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Nach dem Rückzug vom SPD-Vorsitz kann Matthias Platzeck seine Ambitionen auf die Kanzlerschaft begraben: Einer, der Schwäche gezeigt hat, kann nicht die Republik regieren – oder etwa doch?

VON DOMINIK SCHOTTNER

Sein Arzt war es. Der habe ihm nach zwei Hörstürzen und Nervenzusammenbrüchen geraten, kürzer zu treten. Und deswegen hat der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, den Vorsitz der Bundes-SPD abgegeben. Die erste Reihe der SPD-Politiker intoniert bereits den Abgesang auf den potenziellen Kanzlerkandidaten Platzeck. Aber warum ist das so? Gibt es tatsächlich einen Automatismus, wonach gesundheitlich angeschlagene Politiker kein Spitzenamt mehr ausfüllen dürfen, ausfüllen sollten? Ist der, dessen Körper als Folge von ungewohntem Stress kapituliert, generell untauglich für ein politisches Spitzenamt?

Politiker mit Patina

Der Kölner Psychologe und Essayist Manfred Lütz meint: „Nein. Es wäre ein Zeichen von demokratischer Reife, Menschen mit Patina zu wählen.“ Die Patina freilich fehlte Platzeck bislang. Porträts über ihn lasen sich immer wie die Blaupause für den netten Schwiegersohn, den Emphatiker, der sich alles zu Herzen nimmt und niemandem wehtun möchte, am allerwenigsten der SPD. Und gerade deswegen galt er als die Zukunft einer Partei, die selbst nicht weiß, was sie will und von wem sie gewählt wird. Der Hörsturz gibt Platzeck womöglich nun die nötige Zeit und Ruhe, seine Positionen gründlich zu überdenken. Oder gar neue zu entwickeln.

Schon einmal wurde ein Politiker durch eine schwere Krankheit geläutert: Anfang des Jahres 2002 überlebte Horst Seehofer eine Herzmuskelentzündung nur knapp. Damals war der Bayer in der CSU höchst umstritten und galt als streitsüchtig.

Heute hingegen stellt kaum noch jemand Seehofers Kompetenz in Frage. Mittlerweile zum Bundeslandwirtschaftsminister aufgestiegen, wird er sogar als möglicher Nachfolger Edmund Stoibers gehandelt. Seine Krankheit, sagt Seehofer, habe ihn damals gelehrt, in der Politik nur noch das zu vertreten, wohinter er auch wirklich stehen könne.

Hörsturz ohne Stress

Und genau dieses Behaupten eines Standpunktes bedeutet für Politiker enormen Stress. Stress, der einer der Gründe für die Platzeck’schen Hörstürze war? Der Münchner Hörsturz-Experte Dr. Markus Suckfüll bezweifelt diese These: „Es ist nicht bewiesen, dass Stress der Grund für einen Hörsturz ist.“ Zwar kenne er den Fall Platzeck nur aus den Medien, aber es sei nicht ausgeschlossen, dass der Politiker noch einmal einen Hörsturz erleide – trotz seines Rückzugs aus der stressigen Parteipolitik.

Vorbild Müntefering

Berühmte Beispiele zeigen indes, dass ein offensiver Umgang mit der eigenen Krankheit und der zeitweilige Rückzug aus der großen Politik nicht zwangsläufig in die Bedeutungslosigkeit führen muss. Im Gegenteil. Nachdem er während eines Wahlkampfauftritts einen Schwächeanfall erlitten hatte, kehrte der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering wenige Wochen später wieder auf die große Bühne der Politik zurück. Als Vizekanzler in der großen Koalition.