Japanischer Journalist über Fukushima: „Ja-Sager für die Regierung“

Die Berichterstattung über Fukushima wird von Lobbyinteressen verfälscht. Die japanische Presse sei nicht frei, meint der Journalist Masao Fukumoto.

Februar 2014: Mitarbeiter der Firma Tepco bei einer Pressetour im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi Bild: ap

taz: Herr Fukumoto, Sie haben in den letzten Monaten von Berlin aus Daten gesammelt, die zeigen, dass neun Monate nach der Fukushima-Katastrophe die Säuglingssterblichkeit und die Zahl der Totgeburten in angrenzenden Gebieten deutlich anstieg. Was macht der japanische Journalismus zum Thema Fukushima?

Masao Fukumoto: Die japanischen Medien tragen dazu bei, alles was passiert ist zu verharmlosen. Sie brauchen die Werbeeinnahmen von der Industrie. Als freier Journalist kann man nicht gut verdienen, wenn man gegen die Atomkraft argumentiert. Wissenschaftler, die die Atomkraft scharf kritisieren, haben keine Chance, Professorenstellen zu bekommen.

Im Jahr 2011 berichtete die taz über den japanischen Presseclub: Nur wer ihm angehört, hat Zugang zu staatlichen Presseveranstaltungen.

Ja. Zum Kisha-Club – „Kisha“ bedeutet Journalist – kann man nur gehören, wenn man für ein großes, überregionales Massenmedium arbeitet. Bis vor ein paar Jahren konnte man nur zu Regierungspressekonferenzen gehen, wenn man ihm angehörte. Etwas anderes ist übrigens die offene Berufsvereinigung, die Presseclub heißt.

Das ist aber nicht nur bei Regierungsstellen so. Auch Wirtschaftsverbände sollen solche exklusiven Räume haben.

Ja. In jeder Stadt, in jeder Kommune gibt es im Rathaus einen Raum für den Kisha-Club, auch in Wirtschaftsverbänden.

Es sind aber nicht jeweils einzelne Clubs, sondern es gibt nur einen?

Ja. Zum Kisha-Club gehören nur fünf oder sechs überregionale Zeitungen und etwa sieben überregionale Fernsehsender. Wenn man für eine Zeitschrift arbeitet, konnte man früher nicht zu den Pressekonferenzen gehen. Inzwischen ist es einfacher.

57, lebt als freier Journalist in Berlin. Er beschäftigt sich mit Atomkraftwerken, auch für japanische Medien. Sein aktuelles japanisches Buch behandelt die weiterhin schwache Verstrahlung Deutschlands wegen des Unglücks von Tschernobyl.

Führte das zu einer Art Selbstzensur, weil es eine zu große Nähe zwischen Politik und den Journalisten in höheren Etagen gab?

Ja, weil der Kisha-Club selbst von den großen Medien organisiert ist.

Hat sich das seit Fukushima geändert?

Nicht wirklich. Wer nicht zum Kisha-Club gehört, kann auch heute noch an keinem Hintergrundgespräch teilnehmen.

Kommen ausländische Medien in den Kisha-Club rein?

Nein.

Wie berichten die großen japanischen Medien über das Thema Atomkraftwerke im Ausland, Stichwort Energiewende?

Japanische Medien meinen, die deutsche Energiewende sei gescheitert, weil der Strom so teuer geworden ist. Deshalb denkt man in den japanischen Medien, dass es in Deutschland ohne Atomkraft nicht weitergeht.

In Japan gibt es einige große Zeitungen, die viele Millionen Exemplare verkaufen und die zum allergrößten Teil Abos haben, also eine sichere Einnahmequelle. Und das staatliche Fernsehen ist auch gut finanziert. Gibt es damit nicht genug Potenzial für Qualitätsjournalismus und relativ wenig Abhängigkeit von Werbeanzeigen der Wirtschaft?

Der Fernsehsender ist ein halbstaatlicher Fernsehsender und zugleich ein Ja-Sager für die Regierung. Ansonsten bekommen sie ja Schwierigkeiten. Qualitätsmäßig ist der Sender teilweise gut, sie haben sehr gute Sendungen und Dokumentarfilme. Aber trotzdem müssen sie für die Regierung immer der Ja-Sager bleiben.

Und die großen Zeitungen?

Die können trotz allem nicht ohne Werbeeinnahmen leben. Das ist wirklich eine wichtige Stütze für die Zeitungen.

Dabei machen die Werbeeinnahmen nur 30 Prozent der Einnahmen aus. In Deutschland war das mal doppelt so viel. Ist der Einfluss der großen Unternehmen, die mit AKW zu tun haben, trotzdem groß genug?

Ja, weil die Zeitungskonzerne nicht nur Zeitungen verkaufen, sondern verschiedene Geschäftsbereiche haben. Zum Beispiel die Reisebranche. Da brauchen sie die Industrie.

Wie sieht es aus mit dem öffentlichen Diskurs, mit Intellektuellen, mit kritischen Wissenschaftlern? Sind die präsent beim Thema Atomenergie, oder zumindest präsenter als vorher?

Ja, insbesondere die Intellektuellen. Die Mehrheit ist aber noch immer für die Atomenergie. Bei den Wissenschaftlern ist es genauso. Seit der Katastrophe sind nur einige dazugekommen. Und wenn sie die Atomkraft kritisieren, haben sie keine Chance mehr auf eine Karriere als Wissenschaftler.

Gibt es aber nun wenigstens mehr öffentliche Debatten, vielleicht auch Druck von unten?

Nur wenig. Es gibt zwar neue Bürgerinitiativen jüngerer Mütter. Aber wenn ich mal im Süden oder im Westen Japans bin, spüre ich kein Interesse an Fukushima. Das liegt teilweise an der Gehirnwäsche, die die japanische Regierung bisher betrieben hat: Atomkraft ist hundertprozentig sicher. Dann glauben das die Menschen, sie wollen das glauben. Weil sie sich nicht vorstellen können, wie man in Japan ohne Atomkraft leben kann. Das hat bisher keiner gezeigt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.