Ein neuer Kreuzzug

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Es kommt nicht oft vor, dass sich die US-Hauptstadt dafür interessiert, was in Pierre, South Dakota, los ist. Doch kürzlich horchte die Nation auf, als das Parlament des tief im mittleren Westen gelegenen US-Bundesstaates, in dem nur 770.000 Einwohnende leben, ein umfassendes Abtreibungsverbot verabschiedete. Das Gesetz, dass Gouverneur Mike Rounds am Montag unterzeichnete, ist das rigideste seit über einem Jahrzehnt – und der bestens vorbereitete Beginn eines neuerlichen Kreuzzugs gegen das seit 1973 geltende Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

South Dakota, nur wenige Tage später gefolgt vom US-Bundesstaat Mississippi mit einem gleichlautenden Gesetzentwurf, ist der erste Bundesstaat, der das Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofes, genannt „Roe gegen Wade“, anfechten will. Bewusst lässt das Gesetz in South Dakota nur eine Ausnahmeregelung zu: Wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Mit dem Vorstoß hat ein Netzwerk aus erzkonservativen Abtreibungsgegnern eine strategische Entscheidung getroffen. South Dakota und Mississippi sind zwei von drei Bundesstaaten, in denen es jeweils nur eine einzige Abtreibungsklinik gibt. Der dritte ist North Dakota. Insgesamt wollen Konservative in zehn US- Staaten entsprechende Gesetzesinitiativen vorbereiten.

„Die Fundamente des liberalen Grundsatzurteils des Obersten Gerichtshofes sind ins Wanken geraten“, ist sich Patrick Mahoney, Direktor der Christian Defense Coalition (CDC), einer Anti-Abtreibungs-Lobby, sicher. Der Supreme Court hatte im Urteil „Roe gegen Wade“ festgelegt, dass Frauen grundsätzlich ein Recht auf Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft haben. Daran mussten sich in den letzten 33 Jahren alle Einzelstaaten halten.

Abtreibungsbefürworter und die drei Kliniken in den genannten Staaten haben bereits rechtliche Schritte angekündigt. Das bedeutet nichts anderes, als dass der nun wieder auflodernde Kampf vor dem Supreme Court landen wird. Genau dort wollen die entschlossenen Lebensschützer auch hin. Denn seitdem das Oberste Gericht das letzte Mal zu Abtreibungsfragen urteilte, hat sich die Zusammensetzung des neunköpfigen Gremiums geändert. Bislang hatte das Oberste Gericht konsequent darauf bestanden, dass bei der Abtreibungsgesetzgebung der Einzelstaaten die Gesundheit der Frau ebenso eine Rolle spielen müsse wie die Tatsache, ob die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung oder von Inzest sei oder das Leben der Frau bedrohe.

Das letzte entscheidende Urteil in dieser Sache war 1997 mit 5:4 gegen den US-Bundesstaat Nebraska ergangen. Damals fungierte die gemäßigt-konservative Richterin Sandra Day O’Connor als Zünglein an der Waage. O’Connor schied im Januar aus ihrem Richteramt aus. Ihr Nachfolger, der erzkonservative katholische Richter Samuel Alito, den Präsident George Bush kürzlich ernannte, könnte bei einem neuerlichen Urteil eine ausschlaggebende Rolle spielen. Alito hatte in seiner Kandidatenanhörung gesagt, dass er eine Revision des Urteils „Wade gegen Roe“ zulassen werde.

Innerhalb des Anti-Abtreibungs-Lagers gibt es allerdings Zweifel an der jetzigen Strategie. Die Organisation Americans United for Life unterstützt diese Vorgehensweise nicht. Man habe aus Fehlern der US-Schwulenbewegung gelernt und ziehe leisen Druck vor, sagt ihr Sprecher Daniel McConchie. Denn mit der Ausweitung von Wartezeiten, Beratungsgesetzen und dem Verbot bestimmter Arten von Abtreibungen werde landesweit im Kampf gegen die Abtreibung mehr erreicht. South Dakota habe erreicht, dass selbst gemäßigte Abtreibungsbefürworter nun aufgeschreckt seien. „Und was ist, wenn der Supreme Court ‚Roe gegen Wade‘ bestätigt? Das wäre ein Totalschaden für uns.

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