„Die Lastgrenze war noch nicht erreicht!“

Für Statiker könnte mangelhafte Wartung eine Unfallursache gewesen sein. Experte fordert Gebäude-TÜV

BERLIN taz ■ „Holz ist grundsätzlich ein guter Baustoff, und Holzkonstruktionen überstehen Jahrhunderte“, sagt Heinrich Riesemann, Leiter der Außenstelle Traunstein des Prüfamts für Baustatik der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA). Die 1970/71 gebaute Mehrzweckhalle in Bad Reichenhall hatte eine Holzdachkonstruktion mit sogenannten Kastenträgern. „Wenn die Statik in Ordnung ist und so ausgeführt wurde, wie es geplant war, dann hätte der Schaden nicht eintreten dürfen“, erklärt der Diplomingenieur. Über die Ursache des Unglücks kann der Fachmann bisher nur spekulieren. Eine mögliche Ursache könne aber gerade diese Kastenträgerkonstruktion sein, sagt Riesemann. Alterungsprozesse und Materialermüdung könnten bei Kastenquerschnittkonstruktionen dieser Größenordnung wie in Bad Reichenhall doch auftreten. Bei fast drei Meter hohen Bauteilen könnten durch Temperaturschwankungen hervorgerufene Schwindspannungen im Holz über die Jahre hinweg zu Verschleiß führen.

Für das Sicherheitsniveau von Bauwerken gibt es in Deutschland klare Vorgaben und eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen wie die Landesbauverordnungen und DIN-Normen. Aber „absolute Sicherheit gibt es natürlich nicht“, sagt Thomas Veierganz, Bereichsleiter der Prüfstatik des Prüfamts für Baustatik der LGA. Er weist darauf hin, dass auch die strengsten Regelungen sich in Toleranzbereichen bewegen. So kann es bei einer Verkettung unglücklicher Umstände zu einem solchen Unfall kommen.

Die Aufgabe der Prüfstatiker ist es, die Pläne der Ingenieure beim Bau zu überprüfen. In Einzelfällen und bei besonders schwierigen Konstruktionen findet eine zusätzliche Begutachtung vor Ort statt. Aber eine regelmäßige Untersuchung wie den TÜV beim Auto gibt es nicht. Nur Gebäude, die vorwiegend „nicht ruhend“ belastet werden, wie Brücken, werden in bestimmten Abständen überprüft, erklärt Riesemann.

Eine Statik- oder Materialprüfung findet also nur bei Erstellung eines Bauwerkes statt. Wenn die Materialien und die Statik in Ordnung sind, liegt die Verkehrssicherungspflicht auf Seiten des Gebäudeträgers. Dieser ist bisher jedoch nicht zu weiteren regelmäßigen Untersuchungen verpflichtet. Weder Material noch Statik müssen während der Gebäudenutzung weiter begutachtet werden.

Ein Hallendach wie das in Bad Reichenhall muss nicht nur das Eigengewicht samt technischer Ausrüstung tragen, sondern natürlich auch größere Schneelasten, gerade in den Alpenregionen, sagt Thomas Veierganz. Deutschland ist in verschiedene Schneelastzonen eingeteilt, wobei auch berücksichtigt wird, in welcher Höhe über dem Meeresspiegel das Gebäude errichtet wird. Die Schneelast, der eine Dachkonstruktion in Bad Reichenhall standhalten muss, war noch nicht erreicht, erklärt Heinrich Riesemann, nachdem er den Unglücksort begutachtet hatte. Während ihres 35-jährigen Bestehens habe die 75 mal 48 Meter Konstruktion schon stärkere Belastungen ausgehalten, ergänzt er.

Münchens oberster Prüfstatiker Veierganz gibt zu bedenken, dass, auch wenn beim Bau alle Regeln eingehalten würden, Gebäude während ihrer gesamten Nutzungsdauer eine Sicherheitsüberprüfung erfahren müssten. Bei einem Flachdach etwa müssten die Entwässerungsöffnungen überprüft werden. Wenn diese verstopfen, läuft im besten Fall das Wasser ins Gebäude. Sollte es schlecht ausgehen, sammelt sich das Wasser auf dem Dach zu einem kleinen See. Dieses Gewicht kann eine Konstruktion dann schon zum Einstürzen bringen, erklärt Veierganz.

Eine Art „Bau-TÜV“ für öffentlich genutzte Gebäude fordert auch der Akademische Direktor der Fakultät Bauingenieurwesen an der Ruhr-Universität Bochum, Reinhard Bergmann. Bislang gebe es keine Vorschrift, die nach der Inbetriebnahme eines Gebäudes eine solche Überprüfung verlange. „Für das Unglück in Bad Reichenhall gibt es aus meiner Sicht als Erklärung nur mangelnde Wartung“, so der Statik-Experte. MIRJAM MEINHARDT