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: Die Halluzinationen einer Kamera

Eine Hymne an Kuba von Mikhail Kalatozov: „Soy Cuba“ (1964) – und die Dokumentation dazu, „O mamute siberiano“

„Soy Cuba“ – „Ich bin Kuba“, sagt dieser Film über sich selbst im Titel. Schon der erste Blick auf die Entstehungsbedingungen aber zeigt: Die Position dieses Ichs, desdas hier spricht, dieses Ichs, das hier sagt, es sei Kuba, ist eine höchst merkwürdige, wenn nicht unmögliche Position.

Wenige Jahre nach der Revolution im Jahr 1959 nämlich, zwei Jahre nur nach der Deklaration von Havanna, die Kuba zum sozialistischen Staat erklärte, schickte die Sowjetunion als Geste filmkünstlerischer Solidarität einige ihrer besten Kino-Leute in die Karibik, um einen Film über das Land und die Revolution zu drehen. „Ich bin Kuba“, sagten der Regisseur Mikhail Kalatozov und sein Kameramann Sergi Urusevsky, die wenige Jahre zuvor mit dem Film „Wenn die Kraniche ziehen“ in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatten. „Ich bin Kuba“, sagte der berühmte Dichter Yevgeny Yevtushenko als Drehbuch-Koautor. „Ich bin Kuba“, sagten aber auch der kubanische Autor Enrique Pineda Barnet und der Komponist Carlos Farinas.

„Das ist nicht Kuba“, sagten freilich die Kubaner, die dem Film, als er nach 14 Monate währenden Dreharbeiten in die Kinos kam, die kalte Schulter zeigten. Auch in der Sowjetunion interessierte man sich kein bisschen für diese Expedition ins tropische Bruderland. Der Film war komplett vergessen, bis Anfang der Neunziger. Da wurde er wiederentdeckt, vom Klassenfeind in Gestalt Martin Scorseses und Francis Ford Coppolas; es wurden neue Kopien gezogen, in ein paar US-Programmkinos gezeigt, die Kritiken waren hymnisch, das Unternehmen rehabilitiert.

„Soy Cuba“ ist ein einzigartiger, vor allem ein einzigartig hybrider Film. Inhaltlich von heiliger propagandistischer Einfalt. Es geht um junge amerikanische Matrosen, allzeit zur Vergewaltigung bereit; es geht um einen alten Mann, der sein Zuckerrohrfeld anzündet, nachdem es an United Fruit verkauft wurde; es geht um einen revolutionären Studenten, der im heroischen Kampf stirbt, und es geht um die Revolutionäre in den Bergen, die dann in Richtung Stadt marschieren. Damit endet der Film: die Revolution steht unmittelbar bevor.

Den Inhalt aber sollte – und wird – man gleich vergessen, denn was einem unfehlbar den Atem raubt, ist die Form von „Soy Cuba“. „Wenn die Kraniche ziehen“, das Gemeinschaftsprojekt von Regisseur Kalotozov und Kameramann Urusevsky, ist berühmt für die dynamische Handkamera, die dort der Heldin folgt. Auch in „Soy Cuba“ ist die Kamera die eigentliche Protagonistin des Films, die in jeder Einstellung „Ich zeige euch Kuba“ zu sagen scheint und zugleich jeden dokumentarischen Anspruch durch die Kraft ihrer verfremdenden Weitwinkelaufnahmen, ihrer schrägen Kadrierungen und erstaunlichen Fahrten entschieden verneint. Der Film beginnt mit einem Anflug auf die Insel und öffnet einem schon mit diesem Beginn die Augen, ja reißt sie einem auf mit seinen Bildern in strahlendem Schwarzweiß. Und mit aufgerissenen Augen schwebt man durch den Film, der Kamera folgend, die, einmal in Bewegung, kaum mehr stillzustehen scheint.

Sie ist es, die in ihrem Schweben einen Raum eröffnet, der gewiss nicht Kuba ist und im Grunde ein sehr frei nach einer real existierenden Wirklichkeit erfundener, halluzinatorischer Raum. Fast zu Beginn findet sich das heute berühmteste Bravourstück des Films, eine Plansequenz, die sich wie frei schwebend von einer Modenschauparty auf dem Dach eines Hotels die Wand entlang hinunterbewegt und etwas später einer jungen desFrau in einen Swimmingpool folgt. Dieser Kamera ist offenkundig nichts unmöglich. So ist die Szene unvergesslich, in der, von Wasserwerfern und mit Revolverkugeln attackiert, der studentische Revolutionär Enrique in den Tod geht. Er stirbt nicht vor, sondern mit unseren Augen. Das Bild kippt, dreht sich, verschliert und gefriert und verharrt für Sekunden als abstrakter freeze frame.

Diese Szene wird auch in „O mamute siberiano“ („Das sibirische Mammut“, 2005) erwähnt, einem Dokumentarfilm des Brasilianers Vicente Ferraz, der von der Entstehung von „Soy Cuba“ erzählt. Einer der damals Beteiligten stellt entschieden fest: Enrique geht zu langsam in den Tod. So kämpfen, so sterben keine Kubaner. Wir erfahren auch, dass Kameramann Urusevsky sich bei den Dreharbeiten öfter die Augen verband, um hinterher das strahlende Licht umso stärker wahrzunehmen. Wir hören, dass die auf kubanischer Seite damals Beteiligten den Film nicht mochten, und wir sehen die Mischung aus Rührung und Unglauben in ihren Gesichtern, als sie erfahren, dass dieser Film, der einst keinen interessierte, im Westen heute als Meisterwerk gilt.

EKKEHARD KNÖRER

Beide Filme im Paket sind bei www.trigon-film.org für 49 Schweizer Franken(ca. 31 Euro) erhältlich, „Soy Cuba“ allein kostet 29 Franken (ca. 18 Euro)