No Mono

SYSTEMKRISE Wirtschaftliche Machtkonzentration bedroht die Demokratie. Dagegen gilt es, die Tradition des Antimonopolismus wiederzuentdecken

■ leitet das Walter-Eucken-Archiv in Frankfurt und ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland. Mit Traugott Roser schrieb er das Buch: „Entmachtung durch Wettbewerb“ (2007).

Konzernmanager und Regierungen stehen hilflos vor Bohrlöchern und Finanzmärkten. Darin zeigt sich eine Nebenwirkung unseres Wirtschaftssystems: Machtlosigkeit. Denn mit jedem Schritt zur Kapitalkonzentration verringert sich die Handlungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft.

Darum gilt es, Ideen für eine konzernfreie Marktwirtschaft wiederzuentdecken. „Es sind nicht die sogenannten Missbräuche wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sondern wirtschaftliche Macht selbst“ (Walter Eucken), lautet das Prinzip dieser Tradition, die auf die bürgerlichen Revolutionen zurückgeht. Selbst radikale Kapitalismuskritiker rufen bisher nur nach mehr Regulierung. Aber hätten die französischen Bürger 1789 nur eine stärkere Regulierung der Aristokratie gefordert – wir lebten noch heute in einem Europa der Monarchien.

Konzernfreie Marktwirtschaft

Was also tun? Das Erste wäre Kooperationsverweigerung. Würden die Konzerne durch die Staaten nicht mehr künstlich beatmet, die meisten „Global Player“ würden schnell eines natürlichen Todes sterben. Denn egal ob Deutsche Bank, General Motors oder Shell – kaum einer der Kolosse könnte überleben, wenn die Sozialisierung der sozialen und ökologischen Verluste enden und tatsächlicher Leistungswettbewerb eingeführt würde. Eine neue UNO-Studie von Trucost hat errechnet, das die 5.000 größten Aktiengesellschaften alleine 2008 2,2 Billiarden Dollar Umweltschäden verursacht haben. Und warum nicht –ganz marktwirtschaftlich – das Ausfallrisiko für griechische Staatsanleihen von denjenigen tragen zu lassen, die sich damit verspekuliert haben?

Punktuelle Interventionen wie eine Transaktionssteuer haben dagegen eher Placebowirkung. Bestenfalls wird dadurch von den Banken ein Bruchteil der Gewinne zurückgeholt, die man ihnen kurz davor durch „Rettungspakete“ zugesteckt hat.

Um die Dumping-Märkte durch eine egalitäre Marktwirtschaft zu ersetzen, brauchen wir nicht mehr Staat und weniger Markt. Sondern einen anderen Staat für andere Märkte. Zum Beispiel kann eine fein verzweigte Kreditversorgung, die Kleinbauern wie Öko-Hightech-Unternehmen finanziert, nur durch privatwirtschaftliche Banken geschehen, die auf die Marktsignale ihrer Kunden und nicht auf Staatsfunktionäre in Aufsichtsräten reagieren müssen.

Dagegen ist das Geldsystem ein öffentliches Gut, das der Marktlogik entzogen sein muss. Deshalb ist es nötig, die privatwirtschaftliche Geldproduktion zu beenden. Bislang können private Banken die Geldmenge erhöhen oder verringern und so Blasen und Systemzusammenbrüche verursachen. Durch eine stufenweise Anhebung der Mindestreservesätze bei der Kreditvergabe bis zu 100 Prozent könnte das verhindert werden.

Lizenzentzug für BP – urliberal!

Es geht um eine Revolution neuen Typs. Würden jene Mechanismen zur Machtminimierung, die es jetzt schon gibt, endlich konsequente Anwendung finden, würde dies den Paradigmenwechsel befördern.

So will US-Präsident Obama zum Beispiel, dass die Korruption der Bush-Administration beendet und gegen die Verantwortlichen bei BP ermittelt wird. Doch um Rechtsgleichheit herzustellen ist es überfällig, dass BP die Betriebslizenz entzogen wird. Das ist nach urliberaler Rechtstradition in den USA möglich. Doch weder BP oder GM, sondern nur Pommes-frites-Buden oder Autowerkstätten wurde bisher die Lizenz entzogen.

Darüber hinaus lohnt es sich, die antimonopolistische Rechtstradition wiederzuentdecken, nicht nur um der kriminellen, sondern auch der legalen Machtakkumulation die Basis zu entziehen. In allen Staaten der USA galt bis etwa hundert Jahre nach der Revolution ein konsequent machtfeindliches Kapitalgesellschaftsrecht. Damit die Märkte dauerhaft für alle Bürger frei sein können, war es ursprünglich von New York bis Kalifornien nur möglich, Kapitalgesellschaften zu gründen, wenn ihre Lebenszeit (auf 10, 15, 20 Jahre) sowie die Kapitalgröße von vornherein strikt begrenzt waren. Zugleich ließ der Staat Konzernbildungen schlicht nicht zu. Nur Menschen, nicht Unternehmen konnten Unternehmen besitzen. In dieser No-Mono-Logik können wir heute die Kapitalgröße der Unternehmen begrenzen und alle Konzerne in Hunderttausende von konkursfähigen Unternehmen ohne Marktmacht auflösen.

Die Haftung der Aktionäre

Hätten die Franzosen 1789 nur eine stärkere Regulierung der Aristokratie gefordert – sie lebten noch heute in einer Monarchie

Es ist kein Zufall, dass es sich bei allen systemrelevanten Unternehmen durchweg um Aktiengesellschaften handelt. Aktienkapital ermöglicht durch Haftungsbegrenzung und Unkündbarkeit die unbegrenzte Akkumulation von Kapital. Würden Investoren entsprechend der Größe ihres Kapitalanteils für ökologische Katastrophenfolgen haftbar gemacht, hätten Unternehmen wie BP und Monsanto längst einen negativen Unternehmenswert. Aktionäre würden denjenigen etwas zahlen, die ihnen ihre Aktien – und damit das Haftungsrisiko – abnehmen würden.

Ein anderes Mittel zur Machterzeugung ist die Unkündbarkeit von Aktienanteilen. Es wird zwar Politik gegen „ungedeckte Leerverkäufe“ gemacht, aber die Aktienbörsen sind grundsätzlich „ungedeckt“. Die Börse ist nur ein Second-Hand-Markt für Unternehmensanteile, die zwar zwischen Aktionären hin- und hergeschoben, aber beim Unternehmen nie gekündigt werden können. Das Kapital wird so in den Konzernen machtkonservierend eingefroren und steht für unabhängige Innovationen nicht zur Verfügung.

Um einen offenen Wettbewerb um Kapital zu ermöglichen, müssen lokal und global staatliche Rahmenbedingungen für Mikrokapitalmärkte geschaffen werden; gleichzeitig gehört den bestehenden Aktienbörsen der staatliche Rechtsschutz entzogen. Durch ein Kapitalgesellschaftsrecht, das nur noch Eigenkapitalanteilen mit begrenzter Laufzeit die Börsenzulassung gewährt, wäre der Kapitalstreik möglich. So könnte das Kapital von Millionen von Investoren hocheffektiv aus der fossilen Konzernwirtschaft herausgezogen und in die ökologische Transformation investiert werden.

Machtminimierung könnte so zum Paradigma einer nachhaltigen Demokratie ohne „Wachstumszwang“ werden. WALTER OSWALT