Biografie Margarete Steiff: Karriere mit Kuscheltier

Knopf im Ohr: Die Historikerin Gabriele Katz zeichnet den Weg der körperbehinderten Außenseiterin Margarete Steiff zur modernen Unternehmerin nach.

Heike Makatsch machte Margarete Steiff einem Millionenpublikum bekannt. Bild: imago

BERLIN taz | Margarete ist seit einer Kinderlähmung im Kleinkindalter auf den Rollstuhl angewiesen. Doch die Tochter schwäbischer Handwerker lässt sich von ihrer Behinderung nicht unterkriegen - und steigt mit Spieltieren für Kinder zur Großunternehmerin auf. Eine märchenhafte Erfolgsgeschichte, deren Filmfassung 2005 mit Heike Makatsch als Margarete Steiff einem Millionenpublikum bekannt wurde.

Auserzählt ist die Lebensgeschichte der schwäbischen Unternehmerin Apollonia Margarete Steiff (1847-1909) aber noch keineswegs, wie die Biografie von Gabriele Katz beweist. Die studierte Historikerin hat den Zuckerguss von der Figur der Kuscheltiererfinderin gekratzt und nähert sich der Frau aus dem ostschwäbischen Giengen an der Brenz aus einer feministisch-historischen Perspektive.

Katz beleuchtet die übliche Arbeits-und Lebenssituation von Frauen im 19. Jahrhundert und versucht herauszufinden, warum ausgerechnet die aus dörflich-pietistischem Milieu stammende Margarete Steiff sich so gründlich von allen weiblichen Rollenmustern befreite.

Die Gesellschaft, in der die Tochter einer Gastwirtstochter und eines Handwerkers aufwuchs, war von harter Arbeit und Frömmigkeit geprägt. Das Württemberg unter Wilhelm I. (1781-1864) war verarmt, aufgrund der praktizierten Realteilung, die eine gleichmäßige Aufteilung des Familienerbes unter allen Nachkommen vorsah, wurden die vielköpfigen Familien trotz harter Arbeit mit jeder Generation ärmer. Alle mussten arbeiten: Kinder, Frauen, Großeltern, Ehen wurden zum wirtschaftlichen Überleben geschlossen.

Für ein behindertes Kind hatten die Eltern keine Zeit - Margarete musste sich jeden Tag ihre Teilhabe am Leben neu erkämpfen: "Alle Hausgenossen bettelte ich an: ,Tragt mich auf die Gasse', wenn ich auch manchmal fast erfror", schrieb Margarete Steiff über ihre frühe Kindheit. Das Kind, das sonst nichts zum Überleben beitragen kann, macht sich nützlich und beaufsichtigt vom Leiterwagen aus die Kleinsten. Und wird durch fantasiereiche Geschichten schnell der Mittelpunkt des Kinderspiels auf der Straße.

Unheile Kinderwelt

Zumindest in ihrer Erinnerung ist das so. Gabriele Katz stellt dazu quellenkritisch fest: "In Margaretes eigener Darstellung ihrer Kindheit regiert sie selbst die Welt. Das ist eine krasse Verleugnung ihrer tatsächlichen Lebensumstände, in denen sie immer auf die Hilfe anderer angewiesen war. […] Margarete konnte nicht riskieren, vergessen zu werden. Also interessierte sie sich für das Leben der anderen und versuchte, einen möglichst großen Anteil daran zu nehmen."

Immer wieder zitiert Katz aus Margarete Steiffs Kindheitserinnerungen, in denen sich die Unternehmerin nachträglich zum unbekümmerten und unerschrockenen Kind stilisiert. Auch hier kratzt sie am Zuckerguss und stellt klar: Das Kinderleben im 19. Jahrhundert war keine Idylle, sondern eine "unheile Kinderwelt", voller Verbote, Strafen und Angst. Auch Grundschüler mussten durch Handarbeit zum Lebensunterhalt beitragen. Sogar Margarete, für die das Tagespensum mit ihrer steifen Hand zur Qual wurde.

Dem Mädchen kam der Zeitgeist zugute - vor allem christliche Wohlfahrtsorganisationen nahmen sich verstärkt des Wohlergehens auch behinderter Kinder an. Die Aufenthalte in der Kinderklinik des pietistischen Arztes Hermann Werner blieben erfolglos, aber Katz führt Margarete Steiffs spätere Durchsetzungskraft auf die vernichtende Diagnose zurück: "unfähig für den Vollgenuss des irdischen Lebens wie für die spätere Erfüllung der Ansprüche, welche die Gesellschaft an ihre einzelnen Glieder zu machen berechtigt ist".

Detailreich belegt das Buch, wie die willensstarke Margarete Steiff dennoch ein nützliches Mitglied der Gesellschaft wird - und es immer wieder schafft, den Limitierungen der für sie vorgesehenen Rolle als behinderte, ledige Frau zu entgehen. Trotz körperlicher Schmerzen absolviert sie die obligatorische Nähschule und verdingt sich danach als Lohnnäherin.

Sie erkämpft sich Unterricht im Zitherspielen, reist mit Freunden - und macht sich mit dem Schneidern von Damenmode selbstständig. Mit 27 baut ihr der Vater einen Teil des Hauses zur eigenen Werkstatt und Wohnung um. Darin beginnt sie Filz aus der Fabrik ihres Vetters zu Kleidung und Haushaltsartikeln zu verarbeiten. Es folgt ein eigener Laden und mit 30 Jahren eine eigene Firma.

"Elefäntle" aus Filz

Bei der Beschreibung von Steiffs Unternehmerinnenweg - die Fertigung des ersten "Elefäntles" aus Filz für die Verwandtschaft 1879, die serienmäßige Spielzeugproduktion, der Bau des supermodernen Eisen-Glas-Gebäudes 1903 - übermannt die Autorin gelegentlich die Bewunderung für die rührige Schwäbin. Jeder Kredit, den sich Margarete Steiff von männlichen Verwandten nimmt, jeder Expansionsschritt, jeder geschaffene Frauenarbeitsplatz wird en detail beschrieben.

Allerdings, und das lässt einen bis zum Ende an diesem Buch festhalten, ist es tatsächlich faszinierend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich diese toughe Pietistin in der Männerwelt durchsetzt: "Margarete Steiff […] gründete als Frau nun auch eine Fabrik, während die meisten bürgerlichen Frauen ihrer Zeit sich ins Korsett zwängten und, eingepfercht in Humpelrock und enge Stiefeletten, das Geld ihrer Männer ausgaben - unter anderem für die Dekorationsartikel, die die Unternehmerin aus Giengen seit Jahren erfolgreich produzierte."

Der Rest, die Bären, das Markenzeichen "Knopf im Ohr" ist (Fernseh-)Geschichte und wird angemessen knapp geschildert. Aber das Leben dieser 62 Jahre alt gewordenen Pionierin ist eine Geschichte für sich.

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