Etwas köchelt noch in diesem Haus

STEINBRUCH Wut auf eine schlecht zusammengesetzte Welt: „Etwas Besseres als die Freiheit“ von Wolfgang Frömberg erzählt von den zutage liegenden Brüchen der Zeit

Romane dürfen, ja sollen sogar Irritationen hervorrufen. „Etwas Besseres als die Freiheit“, der zweite Roman des ehemaligen Spex-Schreibers Wolfgang Frömberg, erfüllt dies auf ganzer Linie. Denn die Geschichte um Leo Heller, der als gebranntes Kind von Kommunarden eine kommerziell erfolgreiche Abrechnung mit Achtundsechzig geschrieben hat (die auch „Etwas Besseres als die Freiheit“ heißt, was glücklicherweise nicht zu postmodernistischen Schachtelspielchen führt), und seine abgekühlte Ehe mit der Vulkanforscherin Viktoria ist sehr ungewöhnlich gestrickt.

Es passiert eigentlich nicht viel in diesem Roman: Das Paar zieht gemeinsam mit seinen beiden Kindern in das Haus der selbstbestimmt aus dem Leben geschiedenen Eltern. Alles sorgsam beäugt und kommentiert von dem Jungradikalinski Andreas Dudek, dessen Freundin Zora und dem Anwalt ihrer Eltern, Cornelius Falk. Zumeist schwelgt der Roman in den Erinnerungen der Figuren und komponiert einen ebenso liebevollen wie gnadenlosen Querschnitt durch die bundesrepublikanische Geschichte.

Ein Bogen bis zum NSU

Die Nazizeit, das wirtschaftswunderliche Schweigen dazu, die Erregung der Achtundsechziger darüber, RAF, Migrantenschicksale, sogar bis zum NSU wird der Bogen geschlagen. Teilweise sind die Schicksale der handelnden Figuren nur lose miteinander verbunden, der Autor kettet sie jedoch über Spiegelachsen und variierte Motive aneinander.

Dabei zieht Frömberg den deutschen Familienroman komplett auf links. Dysfunktionale Familien gehören zwar seit jeher zu dieser Gattung, das genealogische Prinzip der Familie als narrativer Stellvertreter eines über sie hinausweisenden, aber selbstredend in gleicher Weise von einer höheren Macht zusammengefügten Ganzen wie dem Volk, der Nation wird selten infrage gestellt. Dies aber leistet „Etwas Besseres als die Freiheit“. Nicht die feinen Verästelungen der Blutlinie schreitet Frömberg ab, sondern den historischen Boden, in dem dieser allzu deutsche Stammbaum seine Wurzeln geschlagen hat.

Dies gelingt über zwei simple Kniffe: Zum einen durch die Ausweitung des tragenden Figurenstamms über die Familie hinaus. Ungleich raffinierter funktioniert aber Kniff Nummer zwei: Das Haus, das seit dem Oikos der alten Griechen immer auch die Familie mit meint, liegt mitten in der Eifel und ist ein aufgegebener Steinbruch. Besser kann man wohl kaum sein Ohr in die Falten der Zeit legen. Nicht nur, dass dieses verwunschene Haus randvoll ist mit dem Gerümpel der ungeliebten Eltern sowie deren Vormietern. Hier sind sogar die Wände Geschichte, Gesteinsschichten, deren Ablagerungen Jahrhunderte und Jahrtausende markieren.

Doch steht das Haus im Steinbruch nicht nur für die offen liegenden Brüche der Zeit, die ihre Entsprechung auf der Erzählebene in erinnernden Passagen haben. Durch seine Lage in der Vulkaneifel in direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Zentrum der Bundesrepublik und der politisch gesättigten Familienhistorie der Hellers ist die symbolische Aufladung des Vulkangesteins kaum falsch zu verstehen: Achtundsechzig mag zwar eingemottet, seine Akteure arriviert sein – das Bedürfnis nach einer besseren Gesellschaft köchelt allerdings noch ebenso wie die Vulkane in der Eifel, dafür steht die Figur des Andreas mit seiner diffusen Wut auf diese schlecht zusammengesetzte Welt.

Aufkratzende Erfahrung

Frömberg macht sich nicht gemein mit einer seiner Figuren. Auch leistet er im Unterschied zu seiner Figur Leo Heller keine großspurige Erinnerungsarbeit, die sich in den zeitgeschichtlichen Koordinaten festbeißt, sondern gestaltet die Rückschauen sehr intim, manchmal fast schon rosarötlich kandiert. Hier Viktorias Fund eines Glitzersteins als geologisches Erweckungserlebnis, dort Zoras erster Kuss – das Private ist possierlich, Politik scheint lediglich als Patina am Rande auf und frisst sich doch beharrlich in die Mitte aller Biografien.

Diese zurückhaltende Erzählhaltung, die Ereignisse ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachbarschaftlich arrangiert und dabei auf angedeutete Korrelationen oder ironisches Zwinkern verzichtet, scheint etwas absolut Neues zu sein. Das mag zwar hin und wieder etwas krumm gewachsen wirken, generell aber ist „Etwas Besseres als die Freiheit“ in seiner Neuartigkeit eine im positivsten Sinne aufkratzende und verwirrende Leseerfahrung.

MORITZ SCHEPER

Wolfgang Frömberg: „Etwas Besseres als die Freiheit“. Hablizel-Verlag, Lohmar 2013, 200 Seiten, 16,90 Euro