Der neue Es-Laden

SUHRKAMP Sieht mehr wie eine Galerie aus: Suhrkamp hat seiner Edition einen temporären Shop in der Linienstraße eingerichtet

Die jungen Studierenden ließen sich nicht blicken, dafür war die untere Berliner Intelligenzija anwesend

VON RENÉ HAMANN

Eigentlich ist das eine Forderung, die auch schon alt geworden ist: Die Kunst solle wieder zum Volke kommen, sich nicht elitär verschanzen, sondern den Kontakt zum Leben suchen. Und tatsächlich ist es ja so, dass die gesellschaftliche Relevanz besonders von Literatur zunehmend gering ist. Abgehängt von den Leitmedien der Freizeitgesellschaft (noch so ein alternder Begriff), dem Kino, dem Fernsehen, dem Netz.

Was also tun? Verlage unterliegen merkantilen Gesetzen und demzufolge auch die AutorInnen, die Gegenmaßnahmen fallen individuell unterschiedlich aus. Der Verlag, nach dem einst eine ganze Kultur benannt wurde, der ehrwürdige Suhrkamp Verlag, ist dem Ruf in die Hauptstadt gefolgt. Er residiert inzwischen mitten in Bionade-Boomtown, dem Prenzlauer Berg. Um zu zeigen, dass der Verlag es nicht nur versteht, sich äußerlich gut zu positionieren, sondern sich auch auf der Suche nach den Strömungen der Stadt befindet, ist man nun den Versuchen gefolgt, die andere, kleinere Verlage schon vorher gewagt haben. Verlag und Buchhandlung, Verlag und Eventkultur, Verlag und Publikum im direkten Kontakt. Der Verbrecher Verlag hat seine dienstäglichen Versammlungen, der Blumenbar Verlag, auch erst seit kurzem in der Stadt, hat eine monatliche Lese-und-Party-Reihe, und der Suhrkamp Verlag hat jetzt seinen eigenen Laden.

Den Es-Laden sozusagen, und der befindet sich natürlich in Mitte. In der Linienstraße, etwas abgelegen, aber immer noch in unmittelbarer Nähe zur Welt der Galerien, und ganz in der Nähe von Tacheles und Friedrichstraße. „Es-Laden“ deshalb, weil nicht der gesamte Verlag, sondern nur die Reihe „edition suhrkamp“ hier präsentiert werden soll. In Zusammenarbeit mit der Autorenbuchhandlung Fürst & Iven werden hier, in der Linienstraße 127, einen Sommer lang Suhrkamp-Autoren auflaufen, vorlesen und debattieren, daneben werden Filme gezeigt und später, während der WM, auch Fußball. Dazu gibt es Musik, eine Bar, geraucht werden kann auf der Straße, und wenn alles gut läuft, wird das Tanzbein geschwungen. Wobei derartige Vorhaben meist an dem Grundsatz scheitern, der da lautet: Erst hört niemand zu, und dann will auch keiner tanzen.

Der Laden selbst sieht natürlich wohlfeil aus. Das Regenbogendesign der Edition wird mit einer großen Weißheit konterkariert. Der Laden ähnelt mehr einer eine Galerie als einer Buchhandlung – was wohl Konzept ist. Natürlich wirkt er somit etwas steril, kühl, wirtschaftlich, eine Spur zu schick, passt aber hervorragend zur Sekt-Gesellschaft, die sich auf Abenden wie diesen gern aus ihren Altbauwohnungen heraus und von ihren Architektenschreibtischen wegbewegt. Für die anderen gibt es bunte Sitzecken mit Würfelpolstern und eben das Programm. Von der Studentenkultur, von der in den Begrüßungsreden auch noch einmal die Rede war, und für die die farbenfrohen Bändchen der Edition in früherer Ära (Brecht, Peter Weiß, Marcuse, Enzensberger, you name them) auch standen, ist noch nicht viel zu spüren.

Zur Eröffnung jedenfalls ließen sich die jungen Studierenden dieser Stadt kaum blicken, dafür war die untere Berliner Intelligenzija anwesend und natürlich alles, was gerade bei oder für Suhrkamp arbeitet. Mit Detlef Kuhlbrodt und Bernd Cailloux hatte man sich zwei Autoren aus dem Portfolio der Edition geladen, die für Subkultur und Lokalkolorit sorgen konnten. Was auch funktioniert hat. Kuhlbrodt („Morgens leicht, später laut“) und Cailloux („Der gelernte Berliner“) lasen Ausschnitte aus ihren guten Berlin-Büchern vor, fast gegenläufig zum Vernissagenlärm, dem Gequatsche in den hinteren Reihen, dem Sektkorkenknallen und den stürzenden Gläsern zum Trotz. Ruhig, zurückgenommen, in Teilen sogar eine Spur zu gemächlich. Es wurde geschmunzelt und gekichert, fotografiert und gefilmt. Rainald Goetz war natürlich auch da.

So weit der Eröffnungsabend – zur Party kam es nur ansatzweise. Weiteres Rumstehen, Sehen und Gesehenwerden waren angesagt, egal, Wetter war auch mies, es wird noch weitere Abende geben und sogar noch eine Schlussfeier. Am heutigen Samstag ist Andreas Neumeister zu Gast und wird wohl was mit Schallplatten machen, Rainald Goetz labert am 15. Mai los. Es gibt einen Nachmittag „Dichten“ mit Ann Cotten und Anfang Juli „Deutschland macht dicht“ mit Dietmar Dath. Man darf gespannt sein, wie und ob das Konzept funktioniert – vielleicht gibt es zum Herbst dann einen Salon „Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft“.

Im Juli soll der Laden wieder geschlossen werden.Wenn es gut läuft, schafft es Suhrkamp bis dahin, über das reine Repräsentieren hinauszukommen – und Berlin hat tatsächlich für eine Saison einen Salon, in den es sich zu gehen lohnt. Wegen der Literatur und all dem Scheiß.