Ausstieg vertagt

ATOMKRAFTWERK Der Meiler Brokdorf an der Unterelbe ist wieder am Netz. Schleswig-Holsteins grüner Energieminister Robert Habeck sieht keine rechtliche Handhabe, den Weiterbetrieb zu unterbinden. Die Anti-AKW-Initiative vor Ort reagiert mit Empörung

Der Meiler ist das letzte Atomkraftwerk in Schleswig-Holstein.

■ Brokdorf: Druckwasserreaktor von Eon, 1.485 Megawatt (MW), seit 1986 am Netz, wird Ende 2021 stillgelegt.

■ Brunsbüttel: Siedewasserreaktor von Vattenfall, 806 MW, seit 1977 am Netz, außer Betrieb seit Juni 2007, stillgelegt im August 2011.

■ Krümmel: Siedewasserreaktor von Vattenfall, 1.402 MW, seit 1984 am Netz, außer Betrieb seit Juni 2007, stillgelegt am 6. August 2011.

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Der Atomausstieg in Schleswig-Holstein wird weiterhin vertagt. Das Atomkraftwerk Brokdorf soll am heutigen Freitag nach Beendigung der jährlichen Revisionsarbeiten wieder hochgefahren werden. Sehr zur Empörung der Initiative „Brokdorf-akut“, die über Schleswig-Holsteins grünen Umwelt- und Energieminister Robert Habeck und die ihm unterstehende Atomaufsichtsbehörde „sehr enttäuscht“ ist. Bei einem Weiterbetrieb würde Brokdorf täglich mehr als 20 Kilogramm Atommüll produzieren. Das ergebe bis zum vorgesehenen Stilllegungstermin Ende 2021 (siehe Kasten) „weitere 20 Castorbehälter“, rechnet Karsten Hinrichsen von der Initiative vor.

Dieser strahlende Müll könne nach einem jüngsten Urteil des OVG Schleswig „nicht sicher gelagert werden“. Die Landesregierung aber würde die damit verbundenen Gefahren „nicht ernsthaft bedenken“, so Hinrichsen. Vorige Woche hatte der Brokdorfer mit Unterstützung des BUND Schleswig-Holstein und der Ärzte gegen Atomkraft einen förmlichen Antrag „zum Nichtwiederanfahren des AKW Brokdorf“ beim Umweltministerium in Kiel gestellt.

Dieses teilte am gestrigen Donnerstag mit, eine andere Entscheidung als die Erlaubnis zum Wiederanfahren zu erteilen, „leider nicht treffen“ zu können. Zwar sei ein „früheres Abschalten von Brokdorf wünschenswert“, so Habeck, das aber setze „entsprechende politische Mehrheiten im Bund voraus“.

In einem persönlichen Antwortbrief an Hinrichsen, seit über einem Vierteljahrhundert die Symbolfigur des Anti-AKW-Kampfes an der Unterelbe, dankt Habeck dem „lieben Karsten“ für dessen „Beharrlichkeit und Konsequenz, mit der Du und all die anderen so engagiert gegen Atomkraft vorgehen“. Auch er halte es für wünschenswert, so Habeck in dem Schreiben, das der taz.nord vorliegt, „den Ausstieg noch schneller hinzubekommen als verabredet und sowohl Atommüll zu vermeiden als auch das Risiko eines Unfalls zu minimieren“. Allerdings könne „auf der Basis des geltenden Rechts Deinem Antrag leider nicht entsprochen werden“.

Der Meiler Brokdorf war am 10. August zum jährlichen Brennelementewechsel vom Netz genommen worden. Damit verbunden war die planmäßige Revision. Während des vierwöchigen Stillstandes wurden 44 Brennelemente erneuert, darunter zwölf Mischoxid-Brennelemente (Mox). Zudem wurde eine seismische Vorrichtung eingebaut, die Bodenerschütterungen automatisch registrieren soll.

Allerdings hatte Brokdorf-Betreiber Eon Ende August behauptet, sich zunehmend um die Wirtschaftlichkeit seiner Atomkraftwerke zu sorgen. „Wir prüfen laufend, ob sich der Betrieb unserer Kernkraftwerke noch lohnt“, hatte Eon-Vorstand Mike Winkel erklärt. Eon betreibt außer Brokdorf auch das niedersächsische AKW Grohnde sowie in Süddeutschland Grafenrheinfeld und Isar 2.

Für Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“, ist das pure Vernebelungstaktik. „Wenn Eon über mangelnde Wirtschaftlichkeit seiner AKW klagt, dann wollen sie diese natürlich nicht abschalten, sondern eine Änderung der Rahmenbedingungen, um mehr Geld damit verdienen zu können.“ Atomkraftwerke seien überhaupt nur deshalb noch einträglich für die Energiekonzerne, weil viele Kosten der Gesellschaft aufgebürdet würden.

Dennoch könne „der Weg zur vorzeitigen Stilllegung Brokdorfs erfolgreich nur politisch beschritten werden“, schreibt Habeck nun an Hinrichsen. Und hofft auf dessen Verständnis dafür, dass, so Habeck selbstkritisch, „keine Kongruenz besteht“ zwischen seinem politischen Willen zum Atomausstieg einerseits und „den Handlungsmöglichkeiten eines für die Atomaufsicht verantwortlichen, an Recht und Gesetz gebundenen Ministers andererseits“.

Mit einer Sternfahrt zum AKW Grohnde am Sonnabend (Infos unter www.grohnde-kampagne.de) wollen niedersächsische Anti-Atomkraft-Initiativen auf die Gefahren auch durch diesen Eon-Reaktor hinweisen und für seine Stilllegung demonstrieren.