. „Zwangsprostitution gibt es nicht. Unfreiwilliger Sex ist schließlich Gewalt und wer würde dafür bezahlen wollen?“

Aus dem Publikum folgte energischer Widerspruch, ebenso von anderen Sexarbeiterinnen. JAN-PAUL KOOPMANN