„Uruguay traue ich das Halbfinale zu“

NACHWUCHS Die südamerikanischen Mannschaften haben in den vergangenen Jahren enorm aufgeholt, sagt Bayer Leverkusens Südamerika-Scout Andreas Fehse

■  51, ist seit zwölf Jahren Südamerikascout von Bayer Leverkusen und viel auf dem Subkontinent unterwegs. Zuvor war er Fußballprofi bei Leverkusen und Rot-Weiss Essen.

taz: Herr Fehse, bei dieser WM staunen alle über die südamerikanischen Teams. Sind Sie auch überrascht?

Andreas Fehse: Nicht wirklich. Die kleineren Nationen haben in den letzten Jahren unheimlich aufgeholt. Sie haben allesamt ausgewiesene Fachleute als Trainer und verfügen derzeit über exzellente Spielerjahrgänge.

Letzteres hört sich ein wenig nach Zufall an.

Nein, das ist ein Ergebnis der gewachsenen Infrastruktur. Die Fußballverbände haben in den letzten Jahren mehr Geld in die Hand genommen, um ihre Trainer- und Spielerausbildung zu verbessern. Auch für die Nationalteams wurde mehr investiert.

Wie macht sich das bemerkbar?

Chile und Paraguay verfügen mittlerweile über einen großen Trainerstab. Sie haben Experten dabei, die die gegnerischen Teams perfekt analysieren können. So wie Urs Siegenthaler bei den Deutschen. Und auf der Trainerposition sind beide Länder mit den Argentiniern Marcelo Bielsa und Gerardo Martino vorzüglich besetzt.

Der argentinische Einfluss ist also groß?

Das ist wahrscheinlich kein Zufall. Auch Uruguays Trainer Oscar Tabárez ist mit Boca Juniors schon zweimal argentinischer Meister geworden. Dort hat man ebenfalls mit Blick auf das Nachbarland mitbekommen, dass man mit Offensivfußball Erfolg haben kann.

Der uruguayische Fußball genoss ja zuletzt keinen guten Ruf.

Die sind als Klopper verschrien gewesen. Aber Uruguay ist ein gutes Beispiel, wie man als kleines Land hervorragende Jugendarbeit organisieren kann. Die konzentrieren ihre Juniorenteams bereits ab der U15 in Montevideo und trainieren die wie Vereinsmannschaften. So haben sie die Möglichkeit gezielt an verbesserten Offensivspielern zu arbeiten.

Und so wachsen solche grandiosen Stürmer wie Diego Forlán und Luis Suárez heran?

Das sind natürlich schon Ausnahmespieler. Da ist dann auch etwas Glück dabei, wenn man die im Kader hat.

Was hat Sie an den südamerikanischen WM-Auftritten bislang am meisten beeindruckt?

Die Disziplin und die Variabilität, mit der die Spieler die taktischen Anweisungen ihrer Trainer umsetzen. Martino von Paraguay und Bielsa von Chile richten ihr Spiel immer nach dem Gegner aus. Ihre Teams können jederzeit von Dreierkette in der Abwehr auf Viererkette umstellen oder umgekehrt. Bei Chile gefällt mir vor allem deren perfekte Raumaufteilung.

Chiles größter Feldspieler ist 1,83 Meter groß. Ist das so, dass die Teams mit kleinen wendigen Spielern im Vorteil sind?

Das könnte, wenn es im Achtelfinale ernst wird, gegen Chile sprechen. Du brauchst auch die Großen. Selbst Spanien hat ja mit Busquets und Piquet zwei 1,90 Meter große Akteure. Gegen Brasilien, die ja über große athletische Spieler verfügen, könnte das von Nachteil sein.

Wem trauen Sie denn am meisten zu von den kleinen südamerikanischen Teams?

Uruguay. Das Viertelfinale gegen Ghana ist vergleichsweise einfach. Das Halbfinale traue ich ihnen zu. Uruguay hat übrigens wie Paraguay auch lange und wuchtige Innenverteidiger. Die haben ihren Stil nicht innerhalb von drei Jahren total verändert. Neben ihrer Offensivstärke und taktischen Variabilität leben sie nach wie vor noch von ihrem robusten Spiel.

INTERVIEW: JOHANNES KOPP