Tun ist alles

Einsilbigkeit als Prinzip: Kenneth Goldsmith legt mit seiner Auswahl von 36 Gesprächen aus der Zeit von 1962 bis zum Todesjahr 1987 erstmals eine Sammlung von „Interviews mit Andy Warhol“ vor

von BRIGITTE WERNEBURG

Schade, dass es so wenig Eindruck gemacht hat: das stereotype „I don’t know“, mit dem sich Andy Warhol die Welt und die Journalisten vom Leib hielt. Alles hat die Kunstszene von ihm gelernt, nur nicht, die Klappe zu halten, wenn sie nichts zu sagen hat. War dieses „I don’t know“ doch zu sehr Warhol? Im Grunde zu unattraktiv, um kopiert zu werden? Es ist ja nicht so, dass es nirgendwohin geführt hätte. In seinem Vorwort zu den „Interviews mit Andy Warhol“ sieht Klaus Theweleit um diese Feststellung eine eigene Form der Kunstkritik herum aufgebaut. Seine Beobachtung hat einiges für sich, stößt man auf dieses „Ich weiß nicht. Mir kommt es so vor, als gäbe es jedes Jahr einen Künstler für das jeweilige Jahr“.

Ist es nicht so?, möchte man im lakonischen Stil Warhols sagen. In einem Stil, der auch seinen Interviewpartnern geläufig ist – bis auf den unbekannten deutschen Reporter, der ihn um die Zeit 1966/1967 befragt und dabei Romane erzählt. Das macht Warhol nicht gesprächiger, bringt den Reporter freilich zur Einsicht: „Ja, ich weiß, ich weiß. Reden ist sehr wenig, Tun ist alles.“ Andy: „Ja.“

Unter der Voraussetzung, dass Tun alles ist, hat es überraschend lange gedauert, bis der New Yorker Schriftsteller und Rundfunkmoderator Kenneth Goldsmith auf die Idee kam, den Interviews hinterherzurecherchieren. Sollte es seinen 2004 erschienenen Band mit einer Auswahl von 36 Gesprächen aus der Zeit von 1962 bis zu Warhols Tod 1987 nicht längst geben? Ist inzwischen nicht alles über Warhol bekannt? Man muss befürchten: nein. Die meisten Interviews entstammen den „Time Capsules“ aus dem Warhol-Archiv in Pittsburgh. Bislang ist nur ein Bruchteil dieser Boxen geöffnet und katalogisiert, in denen der Recording Angel jeden nur erdenklichen Dokumentenfitzel seines Lebens aufbewahrte. Aus dem derzeit verfügbaren Material wählte Goldsmith die seines Erachtens besten Interviews aus. Nun liegen sie auch bei uns vor.

Anders als der unbekannte deutsche Reporter weiß Kurt Liebig, der deutsche Verleger, wie Warhol zu packen, also zu verpacken ist: mit klug ausgesuchten, groß aufgemachten Schwarz-Weiß-Fotografien, die dem untadelig gestalteten Band den Glamour eines Magazinlayouts geben. Allein über das Umschlagfoto, auf dem Warhol niederkniet, um sein Fahrrad an einer Parkuhr abzuschließen, möchte man länger als die fünfzehn Minuten meditieren, die der Ruhm beansprucht. „Wenn Sie alles über Andy Warhol wissen wollen, dann sehen Sie sich die Oberfläche an: die von meinen Bildern und meinen Filmen und meine eigene, und da bin ich.“ Als der allgemeine Manhattanite mit weißem Hemd, Krawatte, Pullunder, Jackett und Rucksack auf dem Rücken. Ja, die Oberfläche dieses besonderen Jedermanns zeigt unbedingt die beispielhafte Coolness, mit der Warhol einen ernormen Ehrgeiz maskierte – und einen eher ängstlichen und schüchternen Charakter.

Die Selbstauskunft stammt aus dem Gespräch mit Gretchen Berg, das im November 1966 als „Andy Warhol My True Story“ in The East Village Other erschien. Erstaunliche viele Frauen haben Warhol interviewt. Die berüchtigte Sehenswürdigkeit der Factory begegnete ihnen womöglich vorbehaltloser als seinen Fans, den Collegestudenten, die zuhauf in seinen Laden strömten. Mit den Frauen geht er zu Bloomingdales Shoppen, von Michelle Bogre (American Photographer) lässt er sich sogar in eine Diskussion übers Knipsen verwickeln: „Ich glaube nicht, dass Sie nicht gucken, und ich glaube nicht, dass der Humor in Ihren Bildern ein Zufallsprodukt ist. Er ist zu durchgängig.“ AW: „Na ja, ich verknipse mindestens zwei Rollen Film pro Tag.“ AP: „Der Humor ist interessant. Er widerspricht Ihrem Image und der Annahme, Sie seien emotionslos.“ AW: „Oh nein! Sie meinen, diese Annahme ist verschwunden? Das geht aber nicht.“ Nein, da ist Andy plötzlich gar nicht mehr emotionslos; zumindest tut er empört.

Schließlich liebt er die kurze, präzise Volte: „Haben deine Lehrer gesagt, du hättest ein natürliches Talent?“ Warhol: „So ungefähr. Ein unnatürliches Talent.“ Und prompt wird deutlich, wie Warhol in der permanenten Bewegung des Ausweichens doch Haltung zeigt, gegen die Vereinnahmung des Künstlers als intellektueller Kommentator des eigenen oder eines fremden Werks, gar des Zeitgeschehens. Warhol sieht den Künstler mitten im Geschehen, wo es keinen privilegierten Beobachterstandort, sondern nur situative Auskunft gibt. Mittendrin manipuliert er natürlich nach Kräften. Er treibt seinen Hofstaat aus unbekannten Superstars, Dichtern, Filmemachern, Fotografen und sonstiger Entourage mächtig an, auch das liest man in den Interviews. Er treibt die Szene um, mit seiner Geistesgegenwärtigkeit und ungebremsten Produktivität. Ein Output ist das 1969 gegründete Interview-Magazin, das die Geschwätzigkeit hofiert. Und natürlich die globale Obsession – von Promis und anderen Leuten, die mit den richtigen Figuren schlafen –, Auskunft über alles und jeden bekommen zu müssen. Er war eben doch ein Ironiker. Bevor er das allerdings zugestanden hätte, wäre er sich mit einem „I don’t know“ zuvorgekommen.

„Interviews mit Andy Warhol“. Herausgegeben von Kenneth Goldsmith, mit einem Vorwort von Klaus Theweleit. Verlag Kurt Liebig, Schmieheim 2006, 381 Seiten, 19 Abb., 29,90 €