Hans-Ulrich Klose über Berlins Libyen-Politik: "Deutschlands Ruf ist beschädigt"

Die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zu Libyen war das falsche Signal, sagt der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose. Ein Sitz im Sicherheitsrat sei nun unrealistisch.

Flucht vor Gaddafis Truppen: Eine Famliie auf dem Weg nach Bengasi. Bild: dpa

taz: Herr Klose, wie denkt jemand, der sich bis vor kurzem um diplomatische Beziehungen gekümmert hat, über die deutsche Außenpolitik?

Hans-Ulrich Klose: Vorsichtig formuliert: Ich bin nicht sehr glücklich. Es sind in den vergangenen Tagen gravierende Fehler gemacht worden.

Was meinen Sie genau?

Die Entscheidung, sich im Sicherheitsrat zu Libyen zu enthalten, war ein Fehler. Es war nötig, ein Signal an Libyen zu senden, dass die internationale Gemeinschaft eingreifen würde, wenn es nicht zu einem Waffenstillstand kommt. Es geht schließlich darum, dort ein massenhaftes Blutvergießen zu verhindern.

Hätte Deutschland sich mit einer Zustimmung automatisch an Kampfeinsätzen beteiligen müssen?

Nicht unbedingt. Zunächst stand das Zeichen an Gaddafi.

Wäre es richtig für die Bundesrepublik gewesen, sich zu beteiligen?

Eine Flugverbotszone ist sinnvoll, ein Waffenstillstand zu erreichen, ist es auch. Sich zu beteiligen heißt nicht, Kampftruppen zu schicken. Awacs-Einsätze in Libyen wären aber möglich gewesen. Stattdessen als Ausgleich mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken, ist ein seltsamer Deal.

HANS-ULRICH KLOSE 73, SPD-Außenpolitiker im Bundestag. Er war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister in Hamburg und später Bundestagsfraktionschef. 2010 berief ihn Guido Westerwelle zum Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Klose gab die Aufgabe Ende Januar aus privaten Gründen ab. (gor)

Ist die deutsche Außenpolitik durch Libyen nachhaltig beschädigt?

Wir haben ein problematisches Signal abgegeben, das über den Tag der Entscheidung hinaus reicht. Es war immer Grundlage deutscher Außenpolitik, gemeinsam mit Bündnispartnern zu operieren. Keine Alleingänge, keine Sonderwege. In diesem Fall haben wir uns von diesem Grundsatz gelöst. Wir standen ohnehin bei unseren Partnern im Verdacht, in schwierigen Lagen nicht verlässlich zu sein. Nichts gegen Zurückhaltung - aber es schadet Deutschlands Position und mindert unseren Einfluss, wenn der Eindruck bestärkt wird, dass wir nicht verlässlich sind. Deutschlands Ruf in Europa ist beschädigt.

Ist es richtig, sich bei Auslandseinsätzen zurückzuhalten?

Es war ein mühsamer Prozess, sich an die Rolle eines Sicherheitsproduzenten zu gewöhnen - nachdem wir jahrelang Sicherheitskonsument waren. Dieser Wandel war schwierig, aber richtig. Ich würde mir Sorgen machen, wenn wir immer gleich Hurra rufen und in jeden Kriegseinsatz sofort losmarschieren würden. Deshalb hätte ich mir die Abstimmung auch nicht leicht gemacht. Aber weil ich es für so wichtig halte, keine Sonderwege zu gehen, hätte ich letztlich zugestimmt.

Deutschland strebt einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an …

… diese Ambitionen haben keine sehr realistische Grundlage mehr, nein.

Ist dies auf Jahre erledigt?

Das Verhalten Deutschlands war jedenfalls nicht förderlich. Ich habe aber nie daran geglaubt, dass unsere Chancen in dieser Frage groß sind.

Deutschland ist erst Ende letzten Jahres für zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt worden - und wollte Verantwortung übernehmen. Was kann man jetzt hier noch erreichen?

Die Bundesregierung muss sich bemühen. Aber diese Bemühungen sehe ich bislang nicht. Dagegen sehe ich, dass es auch innerhalb der Koalition bei den Parlamentariern rumort.

Angela Merkel steht mit der CDU vor wichtigen Landtagswahlen - opfert Sie die Außenpolitik dem Wahlerfolg?

Es zeichnet die deutsche Debatte aus, dass wir viel über den Einfluss von Landtagswahlen diskutieren. Ich halte das für unangemessen.

Was treibt die Bundesregierung dann, sich derart zu verhalten?

Deutschland hat sich verändert seit der Zeitenwende 89/90. Es ist selbstbewusst geworden, haben die Briten damals gesagt. Das hat sich später auch an der Außenpolitik der Regierung Schröder mit dem Nein zum Irakkrieg gezeigt. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass Deutschland damals zumindest an der Seite Frankreichs gehandelt hat. Das war zum Teil auch kippelig. Aber weil selbst diese Zusammenarbeit jetzt nicht mehr vorhanden war, ist die aktuelle Entscheidung noch weitreichender.

Gibt es aus Ihrer Sicht ein neues Paradigma deutscher Außenpolitik?

Ich bin etwas unsicher. Die deutsche Außenpolitik sollte innehalten und sich ihrer Grundlagen neu vergewissern.

Sie haben sich im Außenministerium bis vor kurzem um die Westbindung Deutschlands gekümmert - ist dies dem Außenminister Westerwelle nicht so wichtig?

Ich habe in der kurzen Amtszeit als Koordinator für die zivilen Beziehungen mit den USA und Kanada den Außenminister nur ein- oder zweimal kurz gesprochen. Ich kann mir kein Urteil über seine Motivation in diesem Fall erlauben. Ich halte aber seine aktuelle Entscheidung für einen grundlegenden Fehler. Ich bin deshalb mit dem, was er macht, nicht zufrieden.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass sich die Politik am Ende doch noch als richtig herausstellt - nämlich wenn der Libyen-Einsatz langwierig und blutig wird und die gesetzten Ziele nicht erreicht werden?

Dies ist der Grund, warum ich auch innerlich abwägen musste. Der Einsatz ist riskant, fordert zivile Opfer und kann schiefgehen. Aber es war letztlich vorrangig, ein Signal zu setzen, bevor Bengasi zu einem neuen Synonym für Massenmord geworden wäre. Ohne UNO-Resolution würden wir heute wohl darüber reden, ob wir nicht diesen Massenmord hätten verhindern müssen.

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