Vordenker der solaren Chemie-Industrie

RESSOURCEN Der Fabrikant Hermann Fischer stellt in einem Buch Grundzüge einer chemischen Produktion auf Pflanzenbasis vor, die ohne fossile Rohstoffe auskommt. Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung

BERLIN taz | Noch ist Hermann Fischer ein absoluter Außenseiter in seiner Branche. Schon als Student baute er zusammen mit Kommilitonen eine Chemieproduktion auf, die völlig ohne Erdöl auskam. „Wir konnten es nicht ertragen, dass man etwas Richtiges nur denken sollte“, sagt der heute 59-Jährige. Auch 38 Jahre später produziert seine Firma Auro in Braunschweig sämtliche Farben, Klebstoffe, Lacke und Putzmittel aus Pflanzen und Mineralien. „Ich bin zutiefst überzeugt, dass dieses Prinzip verallgemeinert werden muss.“ Über 90 Prozent der konventionellen Chemieprodukte basieren heute auf fossilen Rohstoffen, insbesondere Erdöl, und die sind bekanntlich endlich.

Jetzt hat Hermann Fischer ein überaus lesenswertes und gut verständliches Buch geschrieben: „Stoffwechsel. Auf dem Weg zu einer solaren Chemie für das 21. Jahrhundert.“ Dass seine Position langsam aus dem Abseits ins Zentrum rückt, zeigt sich nicht nur daran, dass Grünen-Chef Jürgen Trittin das Werk heute in Berlin vorstellt.

Dabei geht es um den notwendigen Umbau der Industrie in Richtung Dezentralisierung und Umweltverträglichkeit. In der solaren Chemie zum Einsatz kommen fast nur Pflanzen, die mithilfe der Sonnenenergie aus wenigen Grundstoffen eine große Vielfalt chemischer Verbindungen aufbauen. In jedem Gewächs findet sich eine große Vielzahl von Substanzen – und es gibt vermutlich etwa 500.000 verschiedene Arten. Damit übersteigt diese natürliche Vielfalt die künstliche um ein Vielfaches.

Die solare Chemie kommt ohne viel Energie und hohe Drücke aus, mit denen die konventionelle Produktion die trägen Kohlenstoffmoleküle des Erdöls – aber auch nachwachsender Rohstoffe – in vielfältig einsetzbare Ausgangsstoffe zerlegt. Auch harte Chemikalien wie Salpetersäure oder Chlor gibt es hier nicht. So ist die Eingriffstiefe in die Natur viel geringer als bei den chemischen Großtechniken.

„Für praktisch jedes aus Erdöl hergestellte Produkt der Alltagschemie gibt es einen Ersatz auf erneuerbarer Grundlage“, so Fischer. Allerdings sei es ausgeschlossen, die heute verbrauchten Mengen beizubehalten; schließlich ist der Boden begrenzt. Unstrittig ist für den Chemiker, dass die Nahrungsmittelproduktion oberste Priorität hat. Doch wird heute in der Regel nur ein kleiner Teil der Pflanzen gegessen und der Rest weggeschmissen. Fischer hält in vielen Fällen eine „friedliche Koexistenz“ für machbar: Aus Leinpflanzen lassen sich beispielsweise parallel eiweißreiche Nahrung, Öl für Linoleumböden und Fasern für Dämm- und Verbundwerkstoffe gewinnen.

Manfred Ritz, Sprecher des Verbands der Chemischen Industrie, sieht indessen keinen baldigen Änderungsbedarf. Zwar räumt er ein, dass Erdöl endlich sei. „Doch in den USA erleben wir mit dem Fracking gerade eine Renaissance, und das Zeitalter der fossilen Rohstoffbasis neigt sich keineswegs dem Ende zu.“ Für die nächsten drei bis fünf Jahrzehnte müsse man sich deswegen keine grundlegenden Gedanken machen, so Ritz. Darüber hinaus gebe es in Deutschland auch schon drei kleine biotechnische Raffinerien, die nachwachsende Rohstoffe verarbeiten. Dort werden aber wie in der erdölbasierten Chemie „gesichtslose“ Kohlenstoffmoleküle erzeugt, die dann von Chemikern vielfältig umgestaltet werden.

ANNETTE JENSEN