Nein zum vergifteten Angebot

PROTEST Oppositionspolitiker lehnen ein Stück von der Macht ab und fordern den ganzen Kuchen. Im Westen des Landes setzen Demonstranten die Regierenden ab

„Das Volk entscheidet über unsere Führer, nicht du“

ARSENIJ JAZENJUK

VON JURI DURKOT
UND KLAUS HILLENBRAND

LWIW/BERLIN taz | Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch ist mit dem Versuch gescheitert, die Massenproteste durch die Einbindung der Oppositionsparteien in die Regierung zu beenden. Die Regierungskritiker Arsenij Jazenjuk und Vitali Klitschko lehnten sein Angebot ab, die Regierung unter Janukowitsch zu übernehmen.

„Kein Geschäft mit Janukowitsch. Das Volk entscheidet über unsere Führer, nicht du“, twitterte Jazenjuk. Er verlangte weitergehende Zugeständnisse, darunter die Freilassung der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenkos aus dem Gefängnis. Der ehemalige Boxweltmeister Vitali Klitschko sprach von einem „vergifteten Angebot“, das die Demonstrationsbewegung spalten sollte. Klitschko sagte, man werde weiter für vorzeitige Neuwahlen kämpfen.

Janukowitsch hatte der Opposition neben der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten angeboten, alle festgenommenen Demonstranten zu begnadigen. Voraussetzung dafür sei, dass die Demonstranten sich aus den besetzten Gebäuden zurückzögen. Statt eines Rückzugs besetzten am Sonntag etwa 2.000 Demonstranten mit dem „Ukrainischen Haus“ ein weiteres Gebäude. Einige warfen Molotowcocktails, die Polizei setzte Wasserwerfer und Blendgranaten ein. 200 Sicherheitskräfte durften das ehemalige Lenin-Museum erst nach Stunden über einen Seitenausgang verlassen. Auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan protestierten weiterhin Tausende Menschen in eisiger Kälte.

Unterdessen droht dem Präsidenten die Macht in den westlichen Provinzen zu entgleiten. In Lwiw, dem altem Lemberg, nahe der Grenze zu Polen, hielten Demonstranten das Gebäude der Regionalversammlung besetzt. Gouverneur Oleg Salo war schon am Donnerstag dazu gezwungen worden, seinen Rücktritt zu unterschreiben. Vor dem Gebäude wurde eine Barrikade errichtet. Der Bürgermeister der 700.000-Einwohner-Stadt, Andrij Sadowyi, unterstützt die Oppositionellen schon länger.

Der Polizeichef von Lwiw gab bekannt, dass man nicht gegen das Volk kämpfen werde. Die Kaserne mit Einheiten des Innenministeriums wird seit einer Woche von Hunderten Demonstranten blockiert. Letzten Sonntag hatten Protestierende die Reifen von Bussen aufgeschlitzt, mit denen Einheiten nach Kiew gebracht werden sollten.

In anderen Städten der Westukraine bot sich ein ähnliches Bild. In Cherniwtsi an der Grenze zu Rumänien, dem früheren Czernowitz, griffen Regierungsgegner am Freitag den Sitz von Gouverneur und Parlament an und stürmten das Gebäude. Die Demonstranten riefen „Schämt euch“ und verlangten den Rücktritt der Regionalpolitiker.

Auch in Iwano-Frankiwsk stürmten Protestierende das Haus der Regionalregierung. Rund 1.500 Menschen begannen damit, Barrikaden zu bauen. Die Demonstranten verlangten den sofortigen Rücktritt der regionalem Regierung. Die Partei Janukowitschs wurde demonstrativ zu einer „verbotenen Organisation“ erklärt. Auch die Kommunisten seien „unerwünscht“, da sie im Kiewer Parlament der Einschränkung des Demonstrationsrechts zugestimmt hätten.

Weitere Proteste wurden aus Lutsk, Riwne, Ternopil und aus der im Nordosten gelegenen Stadt Sumy gemeldet. In Ternopil wurde ein wichtiger Platz der Stadt offiziell in „Platz der Helden des Euromaidan“ umbenannt.

Dagegen blieb es im Süden und Osten der Ukraine weitgehend ruhig. Dort besteht die Mehrheit der Bevölkerung aus russischsprachigen Ukrainern, die Präsident Janukowitsch bisher unterstützt haben. Der Westen ist dagegen traditionell europäischer geprägt. Diese Region zählte bis 1918 zu Österreich-Ungarn, fiel nach dem Ersten Weltkrieg an Polen und Rumänien und wurde erst nach 1945 sowjetisiert.

Eine Umfrage von Ende Dezember unterstreicht die politische Spaltung des Landes. Danach unterstützen im Westen der Ukraine 90 Prozent die regierungskritischen Demonstranten, im Zentrum, zu dem Kiew gehört, sind es etwa 60 Prozent, und im Osten lediglich 13 Prozent. Der Chef der Gebietsverwaltung von Charkow nannte die Gesetze gegen Demonstranten „nicht streng genug“. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben im Osten mehrere Bürgermeister und Gebietsparlamente „harte und entschiedene Maßnahmen“ gegen die Demonstranten verlangt.